Vorgezogene Bescherung: Walter Leidenfrost (li.) und Julia Pimingstorfer (Mi.) in Oliver Jauks (re.) "Ludwig van".

Foto: Gerhard Wasserbauer

Das Gericht des Abends ist ein flaumiger, würziger Brandteigkrapfen vom Hirn.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Schwarzbraun ist die Lamperie, düster funzelt die Beleuchtung, den Eingang bewacht ein dicker Brokatvorhang: Das "Ludwig van" in der Laimgrubengasse ist ein auf schwermütigen Historismus getrimmtes Beisl aus den 1980er-Jahren, in dem bis vor kurzem Riesenschnitzel zu Kampfpreisen aus der Küchendurchreiche geschossen kamen.

Dass an diesem unwahrscheinlichen Ort auf einmal außerordentliche Wiener Küche voll spielerischer Schaffensfreude auf den Tisch kommt, war echt nicht ausgemacht. Zu verdanken ist es Oliver Jauk, einem aus Düsseldorf gebürtigen Beutewiener, der zuletzt schon das nahe Stiegenbeisl zum (nicht nur) atmosphärisch dichten Statt-Heurigen umfunktionierte. Davor manövrierte er Gerers Palazzo durch die Untiefen der Eventgastronomie.

Kochtalente im Tschocherl

Jetzt also Bistronomie. So nennt sich der erfreuliche, in Paris entstandene Megatrend, mehr oder weniger abgetakelten Tschocherln hochmotivierte Kochtalente in die Kombüse zu stellen, auf dass da fortan Gourmetkreationen zu Kampfpreisen serviert werden. Jauk konnte sich dafür gleich zwei Ausnahmekönner angeln: Walter Leidenfrost und Sous-Chefin Julia Pimingstorfer, die zuletzt im Hernalser Weinhaus Arlt aufgezeigt hatten.

Der zum Weinhändler mutierte Sommelier Robert Stark steuert dazu eine kantige, mit Finesse zusammengestellte Weinauswahl bei, das Mittagsgeschäft schupft mit "Mamsell" Nora Kreimeyer eine weitere Auskennerin, deren anmutig handfeste Küche manchen noch aus dem St. Charles Alimentary in Erinnerung sein dürfte.

Abends aber geht es richtig zur Sache: Die Karte ist mit elf Gerichten bewusst klein gehalten und wird laufend gewechselt. Als Gast darf man sich daraus freihändig ein Menü zusammenstellen. Um rund zehn Euro je Gang werden dann Köstlichkeiten der neueren Wiener Küche aufgefahren, wie man sie in dieser Konzentration und Virtuosität auch in hochdekorierten Nobellokalen nur selten erwarten darf. Dass sie ganz nonchalant auf altertümlichem Goldrand-Geschirr statt Designporzellan serviert werden, passt nicht nur zum Ambiente – es hilft auch, den Fokus aufs Wesentliche zu richten.

Wolkiges Nockerl

Beim Geschmack kann man Leidenfrost und Pimingstorfer nämlich nichts vormachen. Mit einer vergleichsweise klassischen Ochsenschwanz-Consommé samt ideal wolkigem Grießnockerl zum Beispiel, kraftvoll, straff, zaubertrankmäßig. Oder hauchfeinen und doch bissfesten Radicchio-Ravioli mit Maroni, Schmorsaft und kurz sautiertem Bries – ein Zwischengang, der winterliche Aromen mit zwingender Eleganz zusammenfügt, großes Können.

Ob knusprig gebratener Kabeljau mit kümmelig saurer roter Rübe und molligem, kraftvollem und doch federleichtem Saftl oder ideal scharf angegrilltes Rib-Eye von der alten Milchkuh mit Wirsing und Zwiebel: Der Küche macht es einen Heidenspaß, fordernde Aromen mit spielerischer Leichtigkeit zusammenzuführen.

Das zieht sich so durch bis zum Dessert, einem leider geilen Elvis-Toast mit köstlichem Speckeis, karamellisierter Banane und Erdnusscreme. Das Gericht des Abends – und eine der tollsten neuen Ideen zur Wiener Küche seit langem – ist aber ein flaumiger, würziger Brandteigkrapfen vom Hirn (siehe Bild), den Leidenfrost mit Topinamburpüree, Gegenbauer-Apfelbalsam und einer wundersam duftigen Scheibe von der geschmorten Zunge zu einem Gericht kombiniert, nach dem sich auch erklärte Innereienskeptiker verzehren würden – wenn sie es denn wagten, davon zu kosten. (Severin Corti, RONDO, 16.12.2016)