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Washington, D.C. am Sonntag: Großeinsatz nach Schüssen in der Pizzeria "Comet Ping Pong".

Foto: AP / Sarah L. Voisin

"Facts matter!", hat jemand auf weißes Papier geschrieben und das Blatt unter eine Bambushecke an einen der Pflanzkübel vor die Pizzeria Comet Ping Pong geheftet. Neben Zetteln, auf denen steht, dass man nun erst recht im Comet Pizza esse, allein schon, um Solidarität zu bekunden. Es ist eine Art provisorischer Schrein, der da entstanden ist im Wohnviertel an der Connecticut Avenue an einer lärmenden Straßenkreuzung im Nordwesten Washingtons.

"Fakten sind von Bedeutung": Der Spruch hat einen Grund, denn es waren Fake News, erfundene Nachrichten, die das Comet zum Schauplatz eines Dramas werden ließen – ein modernes, schlicht eingerichtetes Restaurant, in dessen Hinterzimmer man Tischtennis spielen kann.

Es hat sich am Sonntag zugetragen, als ein junger Mann, bewaffnet mit einem Sturmgewehr des Typs AR-15, ins Comet stürmte. Während die wenigen Gäste, die an jenem Nachmittag an den langgestreckten Tischen saßen, nach draußen flohen, machte sich der Eindringling auf die Suche nach einem Verlies. So steht es im Polizeiprotokoll, in dem Edgar Maddison W. auch den Grund für seine Attacke nannte. Im Internet hatte er gelesen, das Comet diene einem Pädophilenring als getarnte Zentrale, und im Keller des Lokals missbrauche man Kinder als Sexsklaven. Worauf W. sechs Stunden aus einer Kleinstadt in North Carolina nach Washington fuhr, um die gequälten Kinder aus ihrer Not zu befreien. Auf seinem Weg schoss er auf das Schloss einer Tür und auf einen Computer. Menschen kamen nicht zu Schaden.

Vom Wahlkampf zur Realität

Bizarr ist die Vorgeschichte. Es begann damit, dass James Alefantis, der Besitzer der Pizzeria, mit John Podesta, dem Wahlkampfmanager Hillary Clintons, der gern ins Comet kam, korrespondierte. Nachdem Hacker Podestas E-Mails erbeutet hatten, machte Wikileaks den Fundus publik, was Alefantis zum Verhängnis wurde.

Zu den Verschwörungstheorien der US-Wahlschlacht gehörte die Geschichte, nach der Hillary Clinton die Spinne im Netz eines Kindersexrings sein soll. Und Podesta ihr Handlanger. Und Alefantis ein Bösewicht, der den Kerker bewachte. Im Keller des Comet. Beweise gibt es für all das nicht.

Dennoch verbreitete sich das Gerücht wie ein Lauffeuer über die sozialen Medien, bis am Tag vor dem Präsidentschaftsvotum erstmals von "Pizzagate" die Rede war. Und auch nun, als W. kein Verlies fand, war die Sache noch nicht erledigt. Ein gewisser Michael Flynn Jr. twitterte noch Stunden nach der Festnahme: "Bis sich #Pizzagate als falsch herausstellt, bleibt es eine Geschichte." Nun ist Flynn Jr. der Sohn eines Exgenerals, den Donald Trump zum Sicherheitsberater befördern will. Obendrein saß er im Übergangsteam des nächsten US-Präsidenten, ehe er am Dienstag dort gehen musste.

Dann wäre da noch Abdel Hamad, Besitzer einer kleinen Pizzabäckerei gleich neben dem Comet. Die macht, was auf der Hand liegt, mit einem Stück Pizza Reklame. Nur dass Verschwörungstheoretiker das Logo zu einem Symbol der Kinderpornografie umdeuteten, worauf Hamad es von seiner Website entfernte. Worin Verschwörungstheoretiker nun ein Schuldeingeständnis sahen. Hamad wird seither mit dem Tod bedroht.

Oder Sabrina Ousmaal, die Betreiberin eines nahegelegenen Bistros namens Terasol. Hillary Clinton hat vor Jahren einmal im Terasol gegessen, weshalb auch Ousmaal sich im Visier der Verschwörungstheoretiker fand. Die übrigens wollen nicht glauben, dass W. im Comet kein Kindergefängnis fand. Nach der neuesten Version ist er nur eine Marionette des Clinton-Clans, die losgeschickt wurde, um die Wahrheit zu vertuschen. (Frank Herrmann aus Washington, 9.12.2016)