Das Programm sei keinesfalls ein Kompromiss und soll mit Deadlines umgesetzt werden.

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ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner kann seinen Parteikollegen ein umfassendes Sicherheitspaket vorlegen.

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Bundeskanzler Christian Kern war vor allem die "Beschäftigungsaktion 20.000" ein großes Anliegen

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Kern verkündet die ihm wichtigsten Punkte des Arbeitsmarktpakets: Programm für Arbeitslose über 50, Beschäftigungsbonus und kalte Progression

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Einige zentrale Punkte, die zum Thema Migration und Integration beschlossen wurden.

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Sicherheitsmaßnahmen, die im Regierungspaket beschlossen wurden.

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Wien – SPÖ und ÖVP haben sich auf ein 36-seitiges neues Arbeitsprogramm geeinigt, das sie in den nächsten eineinhalb Jahren abarbeiten wollen. Sehr stark im Fokus stehen Arbeitsmarkt – 70.000 neue Jobs sollen insgesamt geschaffen werden – und Sicherheit/Integration.

Die Kosten werden mit vier Milliarden Euro beziffert. 2,8 Milliarden sollen durch Einsparungen und Umschichtungen aufgebracht werden. Der Rest, also 1,2 Milliarden Euro, soll sich durch die anziehende Konjunktur quasi selber finanzieren. DER STANDARD gibt einen Überblick über die wichtigsten Punkte:


  • Beschäftigung: Ab 1. Juli soll es einen Beschäftigungsbonus geben. Arbeitgebern, die zusätzliche Jobs schaffen, werden in den nächsten drei Jahren 50 Prozent der Lohnnebenkosten erstattet. In den kommenden zwei Jahren werden zudem 200 Millionen Euro für die "Beschäftigungsaktion 20.000" zur Verfügung gestellt. 20.000 über 50-jährige Langzeitarbeitslose sollen so in Gemeinden, gemeinnützigen Trägern und Unternehmen gefördert werden. Gestartet wird im Juli mit Pilotprojekten. Der Kündigungsschutz für über 50-Jährige wird gleichzeitig gelockert.

    Bei Betrieben mit bis zu zehn Beschäftigten sollen die Kosten für die Entgeltfortzahlung zu 75 Prozent ersetzt werden (statt wie bisher zu 50 Prozent).

  • Arbeitszeitflexibilisierung und Mindestlohn: Einmal dürfen die Sozialpartner noch ran. Sie müssen bis zum 30. Juni ein Paket zur Arbeitszeitflexibilisierung vereinbaren. Schaffen sie das nicht, wird die Regierung im dritten Quartal einen eigenen Vorschlag beschließen. Beim Mindestlohn von 1.500 Euro wird mit den Sozialpartnern im ersten Halbjahr ein "Stufenplan" vereinbart. Gibt es keine Lösung, wird auch hier eine gesetzliche Regelung beschlossen. Aufgeschoben ist auch der Bereich Arbeitnehmerschutz und Arbeitsinspektorate. Ein konkreter Vorschlag soll Mitte des Jahres vorliegen. Es geht etwa um die Reduktion von Meldepflichten nach dem Arbeitszeitgesetz.

  • Ausländische Arbeitskräfte: Auf EU-Ebene will man sich "gemeinsam" für eine Beschränkung des weiteren Zuzugs von EU-Arbeitskräften einsetzen, ebenso für eine Indexierung der Familienbeihilfe für Bezieher aus anderen EU-Staaten.

  • Arbeitslose: Damit Arbeitslose auch weiter entfernte Jobs annehmen, wird die Entfernungsbeihilfe ausgeweitet (bis zu 400 Euro pro Monat zusätzlich für doppelte Haushaltsführung), gleichzeitig kann auch eine Kombilohnbeihilfe für diese Gruppe gewährt werden. Die Zumutbarkeitsbestimmungen werden adaptiert: Die Mindestverfügbarkeit der Arbeitslosen wird von 16 auf 20 Wochenstunden angehoben, ab 30. Juni müssen aber nur mehr Vollzeitjobs mit einem Mindestlohn von 1.500 Euro angenommen werden – offenbar ein Signal an die Sozialpartner, beim Mindestlohn rasch etwas zustande zu bringen.

  • Steuern: Um die schleichende Steuererhöhung durch die Inflation zu kompensieren (kalte Progression), werden ab 2019 immer dann die ersten beiden Steuertarife von 11.000 Euro und 18.000 Euro automatisch indexiert, wenn die kumulierte Inflation fünf Prozent übersteigt (siehe Grafik). Das soll 80 Prozent des Progressionsvolumens ausmachen. Über weitere Maßnahmen soll die Politik auf Basis eines "Progressionsberichts" entscheiden.

