Das Gehirn ist bestens geschützt – das ist ein Nachteil, wenn es darum geht, Wirkstoffe gegen Tumoren einzuschleusen.

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In dem amerikanischen Spielfilm "Die phantastische Reise" von 1966 lassen Wissenschafter ein Team von Chirurgen und ein spezielles U-Boot auf mikroskopische Größe schrumpfen und schleusen diese per Injektion in die Blutbahn eines Menschen. Die Aufgabe der Ärzte: Sie sollen im Gehirn ein gefährliches Blutgerinnsel entfernen. Etwas Ähnliches versuchen Wissenschafter im Falle von Hirntumoren. Nanopartikel mit Medikamenten an Bord sollen wie kleine Mini-U-Boote über den Blutstrom ins Gehirn gelangen, um endlich effektiv gegen Hirntumoren vorzugehen.

Besonders der häufigste Hirntumor bei Erwachsenen, das Glioblastom, bereitet Ärzten und Forschern Sorgen. Fast alle Chemotherapien erreichen ihn gar nicht oder nur in nicht nennenswerter Konzentration. Schuld daran ist die Blut-Hirn-Schranke. Sie verhindert wie eine Art Schutzschild, dass fremde Stoffe, Krankheitserreger oder giftige Stoffwechselprodukte vom Blutkreislauf in das Organ eindringen. Leider hindert sie auch Krebsmedikamente am Durchkommen. Und es gibt noch ein weiteres Problem: Chemotherapien belasten den Körper, denn die Medikamente schädigen während ihrer Reise zum Tumor auch gesundes Gewebe. Ärzte können sie daher nur in eingeschränkter Dosis anwenden.

Prognosen durch Mizellen verbessern

In der Folge bedeutet der äußerst aggressive Krebs für die Betroffenen nur ein mittleres Überleben von 15 Monaten nach Diagnose. "Das ist wirklich eine jämmerliche Prognose", sagt die Medizinerin und Biochemikern Ann-Marie Broome von der Medical University of South Carolina.

Broome sucht daher nach einem Ausweg. Ihr Ziel ist es, Medikamente durch die Blut-Hirn-Schranke zu schmuggeln und sie direkt zu den Tumorzellen zu bringen, um so die Nebenwirkungen für den restlichen Körper möglichst gering zu halten. Broome geht mit äußerst kleinen Materialien gegen die große Erkrankung vor. Sie und ihre Kollegen tüfteln an sogenannten Mizellen – winzige Kügelchen aus zusammengesetzten Polymeren. Im Inneren der nur einige Millionstel Millimeter großen Nanopartikel lassen sich die Wirkstoffe unterbringen.

Der Vorteil liegt auf der Hand. "Mizellen dieser Größe können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und haben dabei eine konzentrierte Landung des Chemotherapeutikums Temozolomid an Bord", sagt Broome. Solche Mizellen hatten Forscher schon zuvor eingesetzt.

Doch die kleinen "Mini-U-Boote" von Ann-Marie Broome und ihren Kollegen sind noch ein wenig raffinierter. Denn damit die Fracht auch am richtigen Ort, den Tumorzellen, ankommt, stattete das Team die Mizellen noch mit einer Art Postadresse aus. Sie machten sich dabei zunutze, dass die Tumorzellen an der Zelloberfläche verstärkt Wachstumsfaktoren ausbilden – Proteine, die das Zellwachstum und die Zellteilung steuern. An diese Proteine "adressierten" sie gewissermaßen die Mizellen, die an diese Eiweiße andocken und anschließend von den Tumorzellen aufgenommen werden sollen.

Wirkstoffe ablassen

Zu guter Letzt brachten die Wissenschafter auch noch eine Art Zünder an, damit die Mizellen ihre Fracht auch tatsächlich erst in den Tumorzellen und nicht schon im Blutkreislauf preisgeben. Auch in diesem Fall machten sich die Forscher die Eigenarten des Tumors zunutze: "Wenn der Tumor wächst, erzeugt er Abfall- und Stoffwechselprodukte, die den ph-Wert senken", erklärt Broome.

Unter dem Einfluss des Tumorgewebes wird nämlich die Umgebung des Tumors sauer. "Die Änderung des ph-Wertes im Tumor löst dann die Freisetzung des Medikaments aus den Mizellen genau dort aus, wo wir es möchten", so die Biochemikerin. "Wir können so die Toxizität der Medikamente für den Rest des Körpers minimieren."

Die ausgeklügelten Mizellen testete das Team um Broome zunächst an Tumorzellkulturen. Wie sich zeigte, nahmen die Tumorzellen den in den Nanopartikeln versteckten Wirkstoff tatsächlich verstärkt auf. Und noch viel wichtiger: Nach drei Tagen war ein großer Teil der Tumorzellen durch die gut verpackte und korrekt adressierte Medikamentenfracht zerstört.

Test am Menschen kommt erst

Unverpackte Wirkstoffe töteten hingegen einen wesentlich geringeren Anteil der bösartigen Zellen. Doch die eigentliche Feuerprobe am lebenden Organismus stand noch aus. Dafür injizierten sie Mäusen zunächst Tumorzellen ins Gehirn. Anschließend verabreichten sie den Tieren über die Vene das Medikament. Nach einigen Stunden war es dann so weit: Die Forscher fanden Hinweise auf Nanopartikeln in den Tumorzellen. Diese waren also erfolgreich durch die Blut-Hirn-Schranke geschlüpft und hatten ihr Ziel erreicht. Ob die verpackten Medikamente aber letztlich auch bei den Tieren erfolgreicher als unverpackte Wirkstoffe darin waren, Tumorzellen zu zerstören – das geben die bislang im Fachjournal "Nanomedicine" veröffentlichten Ergebnisse nicht preis.

Das betont auch der an der Studie nicht beteiligte Biochemiker Gerd Fricker von der Uni Heidelberg. "Die Studie ist spannend und sieht überzeugend aus." Ob aber die Methode bei lebenden Organismen therapeutischen Erfolg habe, bleibe offen.

Auch Ann-Marie Broome dämpft die Erwartungen. "Es könnte sein, dass unsere Methode nicht bei allen Formen von Glioblastomen erfolgreich ist." Es gebe sowohl Unterarten als auch therapieresistente Arten, die auf diese Nanoträger möglicherweise nicht ansprechen. Bevor der medikamentöse Postversand per Mini-U-Boot auch den Patienten zugute kommt, müssen die Forscher noch viele Tests durchführen. (Christian Wolf, 22.11.2016)