In einem genetisch modifizierten Mäuseembryo wächst Herzgewebe aus Stammzellen von Ratten heran.

Foto: Salk Institute

La Jolla / Wien – Obwohl das Wort ursprünglich nur "Ziege" bedeutete, ist mit der Chimäre in der altgriechischen Mythologie ein feuerspeiendes Untier aus Löwe, Ziege und Schlange gemeint. Ähnlich dramatische Bilder beschwören manche Kritiker von den Wesen herauf, die Genetiker heute als Chimären bezeichnen und im Labor aus Zellen unterschiedlicher Arten züchten. Die Experimente sind ethisch umstritten – vor allem wenn menschliches Gewebe im Spiel ist -, bergen aber auch eine große Chance: Die Wissenschafter hoffen mit diesem Verfahren, eines Tages menschliche Ersatzorgane wachsen zu lassen.

Frühere Experimente mit Stammzellen machten schnell klar, dass es äußerst schwierig ist, diesen zellulären Urzustand in der Petrischale in eine spezialisierte Zelle zu überführen, an Gewebe oder ganze Organe gar nicht zu denken. Daher wandten sich die Forscher vor einigen Jahren einer neuen Methode zu: Sie betteten die Stammzellen in artfremdes tierisches Gewebe ein. Die ersten Experimente waren vielversprechend, wenn auch von zahlreichen offenen Fragen begleitet. Vor allem wollten die Forscher herausfinden, ob sich die Zellen in der fremden Umgebung überhaupt entwickeln können; und wenn ja, wie sehr sie sich mit dem Empfängertier vermischen.

Mäuseembryonen mit Rattenorganen

Die Experimente von Juan Carlos Izpisua Belmonte und seinem Team vom Salk Institute of Biological Studies in Kalifornien konnten darauf nun wichtige Antworten liefern: Zunächst brachten die Wissenschafter Mäuseembryos dazu, Rattenorgane oder zumindest Teile davon hervorzubringen, indem sie ihnen Rattenstammzellen einpflanzten.

Nachdem man den Embryos zuvor die Fähigkeit genommen hatte, ein bestimmtes Organ zu entwickeln, sprangen die fremden Stammzellen gleichsam in die Bresche und differenzierten sich zu den entsprechenden Zellen aus. Am Ende enthielten die Embryos der Mäuse Herz- oder Pankreasgewebe von Ratten. Sogar eine Ratten-Gallenblase konnten die Forscher so in den Mäusen züchten, obwohl die kleineren Nagerverwandten dieses Organ bereits vor Jahrmillionen verloren haben.

In einem zweiten Schritt wollten Izpisua Belmonte und seine Kollegen herausfinden, ob das Verfahren auch mit menschlichen Zellen funktioniert. Dafür impften sie Schweineembryos, die sich noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium befanden, mit pluripotenten Stammzellen von Menschen und gaben ihnen drei bis vier Wochen Zeit, sich zu entwickeln. "Dies ist lang genug, um feststellen zu können, wie sich die menschlichen und die Schweinezellen mischen", sagt Izpisua Belmonte.

Nicht zu menschlich

Das im Fachjournal "Cell" präsentierte Ergebnis zeigte, dass der Beitrag menschlichen Gewebes am Schweineembryo im Verlauf dieser Frist relativ gering blieb, was Izpisua Belmonte als gute Nachricht wertet. Eine der größten ethischen Befürchtungen bei Mensch-Tier-Chimären besteht darin, dass die resultierenden Geschöpfe zu menschlich werden könnten und die bisher klare Trennlinie zwischen Mensch und Tier eines Tages unscharf wird – etwa indem die menschlichen Stammzellen zu Nervenzellen heranreifen, die sich am Aufbau des Schweinegehirns beteiligen. Dies dürfte nach Ansicht der Genetiker hier jedoch nicht geschehen sein.

Dass sich dennoch ausdifferenzierte Zellen gebildet haben, darunter Muskelzellen und Vorstufen anderer Organe, sei ein bedeutender Schritt auf dem Weg zur Züchtung vollständiger menschlicher Organe, erklärt Izpisua Belmonte. Bis es allerdings so weit ist, müssten noch einige Hürden überwunden werden – von den ethischen Problemen, die das Verfahren aufwerfen könnte, ganz zu schweigen. (Thomas Bergmayr, 26.1.2017)