Das Lachen ist nicht für die Fotos gestellt: Ähnlich freundlich wie beim Handschlag sprangen Kanzler Kern und FP-Chef Strache auch im Gespräch auf offener Bühne miteinander um. Die Basis für mehr?

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Wien – In den sechs Monaten, in denen Christian Kern Bundeskanzler ist, habe er bereits öfter mit ihm gesprochen als mit Vorgänger Werner Faymann in dessen siebeneinhalb Jahren, erzählt Heinz-Christian Strache. Vor Publikum taten die Chefs von SPÖ und FPÖ das aber noch nie – bis zum Mittwochabend. Da lud die Ö1-Sendung "Klartext" ins Radiokulturhaus zum ersten öffentlichen Streitgespräch. Motto: Rot-Blau – eine Versuchung?

Genossen, die sich darauf ein eindeutiges Nein erhoffen, mag gleich das erste Statement ihres Obmanns irritiert haben: Kerns Einschätzung, "dass es auch Strache darum geht, das Land voranzubringen", ist in seiner Partei wohl nicht unumstritten. Mild fiel auch der Nachsatz aus, dass es dem Oppositionsführer natürlich darum gehe, Kritik "zuzuspitzen", bisweilen "überzubetonen".

Der erste Ton machte die Musik: Den verbalen Infight suchten die Kontrahenten im vermeintlichen Duell selten. Meist tänzelten sie – um beim Motiv des Boxens zu bleiben – mehr oder minder elegant aneinander vorbei.

Antworten gesucht

Ob er Strache für einen Nationalisten halte, wollte Moderator Klaus Webhofer etwa wissen. Die Frage interessiere ihn nicht sonderlich, erwiderte Kern, das gelte für vieles, was Kommentatoren in den Medien diskutieren. Er suche ganz andere Antworten: Wie lasse sich die Bildung ausbauen, die Wirtschaft ankurbeln, die Ellbogengesellschaft zurückdrängen?

Auf der generellen Ebene fand Strache, der wie ein Paradesozialdemokrat die "Schere zwischen Arm und Reich" anprangerte, einige Anknüpfungspunkte, allmählich ging er aber doch in Offensive. Der FPÖ-Chef stichelte wegen des nicht verhinderten Freihandelspakts Ceta und der Querelen in der Wiener SPÖ, wo eine "Kernschmelze" drohe. Der Kanzler konterte launig. In Sachen Namenswitze sei er von klein auf schmerzbefreit: "Halten Sie sich nicht zurück!"

Auch inhaltlich schälten sich nach und nach Differenzen heraus – etwa beim Thema EU. Das freiheitliche Europabild einer "reinen Wirtschaftsgemeinschaft" greife ihm zu kurz, stellte Kern klar, und auch mit den Austrittsgelüsten könne er nichts anfangen. Letztere bestritt Strache und unterstellte seinem Widerpart im Gegenzug, das Ende der Neutralität anzustreben – das Dementi kam diesmal von der anderen Seite.

Kern will Kriterienkatalog

Nach einem Scharmützel zum Thema Flüchtlinge entlang der bekannten Argumentationslinien und einem persönlich gefärbten Vorwurf Straches ("Sie sind ein Meister der schöngefärbten leeren Worthülsen") stellte der Moderator die Gretchenfrage. Könne Kern mit einem wie Strache, der etwa die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die gefährlichste Frau Europas nannte, regieren? Wieder verkneift sich der Kanzler ein Ja oder Nein. Als "große, stolze Partei" definiere sich die SPÖ darüber, wofür sie steht, nicht darüber, was sie ablehnt – deshalb soll erst ein Kriterienkatalog für eine Koalition ausgearbeitet werden.

"So ein amikales Gespräch wie heute haben wir noch nie geführt", bilanzierte Kern schließlich. "Es war zu sehen, dass wir eine gute Kinderstube haben. Inhaltlich trennen uns aber mittlere Welten." (jo, 23.11.2016)