Der Kontakt mit anderen Menschen ist für Schizophreniepatienten schwierig. Viele ziehen sich zurück und vereinsamen. Die Hoffnung: ein neues Medikament, das ein Sozialleben wieder möglich macht.

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Wolfgang Fleischhacker ist Experte für Schizophrenie.

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Innsbruck – Schizophrenie ist die rätselhafteste unter den psychiatrischen Krankheiten. Schon weil es schwerfällt, sich in die Lage der Betroffenen – rund ein Prozent der Bevölkerung – zu versetzen. "Während Depression, Demenz oder Suchtverhalten bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar erscheinen, ist es für gesunde Menschen kaum möglich, sich in die Welt Schizophrenieerkrankter hineinzuversetzen", sagt Wolfgang Fleischhacker, Direktor des Departments für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Medizinischen Universität Innsbruck.

Die Realität stellt sich für Schizophrenieerkrankte anders dar, weil alle Außenreize ungefiltert auf sie treffen. Das heißt, sie können nicht zwischen wichtigeren und weniger wichtigen Reizen differenzieren. Fleischhacker erklärt dies anhand einer Straßenkreuzung. Überquert ein Schizophrenieerkrankter den Zebrastreifen, so prasseln das grüne Licht der Ampel, der Verkehrslärm, die Gespräche der nebenstehenden Menschen, der Blinker eines Autos und sämtliche Reize der Umgebung ungeordnet mit derselben Intensität auf ihn ein und geben Anlass zu wahnhaften Fehlinterpretationen.

Das liegt daran, dass die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Gehirnarealen bei Schizophrenieerkrankten nicht so funktioniert, wie sie sollte. Die Ursache da- für ist, dass in Teilen des Gehirns zu viel des Neurotransmitters Dopamin ausgeschüttet wird, während zugleich in anderen Teilen des Gehirns zu wenig dieser Überträgersubstanz wirksam wird. Schizophrenie zeitigt daher unterschiedliche Arten von Symptomen. Zum einen die bekannten, sogenannten Positivsymptome, die auf eine gesteigerte Dopaminausschüttung zurückzuführen sind. Das sind Wahnideen oder Halluzinationen. Zum anderen sind rund ein Drittel der Erkrankten von den Negativsymptomen betroffen, die wahrscheinlich auf zu wenig Dopamin im Gehirn zurückzuführen sind. Diese Symptome sind gekennzeichnet von Antriebslosigkeit, Schwierigkeiten, sozial zu interagieren oder zu kommunizieren. "Diese Menschen haben auch Probleme, die Emotionen anderer richtig zu erkennen und die eigenen richtig zu erleben", erklärt Fleischhacker.

Gesundes Sozialleben ermöglichen

In der Behandlung von Schizophrenie blockiert man die Dopaminübererregung mittels Antipsychotika, um so die Positivsymptome abzustellen. Aber für die Langzeitprognose wäre es besonders wichtig, auch die Negativsymptome zu behandeln, um den Betroffenen ein gesundes und zufriedenes Sozialleben zu ermöglichen.

Der ungarische Pharmahersteller Gedeon Richter hat nun den Wirkstoff Cariprazin entwickelt, der genau das kann. Fleischhacker war ab einem sehr frühen Zeitpunkt dieser Entwicklung als Berater involviert und lieferte, als er das Potenzial des Wirkstoffes erkannte, den Anstoß, eine eigene klinische Prüfung des Medikaments zu veranlassen: "Ursprünglich sollte Cariprazin ein normales Antipsychotikum werden. Doch wir haben bei der Durchsicht der frühen Untersuchungen dazu festgestellt, dass der Wirkstoff auch die Negativsymptome deutlich verbessert hat."

In elf europäischen Ländern nahmen insgesamt 66 Studienzentren und 461 Patienten über die Dauer von rund zweieinhalb Jahren an der Untersuchung teil. Fleischhacker fungierte als Principal Investigator. Die Ergebnisse sind überzeugend und wurden nun im Fachmagazin Lancet publiziert. Eine Besonderheit für eine industriegesponserte Studie, wie Fleischhacker erklärt. Wobei er kritisch anmerkt, dass man eine endgültige Bewertung dieses Medikaments erst vornehmen kann, wenn diese Studienergebnisse repliziert werden und sich in der klinischen Praxis bestätigen.

Erste Innovation seit Jahren

Cariprazin eignet sich für eine klassische Monotherapie. Dabei wirkt es sowohl gegen die Positiv- als auch die Negativsymptome. Für den erfahrenen Innsbrucker Psychiater, der seit 40 Jahren an dieser Krankheit forscht, ist das Medikament die "erste echte Innovation seit 20 Jahren". Er ist überzeugt, dass dieser neue Wirkstoff vielen Schizophreniepatienten wieder "neue Hoffnung geben kann". Doch während Cariprazin zur Behandlung der Schizophrenie in den USA bereits zugelassen ist, prüft die Europäische Arzneimittelbehörde noch die Zulassung zur Behandlung der Negativsymptome bei Schizophreniekranken. "Das wäre ein absolutes Novum, denn bisher gibt es europaweit kein dafür zugelassenes Medikament", sagt Fleischhacker.

Die Schizophrenieforschung ist insgesamt sehr aktiv. So wurde jüngst mit Trevicta ein neues Depotantipsychotikum entwickelt. Auch hier war Fleischhacker involviert. Depotwirkstoffe geben die enthaltene Substanz über einen längeren Zeitraum gleichmäßig ab. Das bedeutet: Wenn Schizophreniekranke vergessen, ihr Medikament zu nehmen – ein häufiges Problem -, bleibt der Substanzspiegel im Körper aufrecht. Trevicta, das mittels Injektion verabreicht wird, ist auf drei Monate ausgelegt und bietet den Betroffenen so mehr Sicherheit, wenn es zu Unregelmäßigkeiten bei der Medikamenteneinnahme kommt.

Noch ist die Behandlung von Schizophrenie auf die Bekämpfung von Symptomen limitiert. Doch es tut sich viel in der Ursachenforschung. Aktuell versucht man der Krankheit mit bildgebenden Verfahren auf die Spur zu kommen, um die Veränderungen im Gehirn, die Schizophrenie auslösen, nachzuvollziehen. Daneben wird viel in der Genetik geforscht. Allerdings steht man vor dem Problem, dass es 107 Risikogene für Schizophrenie gibt: "Das hilft uns aber im Moment nicht weiter, weil die Gewichtung der einzelnen Gene unklar ist." Und auch die immunologischen Veränderungen stehen wieder mehr im Fokus, weil diese Neurotransmittersysteme beeinflussen können. (Steffen Arora, 4.3.2017)