Die Frage, was hinter der Tür der Zelle, in der Rachat Alijew tot aufgefunden wurde, geschah, beschäftigt die Justiz immer noch.

Foto: APA / Helmut Fohringer

Wien – Die Untersuchungen zum Tod des früheren kasachischen Botschafters in Österreich, Rachat Alijew, laufen noch immer. Die von der Staatsanwaltschaft (StA) Wien beauftragten Gerichtsmediziner im Schweizer Sankt Gallen arbeiten noch an ihrem Ergänzungsgutachten – selbiges soll "in Bälde" eintreffen, erklärt Strafsektionschef Christian Pilnacek. Wahrscheinlich schon kommende Woche.

Anhand der Schweizer Expertise wird die StA entscheiden, ob sie ihre Ermittlungen wegen Mordverdachts (gegen unbekannte Täter) wieder aufnimmt, wie das die Anwälte von Alijews Witwe beantragt haben. Basis für ihr Begehr ist das von der Witwe beauftragte Privatgutachten des deutschen Gerichtsmediziners Bernd Brinkmann. Er ist ja der Ansicht, Alijew sei von jemandem "niedergedrückt und (...) erstickt worden" ("Burking" nennt man das). Die Sankt Galler sind nun dabei, das Brinkmann-Gutachten zu prüfen.

Justiz geht von Suizid aus

Alijew, damals Untersuchungshäftling, war am 24. Februar 2015 tot in seiner Zelle in der Wiener Justizvollzugsanstalt Josefstadt aufgefunden worden. Die Justiz geht von Selbstmord aus.

Zwei medizinische Gutachten führt sie dafür ins Treffen: jenes der Wiener Gerichtsmedizin von Februar 2015 und jenes aus Sankt Gallen, das die Justiz darüber hinaus beauftragt hat und das im Juni 2015 in Wien eintraf. Beide Expertisen kommen zwar zum Ergebnis, dass Alijew Suizid begangen hat – allerdings beinhalten sie einen Widerspruch, der bisher öffentlich nicht bekannt war.

Im Obduktionsbericht, der nach Alijews Tod vom Leiter der Wiener Gerichtsmedizin, Daniele Risser, erstellt wurde, heißt es so: "Am knöchernen Skelett" seien "keine traumatisch bedingten Veränderungen" festgestellt worden. Und: "Das Brustbein ist intakt." Alijew habe sich mit Mullbinden an einem Kleiderhaken erhängt.

Bruch eher "postmortal"

Das Sankt Galler Institut für Rechtsmedizin kam nach einer computertomografischen Untersuchung der Leiche Alijews zwar zum selben Schluss (kein Tod von fremder Hand) – allerdings zu einer völlig anderen Diagnose. "Es findet sich ein querverlaufender Bruch des Brustbeins knapp unterhalb des Ansatzes der zweiten Rippe. Letzterer wies grobsichtig jedoch keine eindeutige Blutungsreaktion auf und dürfte daher postmortal entstanden sein", schrieb Chefarzt Roland Hausmann. Eine solche Verletzung könnte auch bei der vorherigen Obduktion in Wien entstanden sein, sagen dazu Experten.

Das wissen auch die Anwälte der Witwe Alijews, Manfred und Klaus Ainedter, die nun aber hinterfragen, warum der Brustbeinbruch im Wiener Befund gar nicht erwähnt ist – auch für den Fall, dass er erst beim Obduzieren (und nicht bei einem etwaigen "Burking") entstand. Die Anwälte haben daher am 23. Jänner einen Schriftsatz bei der StA eingebracht, in dem sie auf den "unlösbaren Widerspruch" hinweisen und um Aufklärung ersuchen. Anwalt Manfred Ainedter hofft auf Wiederaufnahme der Ermittlungen wegen Mordverdachts, wie er auf Anfrage des STANDARD sagt.

Gerüchte und Andeutungen

Im Justizministerium will man das nach Einlangen des Ergänzungsgutachtens entscheiden, die Schweizer müssten auch zum Brustbeinbruch Stellung nehmen, sagt Pilnacek. Die Suizidvariante begründet er mit den zwei medizinischen und den technischen Gutachten (zu Videoüberwachung des Zellentrakts und Zellen-Schließmechanismus) sowie mit dem "vorläufigen Bericht der Expertenkommission", die Justizminister Wolfgang Brandstetter eingesetzt hat. Auch sie kam im Dezember 2015 zum Schluss, dass aufgrund des "konkreten Ermittlungsergebnisses" als Todesursache "Erhängen anzunehmen ist".

Die StA habe "objektiv und vollständig ermittelt", es gebe keine verdächtigen Spuren, keinen Verdacht auf Vergiftung oder Tötung durch Dritte. "Außer Gerüchten, Medienvermutungen und unüberprüfbaren Andeutungen liegen keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden vor", heißt es im achtseitigen Bericht. (Renate Graber, 8.2.2017)