Foto: APA/Votava

Wer sollte heute noch gegen den Opernball demonstrieren, und vor allem, warum? Niemand, war der Tenor in den vergangenen Jahren, denn Grund gebe es wirklich keinen mehr. Viele derer, die früher demonstrierten, seien nun selbst eher Ballbesucher als -gegner, analysierte der Soziologe Roland Girtler. Erich Zwettler, der Leiter des Wiener Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, vermutet in der geringeren Mobilisierung auch eine Zersplitterung der linksradikalen Szene. Es gebe marxistische, stalinistische, trotzkistische, maoistische und andere Gruppen, die sich häufig nicht auf gemeinsame Bemühungen einigen könnten.

"Inzwischen ist der Opernball längst entpolitisiert", sagte hingegen Ex-Opernballorganisatorin Desirée Treichl-Stürgkh. Die Künstler würden nun großgeschrieben. Der These von der Entpolitisierung stimmte Martin Margulies, Budgetsprecher der Wiener Grünen und einst selbst Teilnehmer, zu: "Gegen ein Kasperltheater demonstriert man nicht." Wegen der Lugner-Inszenierung habe der Ball an Bedeutung und damit an Mobilisierungspotenzial verloren, das mittlerweile stärker auf den von der FPÖ veranstalteten Akademikerball gerichtet werde. Auch Margulies' Wiener Parteikollege Nikolaus Kunrath sprach von einer "Clownerie und grotesken Zusammentreffen", die eingezogen seien. Früher sei noch gegen politisch kontroverse Personen und Weltbilder protestiert worden, an denen es auch am Opernball nicht mangelte. Damals habe es noch Figuren wie Franz Josef Strauß gegeben.

Der europäische Hygienekreis nach Strauß

Der bayerische Ministerpräsident hatte sich 1987 für den Opernball angekündigt, als in Deutschland längst gegen seine Pläne einer Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Brennstäbe aus Kernreaktoren nahe dem oberpfälzischen Städtchen Wackersdorf protestiert wurde. Nun zog Strauß auch den Zorn österreichischer Atomkraftgegner auf sich. Die Grüne Alternative Wien zeigte für den 26. Februar eine Demonstration vor der Oper an, und neben Strauß richtete sie sich auch gegen die Einladungspolitik der Republik. Dabei ertrug das offizielle Österreich den Besuch des CSU-Mannes selbst gerade so.

Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) war schwer verstimmt über die jüngsten Pläne des bayerischen Kabinetts, aus Angst vor einer verstärkten Aids-Ausbreitung einreisende Ausländer verpflichtenden Bluttests zu unterziehen. Strauß unterschied zunächst zwischen EG-Ausländern, die in seinen Augen auch einem gemeinsamen "europäischen Hygienekreis" angehörten, und Nicht-EG-Ausländern, zu denen legistisch auch die Österreicher gehörten. Strauß ruderte zurück, zumindest weit genug, um dem österreichischen Ego zu genügen: Es wäre "unsinnig, wenn man einreisende Sizilianer oder Südspanier nicht in diese Untersuchung einbezieht, dafür aber Österreicher, Schweizer, Finnen, Schweden oder Norweger".

Am Tag nach dem Opernball sagte Strauß: "Mich lässt das völlig kalt, ich bin an solche Narren gewöhnt." Der Protest draußen vor der Oper war am Vorabend tatsächlich eskaliert. Laut Polizeiprotokoll zündete eine Gruppe der rund 500 Demonstranten gegen 21.30 Uhr pyrotechnische Raketen und warf Flaschen in Richtung der Exekutive. Grünen-Chefin Freda Meissner-Blau sprach von "provozierenden autonomen Elementen". Um 22 Uhr wurde die Versammlung aufgelöst und der "Befehl zum Gebrauch der Gummiknüppel" erteilt.

Die erste Opernballdemo 1987.
Foto: Robert Newald

40 Personen wurden festgenommen, und während sich 13 Polizisten verletzt meldeten, wurde laut Protokoll nur "eine Demonstrantin leicht verletzt. Gegen 23.30 Uhr herrschte wieder Ruhe." Augenzeugen berichteten der "Arbeiter-Zeitung" hingegen von dutzenden Verletzten und einer Hetzjagd der Polizei auf die teilweise Vermummten: "Die haben zu zehnt auf zwei oder drei Menschen eingedroschen." Auf die Frage nach der Dienstnummer eines Beamten soll das Götzzitat gefallen sein, mit dem Nachsatz: "4711 kannst haben." Leser berichteten von Polizisten, die junge Mädchen an den Haaren über die Ringstraße gezerrt haben sollen. "Deutsche Verhältnisse", kommentierte ein Passant. Nach seinem Kenntnisstand aber habe sich die Polizei "geradezu vorbildlich verhalten", sagte Innenminister Karl Blecha (SPÖ) am nächsten Tag. Die Grünen sprachen von "Sauerei" und "Polizeistaat". Es waren die heftigsten Auseinandersetzungen zwischen Bürgern und der Exekutive in Österreich seit der Räumung der besetzten Stopfenreuther Au bei Hainburg drei Jahre zuvor.

