Wesley Chu: "Die Tode des Tao"
Broschiert, 493 Seiten, € 10,30, Fischer Tor 2016 (Original: "The Deaths of Tao", 2013)
Das ist mal ein schneller Anschluss! Kaum war der erste Teil von Wesley Chus Secret-History-Trilogie über den jahrtausendealten Kampf zweier Alien-Fraktionen auf der Erde heraußen ("Die Leben des Tao"), folgt auch schon die Fortsetzung.
Zur Erinnerung: Vor Millionen von Jahren ist ein außerirdisches Raumschiff auf der Erde abgestürzt, seitdem gfretten sich seine Passagiere – die annähernd unsterblichen Quasing – als Symbionten in den Körpern irdischer Lebensformen durch; bevorzugt Menschen. Mit dem Ziel, irgendwann wieder nach Hause zu kommen, beeinflussten sie massivst die Entwicklung der Menschheit. Leider haben sie sich im Lauf der Zeit allerdings in zwei Fraktionen aufgespaltet, die sich spinnefeind sind und in ihrem blutigen Bürgerkrieg schon Millionen Menschenleben auf dem Gewissen haben. Ungefähr jedes historische Ereignis hat seine eigentliche Ursache in diesem Konflikt.
Zur Handlung
Seit dem ersten Band sind ein paar Jahre vergangen. Die beiden menschlichen Hauptfiguren Roen und Jill haben zueinander gefunden, einen Sohn gezeugt und sich wieder getrennt. Nun kämpfen sie an unterschiedlichen Fronten des großen Krieges, beide auf Seiten der Prophus, der etwas weniger skrupellosen Alien-Fraktion (Roens Symbiont ist der titelgebende Tao).
Es gibt inzwischen besorgniserregende Anzeichen dafür, dass die Gegner der Prophus, die Genjix, die Strategie gewechselt haben. Sie scheinen sich nun dauerhaft auf der Erde einrichten zu wollen – was allerdings auch heißt: deren Umweltbedingungen zu verändern. Das sind potenziell apokalyptische Nachrichten für die Menschheit. Die Prophus stemmen sich dagegen, sind in jüngerer Vergangenheit aber zunehmend ins Hintertreffen geraten.
Die Hauptfiguren
Roen hat sich mit der Führung der Prophus überworfen und geht eigenen Spuren nach, die ihn nach Südostasien führen – dieser Handlungsstrang reicht nur deshalb über die volle Romanlänge, weil er mit allerlei Gefechten und sonstigen Action-Einlagen gestreckt ist. Jill agiert derweil mit ihrem Symbionten Baji als Lobbyistin in Washington. In Form des – auch als solches bezeichneten – James-Bond-Verschnitts Marco erhält sie einen Kampftrainer zur Seite gestellt, mit dem sie das nachvollzieht, was Roen über weite Teile des ersten Bands tat: vom Normalo zum schlagkräftigen Agenten zu mutieren.
Neu in "Die Tode des Tao" ist Enzo, ein sogenanntes Adonis-Gefäß, also ein optimierter Mensch, der eigens dafür gezüchtet wurde, einen Genjix in sich aufzunehmen. Der größenwahnsinnige Enzo wird zum zentralen Antagonisten des Romans. Und zeigt zugleich, dass die Einflussmöglichkeiten eines Quasing auf seinen Wirt begrenzt sind: Enzo wird zur unguided missile. Und der Roman nimmt im letzten Drittel beträchtlich Fahrt auf. Nachdem zuvor viel (zu viel) Action um der Action willen stattfand, kommt es dann fast schon überraschend doch noch zu echten Handlungsfortschritten und sogar zu dramatischen Umwälzungen.
