Bei Grippe gerät die körpereigene Temperaturregulierung total aus der Kontrolle.

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Damit habe ich nun nicht mehr gerechnet! Ich bin ja Schwedenbittertrinker seit Kindesbeinen, und meine durchschnittliche Körpertemperatur beträgt – eine Laune der Natur? – seit zehn Jahren konstant tiefe 34,9 Grad Celsius. Damit kam ich cooler Hund bisher eigentlich ganz gut über die Runden. Und dann das!

Die Zugreise zum Weihnachtsfest der Familie in Oberösterreich fing schon nicht gut an. Meine Tochter – ansonsten größter Simpsons-Fan unter Gottes weitem Himmelszelt – wollte dieses Mal gar nicht schauen. "Papa, mir ist so heiß. Und so kalt. Und Kopfweh hab ich auch. Hier und hier." Dann schaute sie mich mit ihren traurigen Augen an und hustete mich von oben bis unten voll. Es war trockener Husten, der aber trotzdem schön feucht war, als er in meinem Gesicht ankam. Ich konnte gerade noch "Danke, Schatz!" sagen, bevor ich mir alles in meine Schleimhäute wischte.

Am Abend, bevor dann die Kerzen am Weihnachtsbaum brannten und die Bratwürstel brutzelten, legten wir beide uns noch für eine kurze Stunde aufs Ohr, wegen der schnellen Erholung. Ich liebe ja die dicke Flanellbettwäsche, die mich manch schneidigen Winter dort in den Bergen wohlig warm eingepackt überleben ließ. Am besten mit zwei dicken Daunendecken übereinander und noch einer dritten für die Füße.

System im Ausnahmezustand

Aber von wegen schnelle Erholung! Klar, meine Tochter war am nächsten Tag wieder fit (Kinder!). Mein Körper allerdings war mit seiner Umgebung plötzlich nicht mehr in Einklang zu bringen, alle Systeme liefen aus dem Ruder und meldeten: Alarm! Ich hatte plötzlich zwei glatt polierte Stahlkugeln in meinen Füßen, die von einer Eiskruste ummantelt waren und dort unablässig Kälte produzierten, und zwar egal, wie viele dicke Decken ich auch draufpackte. Das war beängstigend! Gleichzeitig brodelte aber der Rest meines Körpers wie ein von Donald Trump neu eröffnetes Kohlekraftwerk in Virginia. Das war ebenfalls beängstigend! Mein Herz pumpte auf Olympiasiegerniveau, was mir ebenfalls beträchtliche Sorgen bereitete, da ich keineswegs ein Olympiasieger bin. Kann, darf, soll ein Herz überhaupt jemals so schnell schlagen?, fragte ich mich. Und über so lange Distanzen?

Mit Anfällen trockenen Hustens im Zehn-Sekunden-Abstand trainierte ich meine Delta- und Bauchmuskeln. Das fühlte sich als große Anstrengung an – so als ob ich dabei kalorientechnisch auch gleich die Kekserl verbrannte, die ich erst gar nicht gegessen hatte. Denn auch das war erstaunlich: Ich hatte keinen Hunger! Ich wollte nur Orangen, die man zu dieser Zeit des Jahres praktischerweise in Kübeln verkauft. Einen davon stellte man mir praktischerweise neben das Bett.

Weiter Weg

Emmanuelle im thailändischen Dschungel war ein kühles Weib gegen mich! Verzweifelt drückte ich meine glühende Schädeldecke gegen das kalte Ziegelgemäuer oberhalb meiner Polster. Bis der Familienrat eine Abordnung schickte mit der Botschaft, ich könne nun endlich aufhören, das ganze Haus aufzuheizen – soo kalt wäre es nun auch wieder nicht! Unversehens hatten sich die kalten Stahlkugeln in meinen Füßen in heiße Kartoffeln verwandelt, und an meinen Sohlen wuchs mir Schmirgelpapier der Stärke zwölf.

Darauf kämpfte ich mich die drei Meter bis zur Toilette. Der Weg dorthin glich einer Reise in die Antarktis, ich war Shackleton und würde wie dieser nie wieder zurückkommen. Der Kontakt mit den nackten Fliesen ließ mich frösteln, ich hatte Angst festzufrieren. Der Blick in den Spiegel ließ mich erst recht erschaudern, ich hatte Angst, dass der, den ich sah, ich sein könnte. "Du auch hier?" Ich konnte den Schmerz in meinem Kopf richtig sehen! Er saß da direkt unter meiner Stirn und glich einer rot glühenden Stahlkugel mit extrem spitzen Zacken dran. Selbstverständlich rotierte die Kugel.

Unbändige Schwäche

Nur schnell wieder zurück ins Kistchen und einfach nur schlafen! Schlafen, schlafen und nochmal schlafen! Aber genau das gelang mir nicht. Die Probleme, die ich beim Einschlafen hatte, bewegten sich zwischen "Verdammt, ist das heiß!" und "Verdammt, ist das kalt!". Eine gar teuflische Gespielin namens La Grippa lag neben mir auf der Matratze und streichelte mit gefrorenen Zangen meinen Rücken. Plötzlich tat auch mein linker Oberschenkel weh! Als hätte ich ihn mir bei einem Zweikampf am englischen Boxing Day gezerrt. Einmal dachte ich echt, dass ich jetzt endlich Ruhe finden könnte, da fing der rechte Knöchel an zu schmerzen!

Ein befreundeter Arzt (er ist Unfallchirurg!) besuchte mich am vierten Tag meiner Qual und sagte: "Du schaust schlecht aus!" Dann ging er hinauf in die Küche und aß das Beuschel, das dort irgendwann extra für mich zubereitet worden war. In meinem seit Tagen offenen, vollkommen vertrockneten Mund hätte jemand Kakteen züchten können. Netterweise schaute meine Tochter hin und wieder vorbei und fragte beiläufig: "Papa? Geht's dir gut?" Und zwar immer dann, wenn ich gerade das Gefühl hatte, endlich einmal einschlafen zu können.

Endlich Schlaf

Am fünften Tag gelang es mir dann endlich, über zusammenhängende Minuten mit geschlossenem Mund zu atmen. Sobald ich den Sauerstoff auf diese Art tief einsog, entspannte sich mein Körper merkbar, und endlich schlief ich ein. Irgendwann erwachte ich dann aber und merkte, dass mein rechtes Bein außerhalb meines Deckensystems herumlag und – und sich dabei gut anfühlte! Gut, weil normal. Die Haut meines Beines schien wieder vertragskonform auf meine Umgebung zu reagieren und meldete "Mmmhm, schön kühl!" an mein Gehirn. Und auch alle anderen Systeme funktionierten plötzlich wieder, ohne auszuschlagen. Ein prüfender Griff an meine Stirn bestätigte: Körpertemperatur wieder nahe 34 Grad Celsius!

Ich wischte mir ein paar zähe Spuckefäden aus dem Gesicht und war endlich bereit für die Kekserl, anschließend bitte das traditionelle Beuschel! Aber von dem war leider gar nichts mehr übrig, und auch von den Kekserln gab es nur noch sehr, sehr wenige. (Manfred Rebhandl, 14.1.2017)