Auch der Friseure können Schaden anrichten – nicht nur optischen.

Foto: APA/Barbara Gindl

Warum stockt die Liberalisierung der Gewerbeordnung schon wieder?" Diese Frage stellen sich derzeit viele, die Äußerung stammt allerdings von Alexander Van der Bellen. Der grüne Wirtschaftssprecher begab sich 1996 an das Rednerpult im Parlament und skizzierte einen bezeichnenden Mechanismus des Landes. Im selben Jahr brachten Finanzminister Viktor Klima (SPÖ) und Wirtschaftsminister Johannes Ditz (ÖVP) ein beachtliches Budgetprogramm auf den Weg, beim Berufsrecht ging hingegen wenig weiter.

Dem Sparpaket zollte damals auch der heutige Präsidentschaftskandidat Respekt: "Diese Aufgabe konnte bewältigt werden. Aber der Ladenschluss und die Liberalisierung der Gewerbeordnung können nicht bewältigt werden. Das gibt einen eigenartigen Einblick in die politischen Realitäten Österreichs", erklärte Van der Bellen vor 20 Jahren.

Ditz hatte zwar einen Plan, der mit zünftlerischen Beschränkungen aufgeräumt hätte. Doch der ÖVP-Wirtschaftsminister befand sich bereits in statu abeundi. Sein Nachfolger, Johann Farnleitner, seit mehr als 30 Jahren Wirtschafskammerfunktionär, nahm das von Ditz in Form eines Gesetzesentwurfs hinterlassene Abschiedsgeschenk dankend entgegen. Und legte es gut ab.

derStandard.at

2016, nächste Vorstellung: Wieder regiert eine große Koalition, wieder kommt die Gewerbeordnung auf den Tisch. Reinhold Mitterlehner meint es offenbar ernst, "New Deal"-Ansagen des neuen Bundeskanzlers wecken hohe Erwartungen. Im Juli präsentiert der ÖVP-Chef die Marschrichtung: "In Zukunft soll eine einzige Gewerbeanmeldung ausreichen, um jedes der derzeit 440 freien Gewerbe auszuüben."

Anfang November verlässt Mitterlehner der Mut. In seinem Entwurf, der sich noch eine Woche in Begutachtung befindet, ist keine Rede mehr von einem Gewerbeschein für alle Berufe. Die von SPÖ-Seite forcierte Eindämmung reglementierter Berufe – gefordert wurde eine Halbierung auf 40 – wird ebenfalls abgeblasen. Was bleibt, sind Gratisanmeldungen, die Ausweitung der Nebenrechte, Erleichterungen bei Betriebsanlagen und die Freigabe von 19 teilreglementierten Berufen. Wäschebügeln, Autoradios einbauen und Scheren schleifen darf man somit künftig ohne Ausbildung.

Einstiger Befreiungsschlag

Herumgedoktert wurde schon oft an dem 186 Seiten dicken Werk, das von zahlreichen Verordnungen ausgeschmückt wird. Heute oft als Sinnbild für Protektionismus und Überregulierung angeprangert, war das 1859 von Kaiser Franz Joseph dekretierte Gesetzeswerk eigentlich ein Befreiungsschlag. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts feierte nämlich das Zunftwesen fröhliche Urständ. Die Habsburger waren bestrebt, den wirtschaftlichen Rückstand zu westeuropäischen Mächten wie Deutschland, Frankreich oder England einzudämmen.

Gärtnereien als Gefahr für Leib und Leben? Die Regierung sagt ja.
Foto: APA/dpa/Jens Büttner

Ein Mittel dazu: die Gewerbefreiheit. Spät, aber doch, hatten die Schweiz und Deutschland im Sog der Französischen Revolution Prinzipien einer freien Wirtschaftsverfassung schon Jahrzehnte früher verankert.

Immerhin: Bis auf 14 konzessionierte wurden die Gewerbe im Wesentlichen freigegeben, womit die Monarchie ein wenig an das heutige China erinnert. Repressiver Neoabsolutismus ging Hand in Hand mit wirtschaftlicher Progressivität.

