Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern mit Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser am Dienstagabend bei seiner "Arbeit für Österreich": Trotz des neuen Regierungsübereinkommens hoffen die SPÖ-Strategen auf eine neue Mehrheit in einem Jahr.

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Wien – Angesichts anhaltender Neuwahlspekulationen gab SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler bei einem Hintergrundgespräch am Dienstagabend Einblicke in die Überlegungen der roten Spindoktoren. Immerhin hat Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern höchstpersönlich im Jänner mit der Präsentation seines "Plan A" für das Land sowie seinem Ultimatum an die ÖVP, das rot-schwarze Regierungsprogramm in tagelangen Verhandlungen rundum zu erneuern, für entsprechende Gerüchte gesorgt. Die Vermutung, dass Kern wegen mangelnder Courage im letzten Moment doch vor einem vorzeitigen Urnengang zurückschreckte, wies Niedermühlbichler zurück.

Allerdings gab der SPÖ-Manager bei seinen rund einstündigen Ausführungen zu, dass die Kanzlerpartei im Zuge der planmäßigen Nationalratswahl im Herbst 2018 eine "alternative Mehrheit jenseits von Schwarz-Blau" anstrebe – sein, Niedermühlbichlers, erklärtes "Ziel" sei es daher, dass die SPÖ gemeinsam mit den Grünen und den Neos "eine Mehrheit" bekomme.

Eine Koalition mit der FPÖ von Heinz-Christian Strache dagegen wäre in den eigenen Reihen nach wie vor "sehr schwierig" durchzusetzen, selbst wenn sich die Blauen bis dahin den roten Zielen inhaltlich anpassen würden. In parteiinternen Umfragen habe man daher vorsichtshalber bis dato erst gar nicht abgetestet, ob das Wahlvolk für eine rot-blaue Koalition bereit wäre, denn man könne nie sicher sein, dass derartige Gedankenexperimente nicht etwa ungewollt bei der einen oder anderen Zeitung landeten.

Schwarze Abhängigkeit beenden

Der Optimismus des Bundesgeschäftsführers, dass Rot, Grün und Pink etwa in einem Jahr auf mehr als 50 Prozent kommen könnten, basiere jedoch sehr wohl auf gezielten Auswertungen der Haltung diverser Fokusgruppen unter Anleitung von Kanzlerberater Tal Silberstein – und nicht zuletzt auch auf dem fast 54 Prozent starken Wahlsieg von Hofburgkandidat Alexander Van der Bellen, mittlerweile Bundespräsident, der aus seiner Skepsis bezüglich einer neuerlichen Regierungsbeteiligung der FPÖ nie einen Hehl machte.

Bis ein Mitte-links-Bündnis rechnerisch möglich wäre, das "die Abhängigkeit" der SPÖ von der ÖVP beende, sei es allerdings noch ein langer Weg, räumte der SPÖ-Bundesgeschäftsführer ein – und dass eine Neuauflage der Koalition "mit geläuterten Schwarzen" freilich auch weiterhin möglich sei. Nicht zuletzt deswegen tourt Kern samt SPÖ-Parlamentsklub – Auftakt war Dienstagabend in Klagenfurt – aktuell durch die Bundesländer, um die Wahlberechtigten von seinem "Plan A" und dem neuen Arbeitsübereinkommen der Regierung zu überzeugen.

Macher mit viel Verständnis

Das erklärte Ziel der SPÖ-Strategen dahinter sei aber, Kern auch als wirtschaftlich versierten "Macher" zu positionieren, der an seinem New Deal und seinen Verbesserungen für Start-ups und seinem Verständnis für die Klein- und Mittelbetriebe festhält, und auch als Regierungschef, der sich sehr wohl um das erhöhte Sicherheitsbedürfnis seiner Landsleute sorgt und kümmert. Denn: Bei der Bekämpfung der Kriminalität ließen die Glaubwürdigkeitswerte der SPÖ noch zu wünschen übrig, obwohl sich Kern schon in seinem knapp 150-seitigen Konvolut für Österreich auch für mehr Polizei und Videoüberwachung ausgesprochen habe, wie Niedermühlbichler betonte. Bei der Migration und der Flüchtlingsproblematik wolle man es nun wie der linke Innenminister Caspar Einem (ebenfalls SPÖ) halten, der einst vorgab: "Integration vor Neuzuzug."

