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Diese Darstellung zeigt die molekulare Struktur des Cas-Proteinkomplexes, mit dessen Hilfe DNA gezielt editiert werden kann. Dadurch können Organismen genetisch verändert werden.

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Die kanadische Philosophin Françoise Baylis forscht über die Ethik von Wissenschaft.

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STANDARD: Sie vertreten die Ansicht, dass es wichtig sei, die Bevölkerung stärker in wissenschaftliche Debatten einzubeziehen – warum?

Baylis: Menschen haben meiner Meinung nach das Recht darauf, an Debatten darüber teilzunehmen, wohin sich die Wissenschaft bewegt. Denn letztlich gehört die Wissenschaft uns allen. Dabei müssen wir auch an unserem Verständnis von wissenschaftlicher Kenntnis ansetzen: Oft wird gesagt, wir müssen dafür sorgen, dass Leute die Wissenschaft verstehen. Dahinter steht oft die Ansicht, die Menschen wären derselben Meinung wie die Wissenschafter, wenn sie die Wissenschaft verstehen würden. Ich glaube nicht, dass das der richtige Zugang ist.

STANDARD: Aber ist es nicht wichtig, dass die Öffentlichkeit wissenschaftliche Grundkenntnisse hat, um sich in wissenschaftliche Debatten einbringen zu können?

Baylis: Für mich hat die Beteiligung der Öffentlichkeit vor allem mit Ermächtigung zu tun. Wir müssen aufhören, zu glauben, dass der Weg, die Leute zu involvieren, ist, ihnen wissenschaftliche Details zu vermitteln, die für sie nicht wichtig sind. Entscheidend ist, dass sie die Ziele und Anwendungen der Wissenschaft verstehen, um sich an Debatten beteiligen zu können. Wir müssen die Menschen ermutigen und ermächtigen, ihre Werte in die Diskussion einzubringen.

STANDARD: Wie würden Sie das auf Genome-Editing umlegen? Geht es weniger darum, die Details der "Genschere" CRISPR/Cas zu verstehen, sondern mehr um die Frage, was man damit tun kann?

Baylis: Genau. Die Leute sollten meiner Ansicht nach wissen, dass es manche Wissenschafter gibt, die das Ziel haben, Menschen mit CRISPR/Cas zu behandeln. Bei den meisten Krankheiten wären sich die Leute einig, dass es wichtig ist, diese zu behandeln, zum Beispiel bei der Huntington-Krankheit. Man kann den Leuten vermitteln, was diese Krankheit für Menschen bedeutet, die darunter leiden. Man kann erklären, wie man durch genetische Interventionen glaubt, diesen Menschen helfen zu können. Wir können auch darüber diskutieren, dass man nicht die Menschen selbst, sondern ihr Erbgut genetisch verändert, damit die Krankheit nicht weitergegeben wird.

STANDARD: Welche ethischen Fragen sind mit der Methode CRISPR/ Cas verbunden?

Baylis: Es gibt einige Leute, die enthusiastisch sind, was den Transhumanismus angeht und mit CRISPR/Cas noch weiter gehen würden. Ihnen geht es nicht nur darum, eine Krankheit zu korrigieren, sondern sie meinen, dass wir nicht die beste Maschine sind und uns selbst besser machen sollten. Dabei gibt es ausgefallene Vorschläge: Wir sollten unsere Gene derart editieren, dass wir im Wasser atmen können. Oder wir sollten uns so modifizieren, dass wir die Erde verlassen und auf einem anderen Planeten leben könnten.

STANDARD: Wie denken Sie über solche Vorschläge?

Baylis: Die Wissenschaft gehört uns allen. Damit ist eine Orientierung für die öffentliche Gesundheit verbunden statt eines Fokus auf singuläre, individuelle Verbesserungen. Wir müssen alles tun, was wir können, damit alle von der Wissenschaft profitieren. Es ist mir nicht klar, ob die Investitionen, die bisher in CRISPR/Cas getätigt wurden, das als ihr leitendes Prinzip hatten.

STANDARD: Wenn die Wissenschaft bislang nicht immer den Menschen diente – wem dann?

Baylis: Bei Fortschritt und Innovation geht es sehr oft um Produkte und Produktivität. Innovation heißt sehr oft, schlicht Geld zu verdienen. Wir sehen das auch bei CRISPR/Cas: Dabei befinden sich zwei Parteien im Patentstreit, die bereits mehrere Millionen Dollar investiert haben. Doch Fortschritt sollte in diesem Bereich nicht primär Gewinne und Patent bedeuten. Unlängst habe ich in einem Museum einen Satz gelesen, der mir sehr berührt hat: "Es ist einfacher für uns, uns das Ende der Welt vorzustellen, als uns das Ende des Kapitalismus vorzustellen." Ich denke, dass das damit zusammenhängt, dass uns Vorstellungen präsentiert wurden, wie das Ende der Welt aussehen könnte. Doch in Bezug auf den Kapitalismus gibt es solche kaum. Wo sind die kreativen Alternativen zum Kapitalismus?

STANDARD: Es wird oft behauptet, dass die Ethik der Wissenschaft stets hinterherhinkt – was antworten Sie darauf?

Baylis: Ein prominentes Beispiel dafür, dass das nicht stimmt, ist das Klonen von Menschen: Die Wissenschafter haben noch kein menschliches Wesen geklont, aber wir haben seit Jahrzehnten über das Klonen von Menschen geschrieben. Sehr oft sind es Wissenschafter, die behaupten, dass die Ethik hinterherhinke. Sie haben von sich das Bild, dass sie voranschreiten und die Ethiker hinterher. Dahinter verbirgt sich die Annahme, dass es immer das Richtige ist, sich vorwärtszubewegen. Und wenn die Ethiker das nicht verstehen, wird gesagt, sie seien im Mittelalter steckengeblieben. Für mich ist klar: Wissenschaft und Ethik müssen Hand in Hand gehen. Es gibt keine Fakten, die objektiv gültig sind. Denn alle Fakten sind von Menschen gemacht, die eine bestimmte Perspektive auf die Welt haben.

STANDARD: Welchen Beitrag kann die Philosophie dabei leisten?

Baylis: Die harte Arbeit der Philosophie ist es, die richtigen Fragen zu stellen. Wenn wir einmal bessere Fragen haben, werden wir bessere Antworten bekommen. Das trifft auch auf das "Drei-Eltern-Baby" zu. Mittels eines sogenannten Spindeltransfers konnte eine Mutter, die an einer mitochondrialen Erbkrankheit leidet, ein gesundes Kind gebären. Das klingt nach einem ehrenswerten Ziel. Doch es gibt noch andere Aspekte, die man erwähnen sollte: Forscher haben berechnet, dass in den USA bei 300 Millionen Einwohnern maximal 778 Menschen pro Jahr davon profitieren könnten. Nicht alle werden Kinder haben wollen oder sich die Methode leisten können, so bleiben rund 100 Betroffene pro Jahr übrig. Vom Standpunkt der öffentlichen Gesundheit ist das kein prioritäres Problem – wir sollten uns fragen, ob wir Millionen an Steuergeld und das Talent vieler Wissenschafter dafür einsetzen wollen. (INTERVIEW: Tanja Traxler, 16.12.2016)