    Per 1. Jänner soll zudem die Flugabgabe halbiert werden. Zur Besteuerung ausländischer Konzerne im Onlinebereich soll Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) Ende Juni ein Maßnahmenpaket vorlegen. Angedacht ist, die Werbeabgabe auf den Onlinebereich auszuweiten.

Umfassend sind die Sicherheits- und Integrationskapitel. Aber auch hier ist noch nicht alles bis ins Detail ausformuliert.

  • Sicherheit: Im Strafrecht soll ein eigener Straftatbestand gegen die Gründung oder die Betätigung in "staatsfeindlichen Bewegungen" geschaffen werden. Für sexuelle Belästigung in Gruppen soll es "höhere Strafen" geben, ebenso für Angriffe auf öffentlich Bedienstete – präzisiert ist das vorerst nicht.

  • Gefährder: Bei Rückkehrern aus dem Jihad soll, sofern keine U-Haft möglich ist, die elektronische Fußfessel als gelinderes Mittel eingesetzt werden. Entschieden werden soll das aber entgegen ersten Meldungen sehr wohl durch Gerichte.

  • Überwachung: Von Innenminister Wolfgang Sobotka bereits angekündigt wurden die Registrierung von Wertkartenhandys, der Ausbau der Videoüberwachung und die Einführung eines elektronischen Kennzeichenerfassungssystems der Asfinag. Ein neuer Anlauf wird auch bei der Vorratsdatenspeicherung genommen. Telekommunikationsdaten (Verkehrsdaten, Zugangsdaten, Standortdaten) sollen bei Vorliegen eines Anfangsverdachts bestimmter gerichtlich strafbarer Handlungen bis zu zwölf Monate gespeichert werden. Zudem soll die akustische Überwachung, die jetzt schon in Wohnungen möglich ist, auch in Autos erlaubt werden. Noch relativ unkonkret ist: "Neue Ermittlungsmaßnahmen" sollen die Überwachung von internetbasierter Kommunikation wie Whatsapp ermöglichen.

  • Hasspostings: Bei den Staatsanwaltschaften wurden Sonderreferate für "extremistische Strafsachen" eingerichtet.

Im Integrationsbereich setzt man einerseits viel stärker auf Sanktionen als bisher, räumt den Flüchtlingen aber andererseits auch mehr Rechte ein:

  • Deutsch- und Wertekurse sollen ausgebaut werden. Werden sie nicht in Anspruch genommen, sollen Sozialleistungen gekürzt werden. Für Asylwerber mit "hoher Bleibewahrscheinlichkeit" und Asylberechtigte wird es auch einen Rechtsanspruch auf einen Kurs geben. Nach dem Vorbild einiger Bundesländer soll in ganz Österreich ein "Integrationsvertrag" eingeführt werden – inklusive Sanktionen bei Verstößen. Salafistische Verteil- und Rekrutierungsaktionen werden verboten.

    Für Asylberechtigte und Asylwerber mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit ist auch ein verpflichtendes Integrationsjahr geplant, das je nach Qualifikation verlängert werden kann. Wird die Teilnahme an einzelnen Modulen (Deutschkurse, Orientierungs- und Bewerbungstraining, verpflichtendes Arbeitstraining im Sinne einer gemeinnützigen Tätigkeit bei Zivildienstträgern) verweigert, sind wieder Sanktionen vorgesehen. Der Dienstleistungsscheck wird für Asylwerber geöffnet.

    Ebenfalls vorgesehen: Im öffentlichen Raum wird die Vollverschleierung "untersagt". Im öffentlichen Dienst verpflichtet sich der Staat, "weltanschaulich und religiös neutral aufzutreten". Hier wird also nicht nur auf das Kopftuch abgestellt. Bei uniformierten Exekutivbeamten sowie bei Richtern und Staatsanwälten soll darauf geachtet werden, "dass bei Ausübung des Dienstes dieses Neutralitätsgebot gewahrt wird".

  • Migration/Asyl: Der ÖVP-Wunsch, die Asylobergrenze per Gesetz umzusetzen, kommt nicht. SPÖ und ÖVP bekennen sich aber dazu, "Migration massiv zu reduzieren". Man setzt dabei vor allem auf den Ausbau der Grenzkontrollen – nicht zuletzt durch Kennzeichenerfassungsgeräte. Geplant sind gemischte Streifendienste und Kontrolltätigkeiten von Polizei und Bundesheer, die verstärkte Überwachung der grünen Grenze mit Luftfahrzeugen des Heeres.

    Damit die Asylverfahren schneller erledigt werden können, sollen die Erstbefragungen künftig nicht nur von Organen des öffentlichen Sicherheitsdiensts durchgeführt werden, sondern auch von zusätzlich aufzunehmenden Verwaltungsbediensteten. Damit mehr Flüchtlinge das Land freiwillig verlassen, sollen die Rückkehrprämien erhöht werden – ein konkreter Betrag steht aber noch nicht fest.