Die Opernballdemo wurde zum Szenemythos

1988 versuchte ein Personenkomitee eine Demo gezielt gegen den Ball selbst anzumelden. Nach Medienberichten über mögliche Ausschreitungen untersagte die Polizei die Versammlung, dennoch machten sich am Abend des 11. Februar rund 3.000 Personen auf zur Oper. Nach offiziellen Berichten waren 1.600 Polizisten im Einsatz, doch den Demonstranten gelang es, eine Polizeisperre bei der Operngasse zu durchbrechen. Um 22.30 Uhr umdrängte eine Gruppe beim Kärntner Ring ein Polizeiauto, in dem eine Demonstrantin festgehalten wurde. Eine Seitenscheibe zerbarst, der Polizist stieg laut Zeugen aufs Gas, überrollte eine 25-jährige Frau und brach ihr das Becken. Innenminister Blecha dankte diesmal nicht nur den Beamten für ihr "wohlüberlegtes Verhalten", sondern auch den engagierten Demonstranten, dass die Situation nicht weiter eskalierte.

Spätestens in ihrem dritten Jahr wurde die Opernballdemo zum Mythos innerhalb der Szene und den Medien zur bereitwilligen Ergänzung der jährlichen Ballberichterstattung. Trotz neuerlichen Demoverbots fanden sich am 2. Februar 1989 wieder mehr als tausend Protestierende ein, ihre Parole wählten sie nach dem britischen Anarcho-Spielfilm "Eat the Rich". Stärkster Antrieb dürfte aber Vergeltung für die polizeiliche Räumung mehrerer besetzter Häuser in Wien in den Monaten davor gewesen sein.

Der 1989 zweckentfremdete Mercedes.
Foto: APA/Votava

Einige Demonstranten fingen den Mercedes eines Besucherpaares ab, zwangen es zur Flucht und demolierten den Wagen, indem sie ihn als Rammbock gegen Absperrungen nutzten. Andere warfen Molotowcocktails und Leuchtraketen. Die Polizei antwortete mit Wasserwerfern und Trockenfeuerlöschern. Um 21.51 Uhr wurde neuerlich mit Knüppeln geräumt. 52 Menschen wurden verletzt und acht festgenommen, darunter der deutsche Fahrer eines Lkw, in dem die Brandgeschoße transportiert worden waren.

Flauer Auftakt

1990 stand den Demonstranten neben der Polizei ein weiteres Feindbild gegenüber: Neonazis. Am Beginn der angemeldeten und diesmal auch genehmigten Demo wurden den Polizisten noch Blumen überreicht, doch beim Resselpark fingen die Rechten einen Teil der Demonstranten mit Schlagstöcken ab. Die Nacht war wieder von Gewalt in der Wiener Innenstadt geprägt, laut APA lautete das damalige Resümee: "So arg wie 1989 waren die Krawalle nicht." Die Grünen allerdings sprachen von einem "polizeilichen Terroreinsatz" und die Sozialistische Jugend von "Treibjagden", nachdem ihr oberösterreichischer Landessekretär von Polizisten so schwer verletzt worden war, dass ihm der Verlust des Augenlichts drohte.

Polizist mit Nelke.
Foto: Christian Fischer

1991 wurde der Opernball zum ersten und bisher letzten Mal in der Geschichte der Zweiten Republik abgesagt. Es herrschte Golfkrieg, und die Veranstalter sahen sich außerstande, die Sicherheit der Staatsgäste zu gewährleisten. 300 unverbesserliche Opernballgegner schrien trotzdem gegen die Nichtveranstaltung an; die personalmäßig vielfach überlegene Polizei war unbeeindruckt. Eskalationen blieben aus.

