Ein anderer Blick auf die Welt: Krank sein, aber zwischen den Chemotherapien normal weitermachen. Arbeiten trotz Krebs hängt besonders vom Willen des Arbeitgebers ab.

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Diagnose: Krebs. Plötzlich ist alles anders. Die meisten Menschen trifft es unerwartet. Zunächst der Schock, dann Angst, Wut, Trauer, Hilflosigkeit. Die Selbstbestimmtheit geht verloren, Normalität wird zum Ausnahmezustand. Immer ist auch die Hoffnung dabei. Denn Krebs wird durch die Fortschritte in den Diagnose- und Therapiemöglichkeiten zunehmend zu einer chronischen Erkrankung – zumindest bei einigen Formen von Krebs.

Während die Prognosen bei Bronchialkarzinomen, Bauchspeicheldrüsen- und Eierstockkrebs nach wie vor ungünstig sind, konnten in den vergangenen Jahren etwa bei der Behandlung von malignen Melanomen, Nierenzellkarzinomen und Brustkrebs enorme Erfolge erzielt werden. "Eine 50-jährige Frau, die an einem Mammakarzinom erkrankt ist, hat mittlerweile gute Chancen, 85 Jahre alt zu werden", sagt Paul Sevelda, Präsident der Österreichischen Krebshilfe.

Das heißt auch: Wer mitten im Leben steht, sollte trotz Erkrankung auch an seine berufliche Zukunft denken. Häufig fragen sich Betroffene: Muss der Chef informiert werden? Gibt es einen Kündigungsschutz? Kann und darf ich überhaupt weiterarbeiten?

Keine Verpflichtung

"Es gibt rechtlich keine Verpflichtung, die Diagnose dem Dienstgeber mitzuteilen", erklärt Andrea Pirker von der Krebshilfe Wien. "Die Entscheidung, wann der Vorgesetzte informiert werden soll, muss immer individuell getroffen werden", ergänzt die Sozialarbeiterin. Sie rät Betroffenen grundsätzlich, bis zur endgültigen Diagnose zu warten, so lange, bis Behandlungs- und Therapieplan feststehen. Denn: Krebs ist nicht gleich Krebs. "Es ist ein großer Unterschied, ob jemand an einem Kopftumor erkrankt oder an Brustkrebs", so Pirker. Für viele Betroffene ist der Beruf eine Kraftquelle, macht es möglich, ein Stück Alltag und Normalität weiterzuleben. "Manche gehen ab dem ersten Tag der Diagnose in den Krankenstand, andere arbeiten bis zum Beginn der Therapie weiter", sagt die Expertin.

Tatsache ist: Die meisten Betroffenen müssen sich während der Behandlung eine berufliche Auszeit nehmen. "Viele Patienten würden gerne nach der Therapie ihre Arbeit wiederaufnehmen, können aber ihre volle Leistung noch nicht erbringen. Bis dato wurden sie faktisch gezwungen so lange im Krankenstand zu bleiben, bis sie zu 100 Prozent einsatzfähig sind. Es gab aber auch viele Krebspatienten, die zu 100 Prozent zurück in den Beruf gingen, obwohl sie sich erst zu 50 Prozent einsatzfähig fühlten, und sich damit überforderten", kritisiert Sevelda die derzeitige Situation. Denn auch krebskranke Menschen können jederzeit im Krankenstand unter Einhaltung der entsprechenden Fristen gekündigt werden.

Arbeitgeber müssen wollen

Was neu ist: Ab Juli 2017 wird es mit der Wiedereingliederungsteilzeit die Möglichkeit geben, eine Herabsetzung der wöchentlichen Normalarbeitszeit für die Dauer von ein bis sechs Monaten mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren, einmalig kann sie um bis zu drei Monate verlängert werden. Wer mehr als sechs Wochen im Krankenstand war, für den ist dieser sanfte Wiedereinstieg möglich. Andrea Pirker begrüßt diese neue gesetzliche Regelung, glaubt aber nicht, dass die stufenweise Rückkehr ins Arbeitsleben breite Anwendung finden wird. "Es kommt immer darauf an, ob der Dienstgeber mitspielt und das auch will. Am ehesten werden davon sehr qualifizierte Fachkräfte profitieren. Für Branchen, die eine hohe personelle Fluktuation aufweisen und in denen unabhängig von der Diagnose generell nach 14 Tagen Krankenstand gekündigt wird, ist dieses Angebot uninteressant."

Um sich vor einer Kündigung zu schützen, können Krebspatienten beim Sozialministerium-Service um den Status des "begünstigten Behinderten" ansuchen. Voraussetzung dafür ist eine mindestens 50-prozentige Minderung der Erwerbsfähigkeit, die vom Bundessozialamt geprüft wird. Nur dann besteht für zunächst fünf Jahre ein erweiterter Kündigungsschutz.

Michael Feilmayr aus Gmunden hätte aber auch diese Absicherung nichts genützt. Im Jahr 2008 wurden bei ihm insgesamt vier verschiedene Krebsarten diagnostiziert. Bis dahin arbeitete er als Vertriebsleiter für ein Finanzunternehmen. Die Firma ging in Konkurs, Feilmayr verlor seinen Job. Er stellte einen Antrag auf befristete Invaliditätspension, die auch bewilligt wurde – für insgesamt vier Jahre. Seit 2010 ist er "austherapiert" ohne Hinweise auf Rezidive. Er wollte wieder beruflich aktiv werden. "Jeden Monat habe ich um die zehn Bewerbungen verschickt, insgesamt waren es weit über 100. Obwohl ich einen sehr guten Lebenslauf vorweisen konnte, erhielt ich keine einzige Einladung zu einem Vorstellungsgespräch", erzählt der 44-jährige Oberösterreicher.

Zeit haben und geben

So blieb nur mehr die Flucht nach vorn. Vor zwei Jahren machte sich Feilmayr selbstständig und gründete das Unternehmen My Personal Assistent, das Krebspatienten Rahmenbedingungen bietet, in denen Arbeiten möglich gemacht wird.

"Durch meine Erkrankung bekam Zeit eine völlig neue Bedeutung, sie ist etwas Kostbares", erklärt Feilmayr seine Geschäftsidee. Wer bei ihm Kunde wird, lagert zeitraubende Tätigkeiten aus. Das kann das Sortieren von Belegen für eine Steuererklärung sein, die Abwicklung von Aussendungen, die Recherche nach Handwerkern, auch die Organisation von Kongressen und Geschäftsreisen wird angeboten. Die Aufgaben werden von Krebspatienten erledigt. Im Vorjahr wurde das Projekt im Rahmen des oberösterreichischen Gesundheitspreises in der Kategorie Beruf und Krebs ausgezeichnet.

Für Michael Feilmayrs Mitarbeiter bedeutet ihre Tätigkeit als Personal Assistent vor allem eines: eine Rückkehr in die Normalität. (Günther Brandstetter, 4.2.2017)