Wien – 15 Jahre alt ist Florian Nüßle seit kurzem. Er sagt Dinge wie: "Die Matura ist für mein späteres Leben sehr wichtig, falls es mit Plan A nicht klappt." Plan A ist, Snooker-Profi zu werden.

Die Billard-Variante Snooker mag in Österreich nur wenige vom Hocker reißen. In Großbritannien aber ist sie eine große Nummer. Fast so groß wie Fußball. Dort will Nüßle auch hin. Nach der Matura, versteht sich. "Ich glaube, ohne England wird mein Ziel sehr schwer realisierbar sein."

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Vorerst ist Nüßle in Wien, 14. Gemeindebezirk, Hütteldorfer Straße 156 – 158, Passage, erste Tür rechts. "Heeres-Snooker & English Billiards Club" ist auf dem Türschild zu lesen. In dem Raum stehen acht Snookertische. Einer ist rund 3,6 Meter lang und 1,8 Meter breit. An vier Tischen wird an diesem Tag gespielt. Am hintersten Tisch, links in der Ecke, hat PJ Nolan Kamera und Laptop aufgebaut.

Experte aus Irland

Nolan ist Österreichs Nationaltrainer. In Carlow (Irland) betreibt er eine Snooker-Akademie. Sechsmal im Jahr kommt der Ire für Trainingscamps nach Österreich. Acht der besten Snookerspieler des Landes sind an diesem Dezember-Wochenende dabei. Nüßle, der 15-Jährige, ist der jüngste Teilnehmer. In Österreich ist er die Nummer zwei. Die Nummer eins, den Tiroler Andreas Ploner (23), hat Nüßle heuer erstmals besiegt. Mit 14. Ploner fehlt an diesem Samstag in Wien.

Am hintersten Tisch, links in der Ecke, bittet Nolan Nüßle die optimale Queue-Haltung vorzuzeigen. "Perfekt", sagt Nolan. Die Kamera hält es fest. Ob es für ihn komisch sei, als Vorbild für die älteren zu dienen? "Ich habe mich daran gewöhnt", sagt Nüßle.

Der Grazer gilt als großes Talent. "Er ist ein zukünftiger Star", sagt Nolan. Schon früh entdeckte Nüßle seine Liebe zum Snooker. Der Vater und das Fernsehen haben ihn dazu gebracht.

Als Dreijähriger probierte sich Nüßle am Billardtisch. Klein-Florian wollte aber an den größeren Tisch.
Foto: privat

"Als ich zwei oder drei Jahre alt war, bin ich auf dem Boden gelegen und habe mit dem Trommelstab Snooker-Bewegungen imitiert. Meine Eltern haben sich gefragt, was ich da mache." Schließlich nahm der Vater den dreijährigen Florian ins Billard-Cafe mit. "Billard hat mir aber überhaupt nicht gefallen. Ich wollte Snooker spielen. So wie die Profis im Fernsehen."

Auf dem Sessel an den großen Tisch

Im Alter von fünf Jahren war es so weit. Auf einem Sessel stehend begann Florian am großen Tisch zu spielen. "Es hat mich von Anfang an voll fasziniert." Zunächst war Nüßle auch in anderen Sportarten aktiv. Fünf Jahre lang kickte er bei Sturm Graz. Er hörte mit dem Fußball auf, weil er auch im Golf gut war, sogar im Nationalkader stand er. Aber letztlich entschied sich der Bub für Snooker. "Und dass ich Profi werden will."

Im Trainingszentrum in Wien-Penzing werden kurze Duelle mit drei Bällen gespielt. Jeder gegen jeden. An den Wänden hängen Bilder aus England: Telefonzellen, die Tower Bridge, Big Ben und Ronnie O’Sullivan.

Nüßle beim Training in Wien. An der Wand hängen Bilder aus dem Land, in das er einmal übersiedeln will. Großbritannien ist der Nabel des Snookersports.
Foto: Meggi Stelter

O’Sullivan ist der Welt berühmteste Snookerspieler – Nüßles Vorbild. "Wenn er will, spielt er wie von einem anderen Stern." Aber der fünffache Weltmeister will nicht immer. Er gilt als Enfant Terrible des Gentlemen-Sports. Nüßle sagt: "Wie er sich den Fans und den Medien präsentiert, ist nicht so toll."