Repressiver Neoabsolutismus ging Hand in Hand mit wirtschaftlicher Progressivität.

Doch neue Beschränkungen folgten alsbald. Einmal war es die Wirtschaftskrise nach dem Börsencrash 1873, die den Ruf nach Abschottung laut werden ließ, später kam die Gesellenprüfung als Voraussetzung der Berufsausübung hinzu, 1934 dann der Meisterbrief. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Kritik am System. Ein Streit zwischen Bäckern und Zuckerbäckern, wer das Monopol auf den Faschingskrapfen hat, wurde – nach Jahrzehnten des Konflikts – 1992 gelöst: Konditoren dürfen seither Brot, Bäcker Süßwaren herstellen.

Endlich Hufschmied

Doch 81 Berufe können auch künftig nur mit Befähigungsnachweis ausgeübt werden. Bisher waren es 80. Den Hufschmied wollte man nicht der Streichung der Teilgewerbe opfern, weshalb er nun umgruppiert wird. Die SPÖ war da eher der Ansicht: Weniger ist mehr. 16 Berufe sollten für jedermann zugänglich sein: Buchbinder, Kleidermacher, Fremdenführer, Gärtner und Florist, Orgelbauer, Sattler, Schuhmacher, Binder oder Uhrmacher zählen zu jenen Tätigkeiten, von denen aus roter Sicht keine unmittelbare Gefahr für Gesundheit, Sicherheit und Vermögen ausgeht.

Auch der Schuhmacher bleibt geschützt.
Foto: APA/Helmut Fohringer

Bei zwölf weiteren Berufen sollte der Lehrabschluss eine ausreichende Qualifikation, also keine Meisterprüfung notwendig sein: Bodenleger, Friseur, Fußpfleger, Maler und Steinmetz zählen zu diesen Gewerben, für die die SPÖ eine Lockerung präferiert. Dass es noch zu größeren Änderungen am paktierten Entwurf kommt, darf freilich bezweifelt werden. Zu groß ist die Macht der Wirtschaftskammer, die sich gegen eine Öffnung stemmt und sich der Solidarität roter Arbeitnehmer versichern kann, die eine Schwächung der Sozialpartnerschaft fürchten. Eine Krähe kratzt der anderen bekanntlich nicht die Augen aus.

Strikte Handhabe

Im Handwerk herrscht die Meisterprüfung als Antrittsvoraussetzung vor, in anderen Bereichen dominieren Studien, Lehrgänge oder Praxiserfahrung. Doch selbst das Erlangen der vorgeschriebenen Qualifikation garantiert noch lange keine Erwerbsfreiheit. Immer wieder werden Befähigungsnachweise zurückgeschmissen.

Zuckerbäcker tanzen aus der Reihe: Bäcker dürfen Konditorware schon lange verkaufen.
Foto: ballguide Fotoservice

In einem Fall beispielsweise verweigerte der Wiener Magistrat einem Antragsteller mit Universitätsabschluss sowie langjähriger Berufserfahrung im Software-, Consulting- und Versicherungsbereich die Eintragung als Unternehmensberater. Er musste den Gewerbeschein erst gerichtlich erstreiten.

Beispiele dieser Art gibt es zuhauf, doch nicht jeder potenzielle Gründer geht in die Berufung. Mit dem Schutz von Leib und Leben, Vermögen oder Umwelt – dieses Ansinnen haben sich fast alle politischen Akteure auf die Fahnen geheftet – haben derartige Barrieren nichts zu tun. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass sich etablierte Unternehmen ungeliebte Konkurrenz vom Leib halten wollen, wie Volker Plass von der Grünen Wirtschaft meint. Ihm pflichtet Neos-Mandatar Sepp Schellhorn bei: Es gehe darum, bestehende Betriebe vor innovativen Mitbewerbern zu schützen.

