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Hinkley Point C soll auf dem Areal neben Hinkley Point B entstehen. Eine Entscheidung dazu gilt auch als richtungsweisend für die Atomenergiepolitik der Europäischen Union.

Foto: REUTERS/Stefan Wermuth

"Verrückt und unverantwortlich", nannte die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks Mitte Mai ein Strategiepapier der EU-Kommission. Klare Worte, denn während Deutschland alle Atomkraftwerke bis 2022 vom Netz nehmen will, denkt die EU-Kommission darin über Förderungen der Atomenergie nach. Die Kommission beschwichtige schnell: Es ginge darum, die technologische Spitzenposition in der Atomenergie zu sichern. Denn Atomkraft deckt 27 Prozent des EU-Strombedarfs.

Die Debatte rund um die europäische Energiepolitik spitzte sich in den vergangenen Monaten zu. Nicht erst seit der Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 verfolgen die Mitgliedsländer teilweise sehr konträre Richtungen. In der EU gibt es derzeit rund 130 Atomkraftwerke in 14 Mitgliedstaaten. Sie haben eine Kapazität von etwa 121 Gigawatt. Länder wie Deutschland, Belgien oder die Schweiz wollen aussteigen. Polen plant hingegen erstmals den Bau von AKWs. Als Grund wird Klimaschutz genannt: Das Land stillt seinen Energiebedarf bislang großteils durch Kohlestrom.

Die Internationale Energieagentur in Paris unterstützt diese Linie: Sie hält die Verdopplung der globalen Atomkraftleistung bis zum Jahre 2050 für notwendig, um die bei der Klimakonferenz in Paris fixierten Ziele zu erreichen. "Der Glaube, dass Atomkraft das Klima retten wird, ist völlig absurd. Abgesehen von dem existenziellen Risiko dieser Technologie, verhindert Kernkraft nachweislich den Ausbau erneuerbarer Energie", entgegnet Greenpeace-Klimasprecher Adam Pawloff.

Einstieg und Neubau

Die Position des "Atomenergielands" Frankreich ist schwammig. 2015 wurde zwar ein Energiewendegesetz beschlossen, das die Reduktion des Anteils von Atomstrom von 75 auf 50 Prozent bewirken soll, aber der staatliche Konzern Électricité de France will kaum Reaktoren herunterfahren.

Auch außerhalb der EU, in der Türkei, gibt es seit den 1970er-Jahren Pläne für Kernkraftwerke. Aber erst Tayyip Erdoğan hat Bauprojekte gestartet. "Ohne Atomkraft gibt es keine Entwicklung", bekräftigte Energieminister Taner Yıldız.

Und Großbritannien will das erste neue Atomkraftwerk seit zwei Jahrzehnten bauen, obwohl beste Voraussetzungen für die Ausweitung der Gewinnung erneuerbarer Energie durch Offshore-Windparks herrschen. So soll Hinkley Point C in Somerset von einem chinesisch-französischen Konsortium errichtet werden. Österreich und andere Staaten haben bereits vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die von der EU-Kommission gebilligten staatlichen Beihilfen geklagt. Der Ausgang gilt als richtungsweisend in der EU-Energiepolitik.

Streit um Erweiterung von Paks

Andere AKW-Projekte in der EU sind unter anderem wegen milliardenschwerer Staatssubventionen umstritten. In der direkten Nachbarschaft Österreichs betrifft das Paks II. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) hat diese Woche damit gedroht, dass Österreich den EuGH anrufen könnte, wenn die EU-Kommission milliardenschwere Staatsbeihilfen für das ungarische Atomkraftwerk genehmigt. Die EU-Kommission hat erst vergangene Woche ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn wegen der Vergabe des 12,5 Milliarden schweren Auftrags zum Ausbau an einen russischen Staatskonzern eingestellt. Noch nicht entschieden ist das EU-Verfahren in puncto Staatsbeihilfen.

Die Atomindustrie läuft unterdessen Sturm gegen Ausstiegserklärungen: In Deutschland klagen etwa Eon, RWE und Vattenfall vor dem Bundesverfassungsgericht, ob der 2011 beschlossene Ausstieg grundsätzlich rechtmäßig ist. Eon fordert zudem wegen des zeitweisen Ausfalls der Stromproduktion mehr als 382 Millionen Euro Schadenersatz. Die sieben ältesten Meiler in Deutschland mussten nach Fukushima für drei Monate für Sicherheitstests vom Netz genommen werden. (july, 25.11.2016)