Im Fernsehen spielt die österreichische Nationalmannschaft, und mein siebenjähriger Sohn stellt mir jeden Spieler einzeln vor: Das ist der Arnautovic, das ist der Alaba, das ist der Almer, das ist der Fuchs, und das ist der Dragovic. Ich schaue ihn an und registriere in diesem Moment, dass das für ihn alles bloß Namen sind, ohne jede Bedeutung, ohne jedes hinterlegte Werturteil. Wie Hansi, Cheyenne und Mathilda in der Schule. Es sind einfach Namen.

Wichtig ist nur das Transformers-T-Shirt

Kürzlich waren wir mit dem großen Freundeskreis zusammen. Einige Jahre sind vergangen, seit mein Sohn die beiden homosexuellen Paare in unserer Runde gesehen hat. Auch hier spricht er nicht darüber, es ist für ihn völlig normal. Er bemerkt nur, ob jemand nett zu ihm ist oder mit ihm spielt. Er registriert auch, dass Max anschließend Lukas küsst und Lisa nicht einen Mann, sondern ihre Frau Barbara. Aber beim Nachhausefahren ist das nichts Außergewöhnliches, er bespricht mit mir nur, welche Paare zusammengehören und welche Kinder welches dieser Paare miteinander hat. Und wer das T-Shirt mit den Transformers darauf getragen hat, der Lorenz nämlich.

Jeder Mensch hat Vorurteile – ich auch

Ich will damit nicht sagen, dass wir in unserer Familie keine Vorurteile hätten. Wir sind weit davon entfernt, keine zu haben. Jede und jeder hat bestimmte Werthaltungen, Vorstellungen und urteilt so über die Welt. Dass das nicht immer gut ist, ist uns klar, aber dennoch: Es gibt das auch bei uns. Wenn ich meine eigenen Vorurteilte betrachte und meinen Sohn ansehe, dann merke ich aber, dass diese Dinge so völlig irrelevant sind für das Zusammenleben. Dass ich die Welt oft ein Stück weit durch seine Augen sehen sollte – und dann vieles wahrscheinlich einfacher, besser und schöner wäre.

Und dann gibt es da die Welt abseits unserer eigenen kleinen Familienwelt, in der sehr viele Dinge "normal" sind, die vielleicht bei anderen Menschen nicht "normal" sind. Zum Beispiel gibt es bei uns zu Hause keine klassischen Mädchen- oder Bubenrollenbilder, die wir vorleben. Für meine Kinder sind Dinge wie "Mädchenspielzeug" oder "Bubenfarben" darum auch nie Thema gewesen, bis die Außenwelt sie darauf aufmerksam gemacht hat.

Keine Barbies mehr für meinen Sohn

Mein siebenjähriger Sohn erklärt mir dann, dass er nicht mit Barbie-Puppen spielen darf, weil er in der Schule dafür ausgelacht wird. Ich argumentiere, dass ihn ja eh niemand sieht, weil er doch allein zu Hause in seinem Zimmer ist. Das hilft ihm nicht. Der Spaß am An- und Auskleiden der Puppen ist ihm verlorengegangen. Er muss sich jetzt auch die Haare schneiden, weil er seinen Lieblings-Blümchen-Haarreifen in der Schule nicht mehr tragen will. Die anderen Buben haben ihn darauf aufmerksam gemacht, dass er damit "wie ein Mädchen" aussieht. Seine Lieblingsfarbe hat er auch geändert: von Rosa auf Rot, das können die anderen in der Klasse leichter nachvollziehen.

Seine kleine Schwester dagegen hat es einfacher, sie fügt sich in den Elsa-Eisköniginnen-Himmel, in dem junge Mädchen heutzutage traumwandlerisch aufwachsen. Gleichzeitig fragt sie mich, ob sie als Mädchen auch mit Dinosauriern und Raubtieren spielen darf.

Meinen wir das wirklich ernst?

Manchmal möchte ich schreien, weil das alles so blöd ist. Und weil ich wirklich nicht weiß, woher all diese Dinge kommen. Wir leben in einer ganz normalen Stadt, meine Kinder besuchen ganz normale Bildungseinrichtungen. Und tatsächlich: Alle diese Vorurteile und Werthaltungen, die – ich bin mir sicher – in den kommenden Jahren für die Jüngsten weitaus wichtigere Themen als Haarspangen oder Spielzeug betreffen werden, gibt's das wirklich überall? Und: Ist das wirklich der Weg, wie wir unsere Kinder erziehen wollen? Indem wir ihnen alles das, was wir falsch machen in unserem Miteinander, mit auf ihren eigenen Lebensweg geben? Und sie dann ihre Peergroup schon im Kindergartenalter zu maßregeln beginnen?

Am Ende des Tages liegen wir in unserer Elsa-Eisköniginnen-Bettwäsche und beraten über die Faschingskostüme. Die Jüngste geht als Einhorn, und das Volksschulkind wünscht sich einen Drachen zum Umschnallen. Dann lesen wir alle gemeinsam Christine Nöstlinger. Denn in deren Büchern dürfen Kinder noch Kinder sein und die Welt mit ihren eigenen Augen sehen – und nicht mit denen ihrer manches Mal durchaus schrägen Eltern. (Sanna Weisz, 19.2.2017)