Im Herbst ist Nüßle von Graz nach Salzburg übersiedelt, um im SSM (Schul-Sport-Modell) die fünfjährige Oberstufe zu absolvieren. Dort kann er Training und Schule besser vereinbaren. Der Teenager bezeichnet sich als Viererkandidaten. Oberste Prämisse: Durchkommen. "Ich bin extrem faul." Das gilt freilich nur für die Schule.

Fleißiger Trainierer

Im Snooker ist Nüßle ein Streber. Zwei- bis dreimal pro Woche übt er jeweils vier Stunden. An Wochenenden spielt er meistens Turniere, und wenn nicht, trainiert er auch da. Es ist eher nicht das typische Teenagerleben, das der Steirer führt. Aber Nüßle fehlt es an nichts. Sagt er. Die Faszination am Snooker sei zu groß.

Im Snooker muss abwechselnd ein roter Ball, der einen Punkt wert ist, und ein farbiger Ball (zwischen zwei und sieben Punkten) gelocht werden. Ein Spieler darf so lange weiterspielen, so lange er korrekt lochen kann. Die Punkte, die er dabei erzielt, werden als Break gezählt.

Ronnie O'Sullivan ist Nüßles Vorbild. "Er ist für mich der weltbeste Snookerspieler", sagt der 15-Jährige.
Foto: APA/AFP/ADRIAN DENNIS

Wer Breaks mit mehr als 100 Punkten spielen kann, ist schon ziemlich gut. Nüßle hat einmal ein "Century" geschafft (103) – aber da das nur im Training war, zählt es nicht offiziell. Im Wettkampf kam er in seinem bisher höchsten Break auf 97 Punkte. Das höchstmögliche Break ("Maximum Break") besteht aus 147 Punkten.

Ronnie O’Sullivan ist diesbezüglich eine Klasse für sich, er hält bei 13 Maximum Breaks. Das Lochspiel ist auch Nüßles Stärke. Aber im Snooker geht es auch um taktisches Spiel. Daran arbeitet der Grazer. In der Regel alleine. Der 15-Jährige hat keinen fixen Coach. "Leider gibt es in Österreich keinen Trainer, der mir weiterhelfen könnte." Der landesweit einzige Snookertrainer liegt in der Rangliste hinter Nüßle. Mit Nationalcoach Nolan tauscht er sich über Facebook aus. "Wenn ich ihn sehe, sagt er mir, was ich trainieren könnte. Das hilft mir sehr."

Mental stark

Ob Nüßle hin und wieder keine Lust auf Training hat? "Das kommt eigentlich nicht vor." Der Sport, sagt er, fasziniere ihn auch im Training. An der Kondition arbeitet er in der Schule. Ein Jahr lang hatte er einen eigenen Mentaltrainer. Nervenstärke ist im Snooker gefragt. Nolan sagt: "Mental ist er wahrscheinlich der stärkste Spieler, den wir haben." Nüßle weiß um seine Fähigkeiten. "Aber", sagt er, "ich muss weiter an mir arbeiten, weil das Ziel ist ja die Main Tour."

Nüßles Stärke ist das Lochen, am taktischen Spiel arbeitet der Grazer. Aufs Training hat er eigentlich immer Lust. Sagt er.
Foto: privat

Auf der Main Tour spielen die 96 weltbesten Spieler, die meisten kommen aus Großbritannien. Ein Österreicher hat sich noch nie für die Profi-Turnierserie qualifiziert. Nüßle wäre also der erste. "Der Konkurrenzkampf ist groß, aber er hat eine wirklich gute Chance", sagt Nolan über seinen Schützling. In seiner Altersklasse sei Nüßle in Europa Top-fünf. Bei der U18-Europameisterschaft schaffte es der damals 14-Jährige ins Achtelfinale.

Die Mama managt

Nüßles Mutter ist immer bei den Turnieren dabei. Sie ist quasi seine Managerin. "Früher habe ich den Sport nicht gekannt, jetzt bin ich eine Spezialistin", sagt Claudia Nüßle. Je älter der Sohn wird, desto häufiger spielt er auf internationalen Turnieren. Und das geht ins Geld. Der Verband übernimmt die Reisekosten nur teilweise. Ein Sponsor wird gesucht.

Dreimal hintereinander war Nüßle U16-Staatsmeister, einmal U21-Staatsmeister. Das Nahziel liegt auf der Hand: Nationaler Meister in der allgemeinen Klasse. Das Fernziel: England, Main Tour, Profi. Coach Nolan ist von Nüßles Zielstrebigkeit beeindruckt: "Er will trainieren, er will lernen. Andere sind gut, aber er will der Beste sein." (Birgit Riezinger, 3.1.2017)