Auf den Schauplätzen Taiwan, Tibet und Washington entfaltet Chu einmal mehr den Mix, der seine Trilogie so populär gemacht hat: Einerseits Action (der Roman beginnt bereits mit einem wilden Schusswechsel, es folgen viele weitere, plus Faustkämpfe, Parkour-Training und was nicht alles), andererseits Humor. Egal, wie nahe der Weltuntergang rückt, speziell Roen und sein Symbiont Tao lassen ohne Unterlass den Schmäh rennen: "Diese Sparmaßnahmen nerven. Ich bin auf einer Weltrettungsmission. Ich sollte nicht zweite Klasse fliegen müssen." "Tut uns leid, mächtiger Weltenretter. Vielleicht sollten wir einfach auf Kugeln und Schutzwesten verzichten, um die Flüge upzugraden." "Kann man nicht woanders sparen?" "Der Taco-Mittwoch im Büro wurde bereits gestrichen."
Schmerzhafte Exkurse
Ein Problem, das zumindest ich spätestens bei Band 2 nicht mehr ausblenden kann, ist die Plausibilität. Action und Humor sind ja schön und gut. Aber Chu hat auch einen Rahmen geschaffen, und der ist peinlich. Ist es im Zeitalter von Wikipedia zuviel verlangt, sich wenigstens ein bisschen mit Fakten zu befassen, bevor man drauflos schwadroniert? Chus Ausflüge in Raum und Zeit lesen sich wie ein Rücksturz in jene wurschtige SF-Ära, als "Galaxie" noch synonym für "Sonnensystem" verwendet wurde, die Dinosaurier durch die Eiszeit ausstarben und der Gigantopithecus ein riesiger Urmensch war. Ob Klimaforschung oder Astronomie, Physik, Chemie oder Evolution: Wirklich alles, was Chu in seinen "wissenschaftlichen" Randbemerkungen erwähnt, ist Käse. Die Quote muss man auch erst mal hinbekommen.
Diese Exkurse könnte man noch ignorieren, weil sie für die Handlung ohnehin zumeist irrelevant sind. Sie werfen aber kein günstiges Licht auf den Umgang Chus mit dem einen Fachgebiet, das hier wirklich eine zentrale Rolle spielt, nämlich die Geschichte. Und tatsächlich sind Chus historische Betrachtungen milde ausgedrückt naiv – und höchst oberflächlich. Sie erschöpfen sich darin, welches Alien einst in welchem Promi steckte und irgendeine geniale Erfindung machte oder aus persönlichen Motiven heraus einen Krieg begann. Die historischen Rückblenden, die jedem Kapitel vorangestellt sind, lesen sich, als würde einem jemand die Urlaube seines Lebens nacherzählen, einen nach dem anderen.
Und noch mehr Logikprobleme
War es ursprünglich noch eine faszinierende Idee, dass die menschliche Geschichte von einem der Allgemeinheit unbekannten Konflikt geprägt ist, so erscheint die weltweite Geheimverschwörung zunehmend unwahrscheinlich: Zu viele Menschen wissen um die Hintergründe Bescheid (unter anderem anscheinend die halbe chinesische Armee), als dass sie niemals jemals irgendwo an die Öffentlichkeit gedrungen sein könnte. Gibt's hier nicht wenigstens irgendwo einen verschwörungstheoretischen Blogger?
Und noch eine Frage drängt sich irgendwann auf, und die betrifft immerhin die zentrale Prämisse der Trilogie: Wenn die Quasing – bis vor Kurzem zumindest – nur so schnell wie möglich nach Hause wollten, warum haben sie dann nicht ihre technologischen Kenntnisse dafür genutzt, eine stabile und möglichst rasch voranschreitende Zivilisation aufzubauen? Hätten sie ihr Rückflugticket dann nicht viel schneller in der Hand als durch vollkommen wahllose Krieg-und-Frieden-Experimente? Leider hat die "Tao"-Trilogie Logik-Löcher, durch die locker Larry Nivens ganze Ringwelt fliegen könnte.
Yeah, well
Unterm Strich bleibt ein juveniles Abenteuer, das durchaus Spaß macht, solange man es schafft, sich auf den reinen Action-und-Humor-Mix zu konzentrieren und das schwer fehlerhafte Drumherum auszublenden. Wer die Trilogie zu Ende lesen möchte, erhält dazu die Gelegenheit im Februar, wenn der Abschlussband "Die Wiedergeburten des Tao" erscheint.