Es liegt der Verdacht nahe, dass sich etablierte Unternehmen ungeliebte Konkurrenz vom Leib halten wollen.

Erst werden die Restriktionen in der Gewerbeordnung erkämpft und verteidigt, dann die Behörden zum strengen Vollzug ermuntert. Doch damit nicht genug: Die Meister- und Unternehmerprüfungen halten die Landeskammern der gewerblichen Wirtschaft ab, die auch zwei von drei Mitgliedern der Prüfungskommission stellen. Zudem hat die WKO über ihre Bildungseinrichtung Wifi die Hand auf den Lehrgängen zur Vorbereitung auf die diversen Prüfungen.

Viel Einfluss, aber auch viel Geld steht da auf dem Spiel. Beispiel Mehrfachmitgliedschaften: Da die einzelnen Gewerbe sehr eng definiert sind, benötigen viele Betriebe mehrere Anmeldungen. Für jeden Gewerbeschein fällt die Grundumlage bei der Kammer an, die zuletzt 179 Millionen Euro in die Kassen der Kammer spülte. Ingesamt zwackt die Zwangsvertretung ihren Mitgliedern 900 Millionen Euro ab.

Christian Kern hätte gerne mehr reformiert, Reinhold Mitterlehner wohl auch – er konnte aber nicht.
Foto: Matthias Cremer

Mitterlehner meint, dass durch die Ausweitung der Nebenrechte künftig weniger Gewerbescheine erforderlich seien. Ein Tischler beispielsweise darf dann – ohne Bewilligung – 15 Prozent seines Umsatzes mit Fliesenlegen machen. Das koste die Kammer 20 Millionen Euro an Grundumlage, sagt ihr Präsident Christoph Leitl.

Dass es zu keiner generellen Öffnung bei den reglementierten Gewerben kommen wird, wurde vom ÖVP-Chef unter anderem mit der Absicherung des Lehrlingssystems begründet. Bei einem Wegfall der Meisterprüfung als Berufsvoraussetzung wäre das duale System gefährdet, eine "Entqualifizierungsspirale" würde in Gang gesetzt, meint gar Reinhard Kainz, Chef der Sparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer.

Allerdings: Die Freigabe der Hälfte der geschützten Gewerbe 2004 in Deutschland bestätigt diese These nicht (näheres dazu finden Sie hier). Die Entwicklung der Lehrstellen ist im reglementierten wie im freien Bereich ähnlich. Die Schweiz kommt ganz ohne Zugangsbeschränkungen aus. "Probleme mit Sicherheit und Qualität haben wir trotzdem nicht", beteuert Mario Senn von der Zürcher Handelskammer.

Auch das Lehrlingssystem funktioniere ohne Zwang tadellos: "Die meisten Handwerker aus der Schweiz haben einen Lehrabschluss, obwohl der für die Berufsausübung nicht verpflichtend ist", erläutert Senn. Laut Statistik des zuständigen Staatssekretariats in Bern gab es zuletzt 202.000 Lehrstellen in der Schweiz – doppelt so viele wie in Österreich. Tendenz in der Eidgenossenschaft konstant, hierzulande rückläufig.

Leitl: Bombenwerfen ist leicht

Leitl sieht das alles ganz anders. Für ihn arbeiten manche politische Kräfte an einer "kreativen Zerstörung der Gewerbeordnung", meint der Kammerboss: "Bombenwerfen ist leicht, aber wir lassen uns Qualität und Qualifikation der Jugend nicht schlecht reden, wir wollen keine Zerstörung von dem, was sich gut bewährt hat."

Während die Politik weiterhin der Gründerwelle und der Entfesselung der Wirtschaft das Wort redet, Förderpakete schnürt und die Jugend in Sonntagsreden zum Gang in die Selbstständigkeit motivieren will, bleibt das Unternehmertum angesichts restriktiver Rahmenbedingungen schwach ausgeprägt. Gerade 472.000 Selbstständige weist Eurostat in Österreich aus, das entspricht, gemessen an den Erwerbstätigen, einem Anteil von 9,3 Prozent. Zum Vergleich: In der Eurozone liegt diese Quote bei 13,6 Prozent. Noch größer ist der Rückstand bei den Neugründungen, bei denen Österreich im Verhältnis zur Bevölkerung in der EU ganz hinten liegt.

