Frauen, die nach einer Trennung als Alleinerziehende leben, sind in Österreich besonders armutsgefährdet.

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Frau S. ist seit 44 Jahren verheiratet, Gewalt ist alltäglicher Bestandteil ihrer Ehe: Schläge, eine Vergewaltigung, anhaltender Psychoterror. Die gemeinsamen Kinder sind erwachsen und aus dem Haus, eine Trennung hat sie bisher nicht gewagt. Einerseits ist da die Scham, über die Straftaten ihres Partners zu sprechen, andererseits war Frau S. nie berufstätig, verfügt also über kein eigenes Einkommen. Wie soll sie sich ohne Geld denn überhaupt von ihrem Ehemann trennen, fragt sich Frau S., die sich am Ende ihrer Kräfte fühlt.

Dieser anonymisierte Fall stammt aus dem Tätigkeitsbericht der Frauenhelpline gegen Gewalt, wo Mitarbeiterinnen rund um die Uhr Hilferufe von gewaltbetroffenen Frauen entgegennehmen – 2015 wurde die Nummer laut eigenen Angaben 8.252 Mal gewählt. Den Anruferinnen wird nicht nur eine Entlastung, ein Auffangen in der Krisensituation, sondern auch Hilfe zur Selbsthilfe geboten. Fälle wie jener von Frau S. machen deutlich, dass finanzielle Abhängigkeit eine massive Hürde auf dem Weg aus einer Gewaltbeziehung heraus darstellen kann.

Mindestsicherung als wichtige Hilfestellung

"Wenn sich gewaltbetroffene Frauen von ihrem Partner trennen, schlittern sie nicht selten in eine Existenzkrise. Sie verlieren ihren Job oder sogar ihre Wohnung", sagt Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF), der 15 autonome Frauenhäuser unter seinem Dach vereint.

Die bedarfsorientierte Mindestsicherung, aktuell Gegenstand hitziger politischer Debatten, sei als Form der sozialen Absicherung für gewaltbetroffene Frauen enorm wichtig – insbesondere bei Scheidung und Trennung: "Auch wenn die Frauen Teilzeitjobs haben oder geringfügig beschäftigt sind, braucht es die Leistungen der Mindestsicherung zur Existenzsicherung und für den Weg aus einer Gewaltbeziehung", sagt Rösslhumer.

Frauen, die nach einer Trennung als Alleinerziehende leben, sind in Österreich besonders armutsgefährdet. Wie ein Bericht der Statistik Austria für das Jahr 2015 zeigt, waren 42 Prozent der Ein-Eltern-Haushalte – vorwiegend alleinerziehende Frauen mit ihren Kindern – armuts- oder ausgrenzungsgefährdet.

Die Österreichische Plattform für Alleinerziehende (ÖPA) forderte daher Anfang November eine Erhöhung der Mindestsicherung auf das Niveau der Armutsgrenze – um Kinderarmut zu bekämpfen und ein hohes Maß an sozialer Sicherheit zu gewährleisten. "Das ist eine Investition in die Demokratie und die Zukunft Österreichs", sagte ÖPA-Vorsitzende Gabriele Fischer.

Argumente, die in der aktuellen Debatte wenig Gehör finden. Gefordert werden vielmehr Kürzungen – wie sie zuletzt in Niederösterreich und Oberösterreich umgesetzt wurden. "Jemand, der bei uns arbeiten geht, darf nicht der Dumme sein", kommentierte Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll stolz die aktuelle Reform – der niederösterreichischen FPÖ geht sie indes nicht weit genug: Eine Mindestsicherung soll es nur noch für "Österreicher" geben, so die Forderung der Freiheitlichen.

Selbstständigkeit ermöglichen

"Vor allem seitens der für Kürzungen verantwortlichen PolitikerInnen werden alle Positiv-Argumente ignoriert. Da können zivilgesellschaftliche Organisationen und Betroffene noch so sehr darauf hinweisen. Die Verschärfung von Armut wird in Kauf genommen, Armutsbetroffene werden gegeneinander ausgespielt", sagt Michaela Moser, Wissenschafterin am Ilse-Arlt-Institut für Soziale Inklusionsforschung der FH St. Pölten und langjährige Aktivistin der österreichischen Armutskonferenz. Unter dem Motto "Aber sicher" startete die Armutskonferenz die Initiative "Für eine bessere Mindestsicherung mit weniger Armut", um sich Diffamierungen und Vorurteilen – Stichwort soziale Hängematte – im Zuge der aktuellen Debatte entgegenzustellen.

