Mit der Elektroenzephalografie können Mediziner feststellen, welche Hirnregion genau die epileptischen Anfälle hervorruft.

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Eine Hirn-OP war die letzte Option. Während der epileptischen Anfälle hatte die 15-jährige Patientin infolge übermäßiger elektrischer Entladungen im Gehirn immer wieder das Bewusstsein verloren. Durch Medikamente ließen sich die Anfälle nicht unter Kontrolle bringen. An sich nichts Ungewöhnliches. Immerhin helfen bei rund 30 Prozent der Betroffenen keine Medikamente gegen die Attacken. Die behandelnden Ärzte entschlossen sich daraufhin zu einem chirurgischen Eingriff. Immerhin litt die junge Frau unter einer Variante von Epilepsie, bei der die Anfälle von einem eingegrenzten Herd im Gehirn ausgehen. In solch einem Fall ist es durchaus üblich, das betroffene Nervengewebe zu entfernen.

Die Ärzte bohrten daraufhin zunächst ein Loch in den Schädel der 15-Jährigen und durchtrennten die Hirnhäute, die das Gehirn umgeben. Auf das Hirngewebe legten sie anschließend ein Gitter mit Elektroden. Auf diesem Weg wollten sie per Elektroenzephalografie (EEG) feststellen, welche Hirnregion genau die Anfälle hervorruft, um sie dann chirurgisch zu entfernen. Doch das Ergebnis war entmutigend. Die Anfälle rührten von einem Gebiet her, das man nicht so einfach entfernen konnte, ohne wichtige Funktionen des Gehirns zu schädigen.

Das rief nun Forscher um den Neurologen Brian Lundstrom von der Mayo Clinic in Minnesota auf den Plan. Ihre Idee: Sie wollten bei der 15-jährigen Patientin – und zwölf weiteren Epilepsie-Patienten mit der gleichen Ausgangssituation – das Gitter mit den Elektroden nutzen, um die Hirnregion zu stimulieren, von denen die Anfälle ausgingen. "Bei Tieren und Menschen lassen sich so, abhängig von der jeweiligen Frequenz und Stromstärke der Stimulation, epileptische Anfälle hervorrufen oder unterdrücken", erklärt Dieter Schmidt, Leiter der Epilepsy Research Group in Berlin, der nicht an der Studie beteiligt war.

Unter Strom setzen

Herkömmliche Verfahren der Hirnstimulation nutzen dabei vielfach Geräte, die immer dann elektrische Impulse an die betreffende Hirnregion aussenden, wenn sie den Beginn eines Anfalls registrieren. Doch sie führen nur selten dazu, dass die Patienten von den unangenehmen Anfällen vollständig befreit werden.

Die Forscher um Brian Lundstrom setzten daher für ihre Studie im Fachblatt "JAMA Neurology" auf eine andere Strategie. Sie wollten die entsprechende Hirnregion kontinuierlich unter Strom setzen – und zwar unterschwellig. "'Unterschwellig' bedeutet eine Stromstärke zu verwenden, die zu gering ist, als dass sie bei einer einmaligen Stimulation einen Anfall hervorruft oder unterdrückt", sagt Dieter Schmidt. "Wendet man aber eine solche Stimulation wiederholt an, kann man schließlich doch einen klinischen Effekt hervorrufen."

Brachte die elektrische Reizung den Patienten Erleichterung, ersetzten die Wissenschafter das vorläufige Gitternetz aus Elektroden durch permanente Elektrodenkontakte, um eine langfristige Stimulation zu gewährleisten. Die Patienten vertrugen die dauerhafte Implantation ohne schwerwiegende Nebenwirkungen, berichten die Forscher.

Zweifel an valider Messung

Bei sechs der 13 Patienten schauten sich die Wissenschafter daraufhin epilepsietypische elektrische Entladungen im EEG an, die restlichen Patienten schlossen sie aus methodischen Gründen aus dieser Analyse aus. Zumindest bei den untersuchten sechs Probanden gingen die mit den Anfällen assoziierten Entladungen statistisch signifikant zurück – bei dreien sogar vollständig.

Ob sich die Zahl der Anfälle und deren Schwere aber tatsächlich verringerte, das erfassten die Forscher retrospektiv über einen Fragebogen. Hier berichteten zehn von 13 Patienten von einer Verbesserung der Schwere und Häufigkeit der epileptischen Anfälle. "Solche Befragungen sind aber ein sehr subjektives Maß", bemängelt Schmidt. Die Wirkung der unterschwelligen Stimulation hätten Lundstrom und seine Kollegen somit nicht ganz exakt gemessen.

Lundstrom sieht die Ergebnisse seiner Studie hingegen positiv: "Für Menschen, bei denen die Epilepsie weder durch Medikamente noch einen chirurgischen Eingriff behandelt werden kann, könnte eine effektive Hirnstimulation eine großartige Therapieoption darstellen."

Placeboeffekt nicht berücksichtigt

Doch Dieter Schmidt sieht noch ein weiteres Manko der Studie. Lundstrom und seine Kollegen hätten auch keinen Placeboeffekt kontrolliert. "Man muss bedenken: Patienten, bei denen keine herkömmliche Therapie anschlägt, haben sehr hohe Erwartungen an eine neue Therapie." Man wisse schon seit den 1950er-Jahren, dass es bei einem Teil der Patienten mit Epilepsie schon ausreicht, im Schädel ein Loch zu bohren – also ohne das Gehirn überhaupt zu berühren –, um die Anfälle um die Hälfte zu verringern. "Die in der Studie von Lundstrom gemessenen Effekte gehen also sehr wahrscheinlich zu großen Teilen auf einen solchen Placeboeffekt zurück."

Schmidts Fazit fällt daher zwiespältig aus. "Diese Pilotstudie ist spektakulär und interessant." Allerdings sei ihre Wertigkeit derzeit noch nicht abzuschätzen. Ähnlich sieht die bisherige Bilanz bei den wenigen anderen Studien aus, die eine unterschwellige, kontinuierliche Hirnstimulation als Behandlung von Epilepsie untersucht haben. Zwar nimmt die Zahl der Anfälle laut diesen Untersuchungen ab, aber es handelt sich um sehr kleine Fallstudien. Ob für manche Patienten mit therapieresistenter Epilepsie tatsächlich die unterschwellige Hirnstimulation eine echte Option sein könnte, das müssen erst noch streng kontrollierte klinische Studien unter Beweis stellen. (Christian Wolf, 18.1.2017)