Preis der Regulierung

Hohes Preisniveau und unausgeschöpfte Wachstumspotenziale werden von Experten auch mit dem starren Berufszugang – neben dem Gewerbe auch bei freien Berufen wie Rechtsanwälten oder Steuerberatern – in Verbindung gebracht. Die OECD hält 0,5 Prozent mehr Wachstum für möglich, auch der Währungsfonds und das Wifo empfehlen eine Deregulierung, und das seit Jahrzehnten.

Die eingangs erwähnte Debatte zur Gewerbeordnung mit Minister Ditz 1996 endete übrigens so:

Van der Bellen: Warum stockt die Liberalisierung der Gewerbeordnung schon wieder? Ich wünsche dem Nachfolger von Ditz ...

Heinz Fischer: Bitte die Redezeit beachten, Herr Abgeordneter.

Johannes Ditz hat sich an der Gewerbeordnung die Zähne ausgebissen.

"Leider hat die Akteure wieder der Mut verlassen"

Mit den Tiefen der Gewerbeordnung ist Johannes Ditz gut vertraut. Er ging 1996 mit einem Entrümpelungsvorhaben unter. Für den früheren Wirtschaftsminister ist es höchst an der Zeit, das "Bürokratiemonster zu verjagen ".

Sie haben 1996 als Wirtschaftsminister eine weitreichende Liberalisierung der Gewerbeordnung vorgelegt. Was waren Ihre Motive?

Ich glaube, dass sich die Welt wesentlich geändert hat und sich die Qualität im Wettbewerb durchsetzt. Man muss nicht den Leuten in einer vorauseilenden Bevormundung klarmachen, dass alles sicher und dreimal geprüft ist, bevor jemand ein Gewerbe ausüben kann. Da könnte es viel mehr Flexibilität geben, aber dazu hat man sich offen-sichtlich nicht durchringen können.

Sie sind dann ja auch zurückgetreten. Wer war dafür verantwortlich?

Für meinen Rücktritt entscheidend war, dass ich damals mit Wolfgang Schüssel angetreten bin, wir die Wahl aber nicht gewonnen haben. Als Mann der Wirtschaft wurde ich dann vielfach gefragt, warum ich meinen Leuten das antun möchte. Da hätte man in einem harten, aber konstruktiven Dialog noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, um eine echte Reform umzusetzen.

Apropos Mann der Wirtschaft: Der größte Widerstand gegen eine Liberalisierung kam aus der Wirtschaftskammer.

Die Wirtschaftskammer ist eine institutionelle Interessenvertretung, die sehr feingliedrig aufgestellt ist. Jeder Fachverband, jede Branche hat eigene Vertreter, die in ihrem Kosmos wirken. Für die ist jeder große Eingriff ein Schock. Die Kammern sind aus Bestandswahrung nicht in der Lage, eine große Reform durchzusetzen, weil sie den Status quo vollziehen.

Und wie beurteilen Sie den aktuellen Entwurf zur Gewerbeordnung?

Es ist nicht das, was man sich vorgenommen hat. Für mich ist beängstigend, dass Österreich in den letzten vier, fünf Jahren beim Wachstum unter dem EU-Durchschnitt gelegen ist und die Arbeitslosigkeit rasant nach oben geht. Daher müssen wir die Barrieren jetzt großflächig wegräumen, damit wir wachstumsmäßig aufholen. Neue Dynamik wird nur entstehen, wenn wir das österreichische Bürokratiemonster verjagen. Die Gewerbeordnung hätte ein Befreiungsschlag sein können, aber leider Gottes hat die Akteure wieder der Mut verlassen.

(Andreas Schnauder, 27.11.2016)