Zusteller sind meist nur das kleinste Rädchen in einer Kette aus Subunternehmern.

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Wien – Mit einer völlig überladenen Rodel balanciert Jamaal T. (Name von der Redaktion geändert) auf ein mehrstöckiges Mietshaus zu. Ein kurvig geformtes Etwas obenauf sorgt für Stabilität. Vielleicht ist in dem langen Paket mit der Aufschrift "Handle with care" eine Gitarre verstaut. Was in den etwa 100 Paketen, die er an diesem Tag auszuliefern hat, ist, interessiert ihn eigentlich nicht. Er ist seit zehn Jahren Stammfahrer für DHL, erst Express, dann Paket. Ebenso lang fährt er dieselbe Route.

Mehrere hundert Kilo muss T. täglich austragen. Darunter auch so manches Trumm. Kürzlich erst zerrte er ein 48-Kilo-Paket in den dritten Stock. "Das ist weit mehr als die Hälfte meines eigenen Gewichts." Trinkgeld gab's keines, selbst als er mithilft, den Wäschetrockner aus seiner Verpackung zu hieven. T. hat sich daran gewöhnt. Meistens, so sagt er, seien die Kunden eh freundlich, geschätzt werde seine Arbeit nicht.

Die Liebe verschlug T. vor zwölf Jahren nach Wien. Was romantisch begann, endete in der Scheidung. Seitdem sitze er hier fest. Verwandte habe er in seiner Heimat in Nordafrika kaum mehr. Und das Leben dort sei mittlerweile für ihn, den ehemaligen Reiseleiter, auch zu teuer geworden. Er ist zufrieden als Paketzusteller in Wien – mehr aber auch nicht. Zehneinhalb Stunden ist er täglich im Einsatz. Mit einer Pause von zwei Stunden. Wenn es sich eben ausgeht.

Schelte von oben

Rund hundert Kilometer legt er auf seiner Route zurück. Bei jedem Wetter. Am Ende des Monats stehen 1500 Euro auf seinem Gehaltszettel. Runtergerechnet sind das nicht viel mehr als 50 Cent pro Paket. Um sieben Uhr morgens steht er am Depot in Guntramsdorf, sortiert vom Fließband weg seine Ware und lädt ein. Sein Arbeitsgewand mit dem Logo von DHL lässt falsche Schlüsse zu: Nicht DHL, die Tochter der Deutschen Post, beschäftigt ihn; er arbeitet für ein Subunternehmen, eine Transportfirma. Mit DHL habe er keinen Kontakt. Es sei denn, es gebe Schelte.

Verpasst er einen fixierten Zustell- oder Abholtermin, kostet ihn das 30 Euro. Theoretisch. Denn T. ist nicht unpünktlich, selbst wenn der Verkehr unkalkulierbar ist und die Parkplatzsuche ein Albtraum wird. Ein täglicher Spießrutenlauf. Erwischt ihn ein Radar oder ein Parksheriff, muss er die Strafe aus eigener Tasche zahlen. Ärgerlich auch so mancher Langfinger, der, aus welchen Gründen auch immer, zugreift, wenn die beladene Rodel kurz unbeaufsichtigt ist. Ein zeitraubendes Ärgernis: Die Polizei muss eine Diebstahlsmeldung aufnehmen. Ein Paket einfach über die Gartenmauer werfen? T. muss lachen. Natürlich nicht, die gelben Abholscheine, die er an die Haustür heftet, scannt er. "Als Beweis, dass ich tatsächlich da war."

Kleinkriege unter Nachbarn

Klagen will er nicht. Da sind die vielen Freundschaften, die ihn mit seinen Kollegen verbinden. Manchen gehe es bei anderen Paketdiensten weitaus schlechter, erzählen sie. Dann wird er zögerlich, er wolle niemanden anschwärzen. Ein bisschen sickert dann doch durch: Die müssten stets frisch rasiert sein und dafür sorgen, dass die Lieferwagen stets geputzt sind. Der Arbeitsdruck sei enorm, das Gehalt bei anderen deutlich geringer und die Fluktuation der Fahrer höher. "Viele kommen aus Ungarn und wissen nicht, was auf sie zukommt. Man sagt ihnen vorher nicht viel", so T.

Ein anständiger Mensch sei er, immer freundlich. Das kostet schon einmal Überwindung, wenn wieder einmal eine Haustüre nach dem Klingeln zuknallt. "Hausbesorger wollen besonders ungern Pakete für Mitbewohner annehmen", und oft gebe es Kleinkriege zwischen Mietern. T. will nur seine Arbeit tun. Und das schnell. Auch bis in den fünften Stock, oft auch ohne Lift.

Alterssorgen

Heute ist T. vierzig. Er sorgt sich um seine Zukunft, denn das viele Schleppen macht ihm zu schaffen. Noch sei er fit, aber wie lange noch? Und was dann? Dass er Chancen am Arbeitsmarkt hat, daran glaubt T. nicht. Also versucht er, so lange wie möglich durchzuhalten. Immer mit ein bisschen mehr Service als verlangt. "Neulich habe ich eine zusammengerollte Matratze zugestellt. Der Empfänger war gehbehindert." T. packte auf dessen Bitte die Matratze aus und verfrachtete sie aufs Bett. Trinkgeld gab's allerdings auch in diesem Fall keines. (Sigrid Schamall, 17.2.2017)