In Hinblick auf ein eigenständiges, gewaltfreies Leben sieht Sozialexpertin Michaela Moser Armuts- und Gewaltprävention eng miteinander verknüpft: Ziel sei es, die Entscheidungsfreiheit und Handlungsfähigkeiten von Frauen zu erweitern.

Neben monetären Sozialleistungen wie der Mindestsicherung seien es vor allem gute und leistbare Infrastrukturangebote, die zur Vermeidung von Armut und Gewalt beitragen würden: "Etwa eine qualitätvolle kostenlose Gesundheitsversorgung, Zugang zu Beratungs- und Bildungsangeboten, Kinderbetreuungseinrichtungen, aber natürlich auch gute Erwerbsarbeitsplätze und eine andere Arbeitszeitpolitik, die die Vereinbarkeit von Beruf und Care-Aktivitäten erlauben", sagt Moser.

Gesundheitliche Folgen abfedern

Maria Rösslhumer vom Verein AÖF weist indes auf fehlende Infrastruktur für gewaltbetroffene Frauen hin – etwa im Gesundheitssystem: "Frauen mit psychischen oder psychiatrischen Erkrankungen werden vielfach zwischen Psychiatrie oder Krankenhäusern und den Frauenhäusern herumgeschickt. Es gibt einfach zu wenige Einrichtungen, die Frauen mit psychiatrischen Erkrankungen adäquat unterstützen können", sagt Rösslhumer. In psychiatrischen Einrichtungen würden die Frauen zudem häufig von ihren Kindern getrennt, was sowohl für die Frauen als auch die Kinder eine Belastung und eine zusätzliche Traumatisierung darstellen könne.

Dass Gewalterfahrungen ganz grundsätzlich massive gesundheitliche Folgen für die Betroffenen haben können, zeigen verschiedene internationale Studien. "Insbesondere frühe Gewalt in der Kindheit und kumulierte Gewalterfahrungen im Lebensverlauf können den psychischen und physischen Gesundheitszustand nachhaltig prägen", ist in einem Bericht des deutschen Robert-Koch-Instituts zu lesen.

Rösslhumer fordert daher sowohl mehrsprachige Psychotherapie auf Krankenschein in allen Bundesländern als auch eine finanzielle wie personelle Aufstockung für die Frauenhäuser, wo 2015 österreichweit 3.331 Frauen und Kinder betreut wurden: "Wir bräuchten in allen Frauenhäusern eine 24-Stunden-Besetzung mit anwesenden Wochenend- und Nachtdiensten, damit eine ausreichende Unterstützung geboten werden kann."

Auch bei der Unterbringung gewaltbetroffener Asylwerberinnen ortet Rösslhumer dringenden Verbesserungsbedarf. Obwohl Frauenhäuser grundsätzlich alle Frauen aufnehmen würden, sei das in einzelnen Bundesländern nicht oder nur vorübergehend möglich – so etwa in Niederösterreich. "Es ist sehr wichtig, dass es einheitliche Regelungen gibt und Asylwerberinnen bedingungslos aufgenommen werden können – ohne bürokratische Hürden. Schließlich hat jede Frau das Recht auf Schutz und Sicherheit", sagt die Expertin mit Verweis auf die von Österreich ratifizierte Istanbul-Konvention.

Fragen neu stellen

Wenn am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen nicht nur psychische und körperliche Gewalt, sondern auch gesellschaftliche Machtverhältnisse, ökonomische und strukturelle Gewalt in den Blickpunkt rücken, möchte Sozialforscherin Moser auch über das gute Leben für alle und eine "radikal andere Kultur des Miteinanders" sprechen: "Ich denke, dass es neben beziehungsweise eigentlich vor Sicherheitsfragen und der Prävention von Gewalt immer um Fragen des guten Lebens gehen muss. Und hier gehört ganz wesentlich all das dazu, was die körperliche und seelische Integrität garantiert und umfassende Teilhabe fördert." (Brigitte Theißl, 25.11.2016)