    Als Maßnahme gegen illegale Einwanderung werden alle Beförderungsunternehmen dazu verpflichtet, Reisedokumente zu kontrollieren. Das würde wie berichtet vor allem für die ÖBB eine Umstellung bedeuten. Menschen mit rechtskräftig negativem Bescheid werden aufgefordert, binnen einer behördlich festgesetzten Frist das Land zu verlassen. In dieser Frist bekommen sie keine Geldleistungen (Taschengeld) mehr vom Staat, sondern nur Sachleistungen. Sie werden in eigenen Rückkehrquartieren untergebracht und unterliegen einer Gebietsbeschränkung (politischer Bezirk). Wer in der gesetzten Frist nicht ausreist, dem drohen Verwaltungsstrafen von 5.000 bis 15.000 Euro oder bis zu sechs Wochen Ersatzhaft. Ist eine zwangsweise Abschiebung möglich, wird diese im Rahmen der Schubhaft umgesetzt, die auf 18 Monate verlängert wird.

Im Bildungsbereich hat man sich unter anderem darauf verständigt, die elektronische Infrastruktur auszubauen:

  • Schule: Die schon länger diskutierte Schulautonomie soll per 1. Jänner 2018 umgesetzt werden. Ab 2020/21 sollen alle Schulen über einen Breitbandanschluss und WLAN verfügen. Schon heuer sollen alle Schüler in der fünften und in der neunten Schulstufe mit Tablets oder Laptops ausgestattet werden. Bei der Finanzierung will man mit privaten Firmen beziehungsweise der Industrie zusammenarbeiten.

  • Lehrlinge: Die Kosten für alle Vorbereitungskurse auf die Lehrabschlussprüfung (bisher mit 250 Euro gedeckelt) werden ab Juli übernommen. Auslandspraktika für Lehrlinge sollen stärker gefördert werden.

  • Unis: Bis Juni soll ein Umsetzungskonzept zur Einführung eines Studienplatzfinanzierungsmodells vorgelegt werden. Verbessert werden soll das Studienbeihilfensystem. Genannt wird die "Anhebung der Beihilfenhöhe und der Einkommensgrenzen" – Details sind aber offen.

  • Kindergarten: Das zweite verpflichtende Gratiskindergartenjahr soll im Rahmen eines Pilotprojekts unter Einbindung der Länder und Gemeinden umgesetzt werden.

Weitere im überarbeiteten Regierungsprogramm akkordierte Punkte:

Investitionen: Die Forschungsprämie soll 2018 neuerlich erhöht werden – von zwölf auf 14 Prozent. Für Firmen mit mehr als 250 Mitarbeitern soll eine vorzeitige Abschreibung in Höhe von 30 Prozent eingeführt werden – und zwar befristet vom 1. März bis 31. Dezember 2017. So sollen noch heuer Investitionen angeregt werden.

Frauenquote: Nach deutschem Vorbild wird ab 1. Jänner 2018 in Aufsichtsräten von börsennotierten Unternehmen sowie in Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern eine Frauenquote von 30 Prozent festgelegt. Sie gilt allerdings nur bei Neubestellungen.

Gesundheit: Bis Ende März sollen die Sozialpartner eine vertragliche Lösung vorlegen, wie das Problem der Wartezeiten für CT- und MRT-Untersuchungen gelöst wird. Ansonsten wird es auch hier gesetzliche Lösungen geben. Zum Ausbau der Primärversorgung bekennt sich die Regierung.

Wohnen: Bei der Umwidmung von Grundstücken der öffentlichen Hand in Bauland sollen 25 Prozent der Flächen dem förderbaren Wohnraum vorbehalten werden.

Insolvenzen: Um gescheiterten Unternehmen einen Neustart rascher zu ermöglichen, wird die Mindestquote abgeschafft – mehr dazu hier.

Pensionen: Äußerst kurz gehalten ist der Pensionsteil. Eine Arbeitsgruppe soll sich der Harmonisierung der Pensionssysteme widmen. Mehr haben SPÖ und ÖVP zu diesem Kapitel nicht zu sagen.

Auch im Modus der Zusammenarbeit will Rotschwarz etwas verändern. So sollen die sogenannten Spiegelressorts abgeschafft werden. Laut Mitterlehner habe das "Prinzip der Spiegelung", bei dem sich bei der Erarbeitung von Gesetzen zwei politisch unterschiedlich besetzte Ministerien gegenübergestanden sind, die Arbeit oft behindert. "Das wollen wir anders steuern", stellte der Vizekanzler eine neue Form der Koordination in Aussicht, womit die Regierung künftig "schneller und klarer" arbeiten könne. Wie dies konkret aussehen wird, verriet die Regierungsspitze aber noch nicht. (Günther Oswald, APA, 30.1.2017)