Eine Statue in Lima, gespendet von Odebrecht. Der Bauriese bestach auch peruanische Politiker.

Foto: apa/Cris Bouroncle

Die brasilianische Polizei gab den Ermittlungen im Fall Odebrecht den Namen "Apocalypse". Der Weltuntergang ist zwar noch nicht eingetreten, aber der Korruptionsskandal um Lateinamerikas größten und mächtigsten Baukonzern hat den ganzen Kontinent ins Wanken gebracht. Die Ermittler spürten ein weitverzweigtes Netz aus Geheimkonten, Briefkastenfirmen und Geldwäschern auf. Mehr als 800 Millionen Dollar an Bestechungsgeldern flossen Aussagen ehemaliger Manager zufolge in den vergangenen 16 Jahren in die Taschen von Politikern.

Die Fäden hielt Marcelo Odebrecht zusammen. Der Präsident des Konzerns sitzt seit eineinhalb Jahren in Haft. Vor seiner Aussage zittern jetzt Staatsoberhäupter und frühere Präsidenten quer durch Lateinamerika. In der kommenden Woche schon will das Oberste Bundesgericht Berichten zufolge die Verhörprotokolle zur Veröffentlichung freigeben.

Allein in Brasilien sollen mehr als 150 Abgeordnete, 20 aktuelle und ehemalige Gouverneure und sieben Minister der amtierenden rechtskonservativen Regierung unter Michel Temer auf der Bestechungsliste stehen. Keine Partei profitierte mehr von Schmiergeldzahlungen als die PMDB, deren Parteichef Temer ist.

Strohmann

Ihm wird vorgeworfen, für den Wahlkampf 2014 mindestens drei Millionen Euro von Odebrecht über einen Strohmann erhalten zu haben. Bisher hüllt er sich dazu in Schweigen. Doch hinter den Kulissen übt sich die Präsidentenequipe in Schadensbegrenzung: Temers hat in der Zeit ihrer zehn Monaten währenden Regierung bereits sechs Minister wegen Korruptionsverdacht verloren.

In den 1990er-Jahren stieg Odebrecht, ein brasilianisches Familienunternehmen mit deutschen Wurzeln, zum Global Player auf. Dafür gab es von Mexiko bis Patagonien Aufträge für den Bau von U-Bahnen, Raffinerien, Straßen, Flughäfen und WM-Stadien in Brasilien.

Auch in Angola und Mosambik ist Odebrecht Marktführer. Als Türöffner fungierte damals Brasiliens Linkspräsident Luiz Inácio Lula da Silva, der während des Wirtschaftsbooms eine Investitionsoffensive einleitete. Odebrecht holte sich den Großteil der öffentlichen Aufträge, auch wenn sich die Konkurrenz über die hohen Preise mokierte. Heute weiß man: Odebrecht funktionierte wie eine Geldbeschaffungsmaschine für Politiker im Wahlkampf, egal welcher Gesinnung.

Kronzeugendeal

Bei seiner Festnahme verweigerte Marcelo Odebrecht noch jegliche Zusammenarbeit mit der Justiz und begegnete Ermittlern mit unverhohlener Arroganz. Als dann im Zuge der Korruptionsermittlungen "Lava Jato" ("Schnellwäsche") um Brasiliens staatlich kontrollierten Mineralölriesen Petrobras immer neue Details über das Bestechungsnetz seines Konzerns ans Licht kamen, sah sich der 48-Jährige in die Enge getrieben. Im Juni wurde er zu 19 Jahren Haft verurteilt.

Derweil handelten Anwälte im Hintergrund schon die Konditionen für einen Kronzeugendeal aus. Einen Tag vor Weihnachten unterzeichnete Odebrecht den Vertrag. Brasilianische Zeitungen titelten: "Achtung Politik – Tsunamiwarnung". Odebrechts Haftzeit wurde auf zehn Jahre reduziert, womöglich könnte er schon Ende des Jahres seine Strafe zu Hause absitzen. Das Unternehmen muss eine Pönale von mehr als 3,5 Milliarden Dollar über 23 Jahre hinweg zahlen. Weitere 77 inhaftierte Manager des Konzerns ließen sich auf einen Handel mit der Staatsanwaltschaft ein und berichteten Brisantes. Auch ihre Verhörprotokolle sollen demnächst freigegeben werden.

Drei Ex-Präsidenten auf Schmiergeldliste

In Peru sollen gleich drei einstige Präsidenten auf der Schmiergeldliste stehen. In Argentinien, Panama und El Salvador bangen Expräsidenten, in Venezuela und Kolumbien müssen sich die aktuellen Staatsoberhäupter, Nicolás Maduro und Juan Manuel Santos, Ermittlungen stellen. Erstaunlicherweise findet sich in den Unterlagen offenbar nichts über Kuba: Dort ergatterte Odebrecht den Megaauftrag für den Bau des Tiefseehafens in Mariel.

Gegen Expräsident Lula laufen vier Korruptionsverfahren. Die Ermittler werfen dem Polithaudegen vor, Odebrecht habe eines seiner Luxusapartments und sein Feriendomizil aufwendig für rund eine Million Euro renoviert. Lula weist alle Vorwürfe zurück und will sich bis vor den Vereinten Nationen dagegen wehren. Aussagen soll Firmenpatriarch Emílio Odebrecht, der Vater von Marcelo. Falls Lula belastet wird, kann er seine für 2018 angekündigte Präsidentschaftskandidatur begraben. Falls nicht, wäre dies eine Riesenblamage für den zuständigen Korruptionsrichter Sérgio Moro – einem erklärten Erzfeind von Lula und seiner linken Arbeiterpartei PT.

Der Skandal strahlt bis Wien aus. Rund um die Fußballstadien etwa in Recife, São Paulo und Salvador sollen nach Recherchen der ZiB 2 Zahlungen auch über die Meinl Bank Antigua gelaufen sein. Von 1,6 Milliarden Dollar ist die Rede. Die Meinl Bank Antigua war bis 2010 eine Tochter der Meinl Bank AG in Wien. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 20.2.2017)