In den folgenden Jahren erlosch das Interesse an den Opernballdemos mehr und mehr. In den 1990er-Jahren wurde in manchen Jahren gar keine Demo angemeldet, und falls doch, blieben die Massen aus. Am Abend des 19. Februar 1998 etwa veröffentlichte die APA eine Meldung mit dem Titel "Flauer Auftakt mit 16 Demonstranten", korrigierte die Zahl aber später nach oben: "Nach rund einer Stunde hatte sich die Anzahl der Teilnehmer auf knapp zwei Dutzend erhöht. Auch das polizeilich angemeldete Megaphon war im Einsatz." Auf Flugblättern mit dem Impressum "Die dogmatische Front" waren Slogans wie "Erst wenn die Oper abgebrannt / dann herrscht auch wieder Frieden im Land" gedruckt.

"Affront gegen den Rechtsstaat"

Für 2. März 2000 wurde im Namen der "Repolitisierung" erneut gegen den Opernball mobilgemacht, die Tanzveranstaltung war als Ziel aber wiederum nur vorgeschoben. Der wahre Protest richtete sich gegen die vier Wochen zuvor angelobte ÖVP-FPÖ-Bundesregierung; auch der Veranstalter des Protests hieß "Aktionskomitee gegen Schwarz-Blau". Polizei und Organisatoren sprachen übereinstimmend von 15.000 Teilnehmern bei der Veranstaltung, die mit einer der ersten Donnerstagsdemos zusammenfiel. 17 Personen wurden festgenommen, darunter nach dem Verbotsgesetz der als Hitler-Double aufgetretene Schauspieler Hubsi Kramar.

Proteste gegen den Opernball und die Regierung im Jahr 2000.
Foto: Christian Fischer

Trotz 53 verletzter Polizisten und 200 aktenkundiger Sachbeschädigungen resümierte Innenminister Ernst Strasser (ÖVP), die Polizei habe die Kundgebungen "in ganz hervorragender Art und Weise begleitet und beschützt". Selbst der grüne Abgeordnete Peter Pilz sagte, die Polizei habe intelligent gehandelt, die Sicherheitskultur in Österreich sei seit Anfang der 1990er-Jahre zum europäischen Vorbild geworden.

2001 sorgte im Vorfeld ein Vorschlag der Organisatoren für Aufsehen, auf die Demo zu verzichten, falls die Polizei die für den Einsatz anberaumten Kosten für einen gemeinnützigen Zweck spendet. "Wir sind nicht auf einem orientalischen Basar, wo gehandelt wird", wies Wiens Polizeivizepräsident Günther Marek das Angebot zurück. Man lasse sich nicht erpressen. Nur 700 Demonstranten tauchten auf, die den 1.100 Polizisten aber Scharmützel lieferten. Eine eingeschlagene Windschutzscheibe eines Polizeiautos sowie mehrere brennende Müllcontainer und zerbrochene Schaufenster später lag die Bilanz bei 21 verletzten Polizisten und 42 Festnahmen.

Foto: Christian Fischer

Marek sprach von der Gewalt "nicht als Kriegserklärung – aber als Affront gegen den Rechtsstaat" und rechtfertigte eine Polizeirazzia im autonomen Ernst-Kirchweger-Haus in Wien-Favoriten noch am selben Abend, weil dort eine Art Einsatzzentrale der Gewaltstifter vermutet worden war. Gefunden wurde nichts. Doch auch die Polizei war nicht vor Kritik gefeit. "Ich war direkt vor Ort, als Ecke Schwarzenbergplatz und Kärntner Ring Polizeieinheiten ohne ersichtlichen Grund im Laufschritt in die Demonstration stürmten, auf Menschen einprügelten", sagte Waltraud Stiefsohn, die Vorsitzende der Wiener KPÖ.

Die stellvertretende Klubobfrau der Grünen, Madeleine Petrovic, verurteilte die Gewalt von Provokateuren, mahnte aber, die Exekutive dürfe "auch bei Übergriffen nicht selbst demokratische Grundrechte verletzen und unverhältnismäßige Aktionen setzen".

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: REUTERS/Herwig Prammer

Bei einem Prozess gegen einen der 13 angeklagten Demonstranten im Juli des Folgejahres sagte Petrovic, sie selbst sei zu Sturz gekommen, als die Polizei den Platz vor der Secession räumte. "Anstürmende Beamte" hätten sie "brutal umgestoßen", sagte sie im Zeugenstand. "Es war recht turbulent, weil viele Leute verprügelt worden sind. Mich hat's Gott sei Dank nicht getroffen." Staatsanwalt Karl Schober bezeichnete die Opernballdemo bei diesem Verfahren als "folkloristische Veranstaltung, die jedes Jahr wiederkehrt". Der angeklagte Student wurde wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt zu fünf Monaten bedingter Haft verurteilt. Ein 32-jähriger Wega-Beamter war hingegen bereits im April von einer Körperverletzungsklage im Zweifel freigesprochen worden – trotz Geständnisses.

