Die Regierung in Westminster muss im Falle eines Brexit die EU-Arzneimittel-Agentur abgeben.

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Noch bevor London den Antrag für den EU-Austritt gestellt hat, strecken die verbleibenden Mitgliedsstaaten ihre Fühler nach möglichen Resten und Schnäppchen aus. Besondere Begehrlichkeiten erweckt dabei die Europäische Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency, EMA).

Sie ist eine von über 40 dezentralen Einrichtungen der EU, und ihre Aufgabe besteht im Schutz und in der Förderung der Gesundheit von Mensch und Tier. Dafür beurteilt und überwacht sie Human- und Tierarzneimittel. Ihre Hauptaufgabe ist die Erteilung der sogenannten europäischen Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln. Mit einem einzigen Antrag bekommt man so als Pharmaunternehmen die Zulassung für ein neues Medikament in der ganzen Europäischen Union.

900 Mitarbeiter

Die EMA ist mit fast 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die zweitgrößte EU-Agentur und hat ihren Sitz derzeit in London. Nach dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs muss sie logischerweise in ein EU-Mitgliedsland umgesiedelt werden. Das weckt Begehrlichkeiten. Auch in Österreich.

Mitte Jänner traten nun – in seltener Einigkeit – die Wiener Präsidenten der Wirtschaftskammer und der Arbeiterkammer vor die Medien und präsentierten ihren "Masterplan". Was das Kammerpräsidenten-Duo tatsächlich ablieferte, war eine haarsträubende Milchmädchenrechnung betreffend mögliche Umwegrentabilitäten, gespickt mit allgemein-europapolitischen Falscheinschätzungen und einer fast schon penetranten Bewerbung des neuen Büroviertels rund um den neuen Zentralbahnhof. Wenn das die europapolitische Meisterleistung der österreichischen Sozialpartner darstellen sollte, dann konnte man nur den Kopf schütteln.

Wirtschaftskammerpräsident Ruck jedenfalls präsentierte stolz angebliche Berechnungen seiner Kammer, denen zufolge die jährliche Wertschöpfung einer EMA-Ansiedlung in Wien 133 Millionen Euro einbringen würde. Dazu kämen noch elf Millionen an Sozialversicherungsabgaben und sechs Millionen an Einkommenssteuer, die die knapp 900 EMA-Mitarbeiter in Österreich abführen müssten.

Keine Studie erstellt

Auf Nachfrage muss die Wiener Wirtschaftskammer eingestehen, dass sie keine eigene derartige Studie erstellt hat. Stattdessen hat man eine Außenamtsstudie aus dem Vorjahr betreffend die Umwegrentabilität internationaler Organisationen in Österreich genommen, die Wertschöpfung pro Beschäftigten (in multilateralen Organisationen) heruntergebrochen und so einfach die präsentierten Zahlen produziert.

Die EU-Experten der Wiener Wirtschaftskammer haben dabei weder bedacht, dass man internationale Organisationen nicht einfach mit einer EU-Agentur gleichsetzen kann (etwa niedrigeres Gehaltsniveau), noch, dass EU-Mitarbeiter ihre Sozial- und Steuerabgaben in die EU-Kassen leisten und natürlich nicht ins nationale System.

Der Wiener Arbeiterkammerpräsident Rudolf Kaske betätigte sich indessen als Immobilienentwickler der Stadt Wien und fantasierte über die benötigten 20.000 Quadratmeter EMA-Bürofläche. Er rührte heftig die Werbetrommel für die Gebiete um den Zentralbahnhof oder den früheren Nordbahnhof. Offensichtlich hat ein Arbeiterkammerpräsident in Zeiten einer anhaltenden Arbeitslosigkeit in Österreich und einer stetig sinkenden Zahl an Betriebsräten kein wichtigeres Problem, als einen "attraktiven Standort mit modernster Büroinfrastruktur anzubieten, der mehr oder weniger bezugsfertig ist und verkehrsmäßig gut erschlossen".

Den Vogel schossen die beiden Kammerpräsidenten jedoch gemeinsam mit ihrer Feststellung ab, "Wien würde mit einem Schlag zum Zentrum der Biotech- und Pharmaindustrie Europas werden". Den beiden ist im Überschwang wohl entgangen, dass es sich lediglich um die Zulassung und nicht die Produktion von Arzneimitteln handelt. Aber wahrscheinlich glauben sie auch, dass mit einer simplen Kfz-Zulassungsstelle automatisch auch die Ansiedlung der gesamten Autoindustrie verbunden ist.

Wer jetzt glaubt, dass man all dies an Peinlichkeit nicht übertreffen kann, der irrt. Um dem ganzen Irrwitz österreichischer Bemühungen um eine EMA-Ansiedlung in Wien die Krone aufzusetzen, hat die Bundesregierung auch noch einen externen Berater beauftragt. Der 80-jährige, seit zehn Jahren pensionierte ehemalige EU-Botschafter Gregor Woschnagg soll eine "Verbalnote" an die EU-Institutionen sowie die Mitgliedsstaaten schicken.

Externer Berater

Warum man ausgerechnet den jetzigen EU-Berater der Industriellenvereinigung, Vorsitzenden des International Advisory Board der Vienna Capital Partners sowie Präsidenten des Ehrenkomitees der Spanischen Hofreitschule damit beauftragt, den tagtäglichen Job der Bundesregierung zu erledigen, bleibt leider unbeantwortet. Darauf wie auch auf die Frage, mit welchen Kosten diese Beauftragung möglicherweise verbunden ist, konnte (oder wollte) das Kabinett des Bundeskanzlers auch nach einer Woche keine Antwort geben. Der gelernte Österreicher zieht daraus seine Schlüsse. (Stefan Brocza, 22.2.2017)