Gesellschaftspolitik in der Hochschülerschaft? Nein, sagt Andreas Jilly von der AG. Ja, meint Marie Fleischhacker von der Gras.

Foto: Christian Fischer
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STANDARD: Bei den Antrittsinterviews der Exekutive der Hochschülerschaft vor zwei Jahren war das wichtigste Anliegen eine Gesetzesänderung zur Offenlegung der Unifinanzen. Was wurde daraus?

Fleischhacker: Wir haben das an verschiedenen Stellen deponiert. Rückmeldungen haben wir wenige bekommen. Als ÖH können wir das allein nicht umsetzen.

STANDARD: Wie sieht die Bilanz nach zwei Jahren ÖH-Exekutive in dieser Koalition aus?

Fleischhacker: Wichtig war, dass der ÖH-Sozialfonds erhöht wurde und die ÖH nun Studierenden in finanzieller Notlage besser helfen kann. Darüber hinaus gab es eine Bürgerinitiative zum Öffi-Ticket.

STANDARD: Was sagt die Opposition zur Arbeit der ÖH?

Jilly: Ich sehe die Probleme vor allem bei den studienrelevanten Themen. Die angesprochene Petition zu den Öffi-Tickets ist auf Drängen der Aktionsgemeinschaft endlich zustande gekommen. Das Problem in der Arbeitsgruppe der ÖH war vor allem die Gras, die massiv dagegen gearbeitet hat und sich nicht mit allen Fraktionen an einen Tisch setzen wollte. Ideologie verhindert hier Fortschritt für die Studierenden. Gerade beim Studententicket sollte Ideologie keine Rolle spielen.

STANDARD: Warum ist das nicht passiert?

Fleischhacker: Wir haben uns darauf geeinigt, das mit den Junos und der AG zu machen. Mit dem RFS ist es schwierig. Wir müssen irgendwo eine Grenze ziehen – deshalb werden wir als Gras auch gewählt. Vor allem, wenn die Ideologie so unterschiedlich ist.

STANDARD: Wie zeigen sich diese ideologischen Unterschiede?

Fleischhacker: Wenn der RFS zum Beispiel freien Zugang zu Hochschulen fordert, ist das prinzipiell zu begrüßen. Damit, dass das nur für österreichische Studierende oder für Menschen mit Matura gilt, tun wir uns als ÖH schwer.

Jilly: Trotzdem ist es ungerecht, auf dem Rücken der Studierenden diese ideologischen Differenzen auszutragen. Das ist der ÖH nicht würdig. Wir wollen die beste Bildung für Studierende.

STANDARD: Was ist für euch die beste Bildung?

Jilly: Dass man einen Platz in seiner Vorlesung bekommt. Derzeit muss man bei Vorlesungen auf dem Boden sitzen oder kommt nicht in Übungen. Das bringt unverschuldete Verzögerungen für die Studierenden. Es braucht ein geregeltes Zugangsmanagement.

Fleischhacker: Für uns ist beste Bildung eine Bildung, zu der alle Zugang haben. Und Bildung, die die Möglichkeit bietet, sich über seine Studiengrenzen hinweg weiterzubilden und zu emanzipieren. Ich sehe das Platzproblem, aber für mich ist die Lösung, dass der Hochschulsektor mehr Geld benötigt. Eine Studienplatzfinanzierung einzuführen, wo ausgerechnet wird, wie viele Leute überhaupt studieren dürfen, ist für mich eine Verarsche. Dass man durch das Studienplatzfinanzierungsmodell eine bessere Qualität erhält, ist eine Lüge.

Jilly: Auch wir fordern zwei Prozent des BIP für den tertiären Bildungssektor vehement ein, aber wenn die finanziellen Mittel begrenzt sind, muss man auch die Plätze begrenzen, denn sonst sinkt die Qualität.

STANDARD: Aktuell wird die Studienförderung überarbeitet. Was soll sich ändern?

Fleischhacker: Die Einkommensgrenzen der Eltern müssen angepasst werden, und die Beihilfe muss inflationsangepasst werden. Es braucht auch eine Ausweitung. Es gibt viel zu wenige Studierende, die die Beihilfen bekommen, und zu viele, die sie brauchen.

Jilly: Ich finde es sehr bedenklich, dass es immer noch nicht inflationsangepasst wird – da muss dringend etwas getan werden, ich hoffe, dass ihr euch da als Exekutive starkmacht. Für uns ist die Anhebung der Zuverdienstgrenze für Studierende sehr wichtig. Es kann nicht sein, dass es sich ab einem bestimmten Einkommen nicht mehr auszahlt zu arbeiten.

STANDARD: Im Mai finden wieder ÖH-Wahlen statt – was sind die großen Themen eurer Fraktionen für die nächsten zwei Jahre?

Jilly: Wichtig sind Zugangsregelungen und die Platzproblematik, der so entgegengewirkt wird. Ein weiteres Thema ist, wie wir die ÖH sehen: Sie sollte eine Vertretung im bildungspolitischen Sinn sein und sich nicht zu allgemeinpolitischen Themen äußern.