"Ausziehen! Ausziehen!"

Im Vergleich zum Jahr davor klang der Opernballabend 2002 auf den Straßen geradezu friedlich aus. Von der Höchstzahl der rund 1.000 Demonstranten war der Protestzug auf 300 zusammengeschrumpft, noch bevor er beim Café Museum zu seinem geplanten Ende kam. In Anspielung auf einen Kalender der Grazer Polizei, für den sich Beamte in teils anrüchigen Posen hatten ablichten lassen, forderten sie die postierten Exekutivangehörigen immer wieder auf: "Ausziehen! Ausziehen!"

"Glimpflich, friedlich, ruhig" nannte Wiens Polizeipräsident Peter Stiedl den Abend, der Generalinspektor der Sicherheitswache, Franz Schnabl, lobte die Besonnenheit der Kundgebungsteilnehmer. Die Gewaltbereiten seien "an einer Hand abzuzählen" gewesen. Dennoch stockte die Polizei ihr Personalkontingent für das nächste Jahr erneut auf. 1.400 Beamte waren 2003 im Einsatz, und bis nach Mitternacht hatten sie kaum zu tun, um die 700 Demoteilnehmer unter Kontrolle zu halten. Erst dann kam es vereinzelt zu Randalen. Mit 60 Festnahmen wegen Sachbeschädigung landete fast jeder zehnte Demonstrant in Polizeigewahrsam.

Foto: Robert Newald

2004 gab es erst gar keine Anmeldung. Weil im Internet dennoch informell zur Teilnahme aufgerufen wurde, rief die Polizei wie jedes Jahr eine Sperrzone um die Oper aus. 450 Personen ließen es sich dennoch nicht nehmen, von der Neubaugasse loszumarschieren. Sieben Festnahmen und fünf leichtverletzte Polizisten, lautete die Bilanz nach kleineren Auseinandersetzungen.

Vorläufiges Aus für "folkloristische Veranstaltung"

Auch 2005 wurde keine Veranstaltung angezeigt, die Polizei war dennoch mit bis zu 1.000 Beamten im Einsatz. Zwar wurden im Vorfeld sieben "verdächtig aussehende" Personen durchsucht und ihnen Farbbeutel und Steinschleudern abgenommen, zuletzt fanden sich aber keine zwanzig Demonstranten am Rand der Sperrzone ein.

Polizeilicher Aushang zum Platzverbot 2008.
Foto: Manfred Werner - Tsui / Wikimedia (CC BY-SA 3.0)

Das war das vorläufige Ende der "folkloristischen Veranstaltung". 2006 lockte der Opernball keinen Demonstranten mehr hinter dem Ofen hervor, 2007 wurde zwar eine Demo angemeldet, die war aber "pro Opernball, ich bin pro", sagte Richard Lugner. Mit der Veranstaltung wollte er unliebsame Aktivisten von der Autogrammstunde mit seinem Gast Paris Hilton in der Lugner-City fernhalten.

2008 standen 700 Polizisten acht Demonstranten gegenüber, 2009 waren es zwei bis drei Dutzend und 450 Beamte. Ab 2010 verzichtete die Polizei auf ein Platzverbot, und 2011 wurden vor der Oper ganze sechs Leute mit Transparenten gezählt.

Die Opernballdemo 2011.
Foto: Robert Newald

Doch kommen wir zurück zur Eingangsfrage: Die Kommunistische Jugend Österreichs (KJV) und der Kommunistische Studentenverband (KSV) sehen auch 2017 noch Anlass, gegen den Opernball zu demonstrieren. Bereits im November riefen sie zu einem Protestzug unter dem alten Motto "Eat the Rich" auf, Untertitel: "Kaviar für euch, Krise für uns?". Anders als die Demos in den 1980er-Jahren soll die 2017er-Auflage "keinen konfrontativen Charakter haben". 500 Teilnehmer erwarten sich die Organisatoren, ein Bus werde aus Linz ankommen. David Lang von der KJÖ erkennt "viele gute Gründe" für Proteste: Die Lohnentwicklung gehe nach unten, die Mieten nach oben. Mehr als 18 Prozent der Bevölkerung seien armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Dem gegenüber stehe ein Fest, bei dem "sich Politik und Kapital die Hände schütteln". (Michael Matzenberger, 23.2.2017)