Was sich die Genossen davon versprechen: Neben ÖVP-affinen Wählern vor allem ehemalige SPÖ-Wähler zurückzugewinnen, die mittlerweile ihr Kreuz bei der FPÖ machen oder gar nicht mehr zu den Urnen streben. Dem Chef der Freiheitlichen selbst wolle Kern weiterhin "konziliant im Umgang, aber hart in der Sache" entgegentreten, nicht zuletzt deswegen, um den Wählern zu zeigen, dass der Kanzler auch mit den Repräsentanten der FPÖ im Gespräch bleibe. In entsprechenden Ifes-Umfragen hätten die Wahlberechtigten dieses Vorgehen nach dem ersten Auftritt Kerns mit Strache auf Ö1 durchaus goutiert, wie der SPÖ-Bundesgeschäftsführer erklärte: "Viele Wähler haben ja schon einmal FPÖ gewählt, weil sie damit ein Signal setzen wollten." Aktuell schätzen sich die Österreicher aber zu 27 Prozent eher "links" ein, 38 Prozent verorten sich "in der Mitte" und 22 Prozent deklarieren sich selbst als "rechts".

Fehleranalyse

Bei aller Strategie, sagte Niedermühlbichler, könnten "aber auch Fehler passieren". Bei der SPÖ-Mitgliederbefragung zu Ceta im Herbst etwa habe man sich zuvor nicht genug Gedanken darüber gemacht, "was wir mit dem machen". Der Ausgang trotz des negativen roten Votums zum Handelsabkommen mit Kanada ist bekannt: Kern gab dennoch grünes Licht dafür – mit der Begründung, dass er Nachverhandlungen zum Beipacktext erwirkt habe und weil die vorläufige Anwendung des Abkommens ja auch wieder beendet werden könne.

Niedermühlbichlers schwarzes Pendant, ÖVP-Generalsekretär Werner Amon, wollte am Mittwoch vorerst nicht auf die Pläne des Koalitionspartners reagieren.

Grüne und Neos fordern Koalition zum Arbeiten auf

Die Sympathiebekundungen seitens der SPÖ nennt Grünen-Chefin Eva Glawischnig "eh nett". Das alleine sei aber zu wenig. Glawischnig beklagt die "rote Substanzlosigkeit in der Sozialpolitik" und fordert hier Nachbesserungen. Niedermühlbichlers Avancen würden auch zeigen, dass die "SPÖ offenbar sich weniger mit Regieren und Arbeiten beschäftige, sondern mit Koalitionen und Neuwahlen". Man sei grundsätzlich offen für Koalitionsvarianten, aber sagt Glawischnig zum STANDARD: "Ich gehe sicher nicht in einen Lagerwahlkampf. Wir werden unsere eigenen Stärken betonen. Wir lassen uns nicht vereinnahmen."

Auch die Neos sind von den "Planspielen der SPÖ" wenig begeistert. "Auf Zuruf machen wir als Bürgerinnenbewegung weder den Steigbügelhalter noch die Gouvernante auf Abruf, damit SPÖ und ÖVP sich gegenseitig wieder einkriegen", sagt Generalsekretär Nick Donig. Es sei Zeit für die Koalition zu arbeiten oder den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu geben "eine neue handlungsfähige Regierung zu wählen". Es sei ja bekannt, dass sich SPÖ und ÖVP für "machtstrategische Spielchen" missbrauchen, auch andere politische Bewegung "vor den Karren des Stillstands spannen zu wollen, ist ein neuer Höhepunkt am Egotrip des Machterhalts." Bei den Themen Pensionen oder Steuern würden SPÖ und Neos jedenfalls Welten trennen.

Für FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl ist klar: Kern arbeitet am "Machterhalt um jeden Preis". Die Wunschkoalition von SPÖ, Grünen und Neos sei "extrem links mit großindustriellem Einschlag", sagt Kickl in einer Aussendung. Kern gehe damit den Weg des geringsten Widerstandes. (Nina Weißensteiner, Lisa Kogelnik, Peter Mayr, 8.2.2017)