Bundeskanzler Christian Kern im Gespräch mit einem kritischen Opfer, das mehr verlangt als ein Zeichen.

Foto: Matthias Cremer

Wien – "Da wurde nicht geredet, da wurde einfach geschlagen. Du hast jetzt was falsch gemacht. Zack!" "Ich fühlte mich wertlos, nutzlos und als minderwertiger Mensch. Ich war aber auch voller Schuldgefühle." "Während dieses ersten Heimaufenthaltes kann ich mich nicht erinnern, dass er mich penetriert hätte. Aber später dann, beim zweiten Aufenthalt, da kann ich mich ganz klar erinnern, nachdem ich meine erste Menstruation gehabt hab."

Die Schauspieler Karl Markovics, Florian Teichtmeister, Wolfgang Böck, Regina Fritsch und Miriam Fussenegger bemühten sich Donnerstagnachmittag im historischen Sitzungssaal des Parlaments redlich, Aussagen wie diese, Erinnerungen ehemaliger misshandelter Heimkinder, in respekt- und würdevoller Form vorzubringen. Das gelang nur teilweise: Immer wieder sprangen einige der 300 Ehrengäste bei diesem Staatsakt, stellvertretend eingeladen für tausende misshandelte Heimkinder, auf.

Kritik von Opfern

"Lassen Sie uns doch selber reden, wie sollen Schauspieler wissen, was wir erlitten haben?", rief eine Dame. Das freilich sei bewusst nicht geschehen, heißt es aus dem Büro von Nationalratspräsidentin Doris Bures: Viele Experten hätten abgeraten; Erinnerungen, die aufgerührt würden, könnten in vielen Opfern eine Retraumatisierung auslösen.

Die Reden der Vertreter der Staatsspitze wurden teilweise von lauten Zwischenrufen begleitet: "Hört auf zu reden, tut endlich was!" Applaus brandete jedesmal auf, wenn die Redner über die Schuld der Republik und der Kirche sprachen und die Opfer um Vergebung baten. Bures, die die "Geste der Verantwortung" initiiert hatte, betonte noch einmal, dass sie die Veranstaltung keineswegs als "Schlussstrich" sehe, sondern als Mahnung, die Vorgänge von damals lückenlos aufzuklären. Bures verneigte sich als Erste vor den Opfern im Saal: "Ich stehe hier und schäme mich für das Versagen der öffentlichen Institutionen." Sie bat, wie auch die übrigen Redner, die Opfer um Vergebung.

Die Plattform Betroffener Kirchlicher Gewalt demonstrierte vor dem Bundeskanzleramt.
Foto: Matthias Cremer

"Historische Katastrophe"

Tausende Heimkinder (genaue Zahlen sind wegen der hohen Dunkelziffer nicht zu eruieren) erlitten zwischen 1945 und 1990 physische und psychische Gewalt in staatlichen, städtischen und kirchlichen "Erziehungs"-Einrichtungen. 2011 erkannte ein Forschergremium unter dem Vorsitz des Sozialhistorikers Reinhard Sieder eine "historische Katastrophe von unglaublichen Ausmaßen". Ähnliches stellte 2013 die Wilhelminenberg-Kommission in ihrem 344 Seiten umfassenden Abschlussbericht fest. 3000 ehemalige Heimkinder meldeten sich und bekamen Entschädigungen – österreichweit im Durchschnitt mit rund 17.000 Euro die höchsten – zugesprochen. In Wien ist die Frist für Anträge nach sechs Jahren mittlerweile abgelaufen, auch in anderen Bundesländern können Opfer keine Forderungen mehr einbringen.

Bundeskommission gefordert

Schon im Vorfeld forderten Opfervertreter, Experten, aber auch die Grünen die Bildung einer bundesweiten Untersuchungskommission, wie es sie etwa in Irland gegeben hat. Zudem sollten Verjährungsfristen und Entschädigungsansprüche, auch im Pensionsrecht, noch einmal geprüft werden.

Nichts von alledem wurde angesprochen – nur angedeutet, wenn überhaupt. Bundeskanzler Christian Kern sagte unter Applaus, es tue ihm "unendlich leid, was Ihnen passiert ist", und versprach sich dafür einzusetzen, dass Missstände "nie wieder zugedeckt werden". Vizekanzler Reinhold Mitterlehner sprach an, ob eine "Geste" der Verantwortung nicht etwa zu wenig sei. Seine eigene Antwort: "Nicht, wenn wir es als Aufruf an uns alle sehen." Am turbulentesten wurde die Rede von Kardinal Christoph Schönborn aufgenommen. Viele Opfer zeigten sich nicht damit einverstanden, dass ein Vertreter der katholischen Kirche anwesend war. Die Stimmung schlug um, als Schönborn sagte: "Wir haben die Täter nur versetzt. Das war falsch, ich bitte Sie um Vergebung." Applaus brandete auf. (Petra Stuiber, 17.11.2016)