Immer mehr Dienstleistungen sind über Online-Plattformen verfügbar. Verschiedene Apps ermöglichen es zum Beispiel, sich von Privaten in deren eigenen Autos herumfahren zu lassen oder in den Privatwohnungen anderer zu nächtigen. Etwas weniger sichtbar, aber mindestens ebenso wichtig sind Plattformen, die es Firmen unter dem Schlagwort "Crowdwork" ermöglichen, verschiedene Arbeiten von den billigsten Anbietern online erledigen zu lassen, Arbeiten wie Dateneingabe, Korrekturlesen Programmieren etc.

Diese Entwicklungen scheinen zunächst einmal für viele erfreulich: Aufgaben und Dienstleistungen werden flexibel und unkompliziert erledigt, ArbeitnehmerInnen können sich ihre Arbeitszeiten frei einteilen und mit anderen (etwa familiären) Verpflichtungen vereinbaren, sie sind nicht der Kontrolle von Chefs unterstellt, und so weiter.

Die andere Seite dieser Entwicklungen ist, dass immer mehr traditionelle Arbeitsverhältnisse durch neue Formen der (Schein-)Selbstständigkeit ersetzt werden. Bei einer Online-Befragung der Arbeiterkammer gaben 18 Prozent der Befragten an, zumindest gelegentlich über Crowdwork-Plattformen zu arbeiten. Die demografische Zusammensetzung dieser Crowdworker ist breit gestreut; noch ist diese Form der Arbeit für viele eine Nebenbeschäftigung.

Ähnliche Entwicklungen in anderen Ländern sind weiter fortgeschritten. So ist ein großer Teil der seit der Finanzkrise in den USA neu entstandenen Jobs "nichttraditionell", das heißt über Zeitarbeitsfirmen, Freelancer-Verträge, Online-Plattformen und ähnliche Arrangements organisiert. Der Anteil der ArbeiterInnen in den USA mit solchen Arrangements stieg zwischen 2005 und 2015 von zehn auf 16 Prozent an.

Warum führen neue Technologien dazu, dass es zu mehr (Schein-)Selbstständigkeit kommt und traditionelle Arbeitsverhältnisse rückläufig sind? Die Antwort darauf hängt mit einer alten ökonomischen Frage zusammen: Warum werden manche Aufgaben innerhalb von Firmen und andere über (anonyme) Märkte erledigt? Durch die neuen Technologien wird es viel einfacher, Informationen auszutauschen, ArbeiterInnen zu überwachen und Verträge einzulösen. Das alles führt dazu, dass es profitabler wird, Aufgaben an den Markt auszulagern. Aus ArbeiterInnen werden neue Selbstständige.

Das hat möglicherweise große Folgen. Die Mehrheit der Errungenschaften des modernen Sozialstaats, erkämpft über mehr als hundert Jahre, hängt an traditionellen Vollzeit-Lohnarbeitsverhältnissen. Pensions- und Krankenversicherung, Krankenstand und Mutterschutz, Arbeitszeitbeschränkungen und Feiertage, betriebliche Mitbestimmung und Diskriminierungsverbote, Kollektivverträge – sie alle sind mit Anstellungsverhältnissen verknüpft.

Hürden für Mobilisierung

Ähnliches gilt für die traditionellen Gewerkschaften. Sie waren immer am erfolgreichsten in ihrer Mobilisierung in großen Industriebetrieben, in denen vielen ArbeiterInnen eine klare Gegenpartei gegenübersteht und in denen sich die ArbeiterInnen täglich in der Fabrik begegnen und kennen. Demgegenüber ist es viel schwieriger, vereinzelte Selbstständige zu organisieren, die sich nie begegnen und denen nur der anonyme Markt gegenübersteht statt eines großen Arbeitgebers. Und genau das wird immer häufiger, unter anderem dank der neuen Arbeitsplattformen. Mit der schwindenden Macht der Gewerkschaften steht aber auch der Sozialstaat immer mehr infrage.

Aber nicht nur auf der Ebene des Arbeitsrechts und der Gewerkschaftsarbeit haben die neuen Arbeitsformen Folgen. Wirtschaftliche Interaktionen in den verschiedensten Gesellschaften können in verschiedene Formen eingeteilt werden, unter anderem altruistische Beziehungen (man bekommt, was man braucht, und gibt, was man kann), hierarchische Beziehungen (ein Verhältnis zwischen Ungleichen mit wechselseitigen Verpflichtungen) und Tauschbeziehungen (ein Austausch von Gleichwertigem, ohne bleibende Verpflichtungen nach Vollzug des Tausches). Durch die neue Selbstständigkeit werden Beziehungen, die traditionell außerhalb des Marktes lagen, in Tauschbeziehungen umgewandelt, mit potenziell weitreichender Erosion von Normen gegenseitiger Verpflichtung.

Anpassungen erforderlich

Was ist in dieser Angelegenheit zu tun? Eine Möglichkeit wäre, den Status quo zu verteidigen zu versuchen: die Verbreitung von Online-Arbeitsplattformen zu verhindern oder zu erschweren, den Eintritt von neuer Konkurrenz für etablierte Unternehmen verhindern, und so weiter. So eine Reaktion ist oft verständlich und vielleicht manchmal gerechtfertigt, aber insgesamt wenig erfolgversprechend.

Zum einen werden so leicht die Interessen von verhältnismäßig bessergestellten ArbeiterInnen gegen die Konkurrenz von weniger privilegierten (Jungen, MigrantInnen ...) verteidigt. Zum anderen verliert man sich so leicht in Rückzugsgefechten ohne Zukunftsperspektive und mit wenig Mobilisierungspotenzial.

Eine andere Möglichkeit – und die langfristig wohl erfolgversprechendere – wäre, Organisationsarbeit und Sozialgesetzgebung den neuen Verhältnissen anzupassen. Der Schutz des Arbeitsrechts sollte ausgedehnt werden auf ArbeiterInnen, die nicht in traditionellen Vollzeitarbeitsverhältnissen sind und denen kein wohldefinierter Arbeitgeber gegenübersteht. Sozialleistungen sollten entkoppelt werden von traditionellen Arbeitsverhältnissen. Gewerkschaften sollten sich bemühen, neue Gruppen zu organisieren, jenseits der traditionellen Hochburgen in Industrie und öffentlichem Sektor. Diese Veränderungen werden schwierig, aber es führt letztlich wohl kein Weg an ihnen vorbei, wenn die Errungenschaften des Sozialstaats nicht verlorengehen sollen. (Maximilian Kasy, 18.12.2016)