STANDARD: Das "allgemeinpolitische Mandat" ist aktuell im Gesetz vorgesehen. Sollte das gestrichen werden?

Jilly: Ja. Es braucht eine Konkretisierung: Die Kompetenzen der ÖH sollten dort enden, wo sich die Interessen der Studierenden nicht von den Interessen der allgemeinen Bevölkerung unterscheiden. Dafür gibt es andere Institutionen.

STANDARD: Was sind Themen, die nicht die ÖH betreffen und die sie momentan dennoch angeht?

Jilly: Zum Beispiel die Bundespräsidentschaftswahl. Es gab Wahlempfehlungen und Demonstrationen, die von der ÖH unterstützt wurden. Die Studierenden wissen selbst, wen sie wählen. Es braucht keine ÖH, die es ihnen sagt. Studierende brauchen ein Sprachrohr und keinen Babysitter.

Fleischhacker: Ich weiß nicht, wo du die ÖH als Babysitter für Studierende siehst. Man darf nicht vergessen, dass sowohl Studierende als auch Hochschulen Teil der Gesellschaft sind und dass es Themen gibt, die im allgemein politischen Mandat liegen, die man als ÖH ansprechen sollte.

Jilly: Es ist ja nicht so, dass die ÖH-Wahl die einzige Wahl ist, bei der Studierende wählen können. Wir werden nicht gehört, wenn wir alle Themen miteinander vermischen. Der ÖH-Beitrag ist nicht dazu gedacht, Demonstrationen zu finanzieren, sondern für Service und Interessenvertretung im Hochschulbereich.

Fleischhacker: Wir haben viele Serviceprojekte, unser Sozialreferat hat in diesem Jahr mehr als 300 Stunden beraten. Das ist das Pflichtprogramm. Alles andere ist die Kür dafür.

STANDARD: Hat sich die AG bei der ÖVP dafür eingesetzt, das allgemeinpolitische Mandat aus dem Gesetz zu streichen?

Jilly: Die ÖVP ist nicht unsere Mutterpartei, wir sind unabhängig.

STANDARD: Ihr bekommt kein Geld für den ÖH-Wahlkampf?

Jilly: Nein, aber wir bekommen die Plakatständer für die ÖH-Wahlen von der ÖVP zur Verfügung gestellt. Es gibt Zusammenarbeit mit der ÖVP, aber bei uns engagieren sich Studierende von allen politischen Richtungen.

Fleischhacker: Ich finde es bemerkenswert, dass ihr das immer noch behauptet.

Jilly: Aber das ist so.

STANDARD: Wurden Kontakte zur ÖVP genutzt, das allgemeinpolitische Mandat zu streichen?

Jilly: Ja, das haben wir versucht. Aber ich bekomme immer zu hören, dass das von den linken Fraktionen nicht gewollt wird.

STANDARD: Was sind die wichtigsten Themen für die Gras für die nächsten zwei Jahre?

Fleischhacker: Das sind das Öffi-Ticket und die Studienplatzfinanzierung, die jetzt ansteht.

STANDARD: Diese zu verhindern oder mitzugestalten?

Fleischhacker: Wie sie jetzt dasteht, können wir sie nicht mittragen.

STANDARD: Sie scheint aber fix ...

Fleischhacker: Sie steht schon seit fünf Jahren im Raum, und ich denke, sie wird weiter dort stehen.

STANDARD: Könnt ihr euch vorstellen, dass nach den Wahlen eure Nachfolger gemeinsam eine Exekutive bilden?

Fleischhacker: Wenn die AG ihre Position ändert, was Zugangsbeschränkungen, Studiengebühren und noch ein paar andere Punkte angeht, dann möglicherweise.

Jilly: Wir reden mit allen, nur mit RFS und kommunistischen Listen gibt es kaum Gemeinsamkeiten.

STANDARD: Wunschkoalition?

Jilly: Das sieht man nach der Wahl.

Fleischhacker: Ich kann mir vorstellen, die jetzige Koalition fortzusetzen, gerade weil es wichtig ist, für die Studierenden zu arbeiten und nicht der verlängerte Arm von einem Ministerium zu sein.

Jilly: Verlängerter Arm des Ministeriums ist in keiner Weise wahr.

STANDARD: Soll die Aufwandsentschädigung für ÖH-Funktionäre erhöht wird?

Jilly: Ich bin Vertreter vom Ehrenamt. Eine gewisse Aufwandsentschädigung ist aber sinnvoll. Ich würde freistellen, ob man die Aufwandsentschädigung annimmt, und sie flexibler gestalten. Wenn sich die ÖH-Arbeit finanziell für jemanden nicht ausgeht, sollte man ein bisschen mehr geben.

STANDARD: Wäre das AG-Modell sozial verträglicher als das jetzige?

Fleischhacker: Eine Erhöhung ist etwas, worüber wir reden können. (Oona Kroisleitner, Tanja Traxler, 10.3.2017)