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"Trainspotting" als Glücksfall: Danny Boyle.

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Wien – Natürlich braucht man Trainspotting nicht gesehen zu haben, um rasch zu erkennen, woran diese Männer gescheitert sind. An den Drogen möglicherweise, am Leben gewiss. Nach zwanzig Jahren kehrt Mark Renton (Ewan McGregor) nach Edinburgh zurück, um seine alten Freunde Spud (Ewen Bremner) und "Sick Boy" (Jonny Lee Miller) zu treffen, beziehungsweise dem ausgerechnet jetzt aus dem Gefängnis entflohenen Begbie (Robert Carlyle) aus dem Weg zu gehen. Mit 16.000 Pfund aus einem Drogendeal hatte er sich am Ende des Films aus dem Staub gemacht, die Rückkehr gestaltet sich nun entsprechend kompliziert.

Zwanzig Jahre später ist der Zug abgefahren: Spud, Renton, Sick Boy und Begbie suchen in Danny Boyles Sequel "Trainspotting 2" nach Lösungen und schaffen dabei neue Probleme.
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Trainspotting 2 erzählt diese Geschichte, die lose auf Irving Welshs Fortsetzung Porno beruht, in grimmigem Tonfall, wobei Danny Boyle einmal mehr auf seine stilisierte Ästhetik zurückgreift: schräge Perspektiven, knallbunte Farben und ein Hang zu schwarzem Humor prägen diesen Film, für dessen Zustandekommen einige Versöhnungsgespräche stattfinden mussten.

STANDARD: Woran denkt man, wenn man nach 20 Jahren mit denselben Schauspielern wieder am Set steht und ein Sequel mit einer solchen Erwartungshaltung dreht?

Boyle: Dass es diesen Film nicht geben würde, wenn auch nur ein Einziger gefehlt hätte. Tatsächlich drehten wir zuerst jene Szene, in der gegen Ende des Films alle endlich aufeinandertreffen. Für mich war es wichtig, dass alle Charaktere gleichberechtigt sind. Der erste Film gehörte in gewisser Hinsicht der Figur von Ewan McGregor, weil wir seine Erzählstimme hören. Trainspotting 2 sollte allen gleich viel Raum bieten.

STANDARD: "Trainspotting 2" orientiert sich im Gegensatz zu seinem Vorgänger viel stärker am klassischen Erzählkino: Ein Mann kehrt an den Ort seiner Jugend zurück und versucht, die Dinge wieder ins Reine zu bringen.

Boyle: Das hat mit der Geschichte dieser vier Charaktere zu tun: Man kann einfach nicht behaupten, dass sie alle noch immer Teenager wären, und es wäre noch merkwürdiger, wenn sie sich immer noch so benehmen würden, nachdem ihnen das Leben nicht gerade wohlgesinnt war. In diesem Sinn zeichnet der Film also eine Bewegung nach, von einer Unbekümmertheit früherer Tage hin zu den Schattenseiten des Lebens. Trainspotting 2 funktioniert wie ein Spiegel, in den die Charaktere zurückblicken, den aber auch wir ab einem gewissen Alter kennen.

STANDARD: Die vier haben sich aber doch unterschiedlich entwickelt.

Boyle: Eine der Grundideen des Films ist, dass sie alle versuchen, das Beste aus ihrer Vergangenheit zu machen – sogar Begbie, der sich an Renton rächen möchte und aus dem die Jahre im Gefängnis einen gefährlichen Mann gemacht haben. Das wollte ich von Beginn an klarstellen, deshalb gibt es auch die kurze Szene mit seinem Bewährungshelfer, in dem sich bereits die ganze Gewalt entlädt.

STANDARD: Man kann eben nicht einfach dort weitermachen, wo man aufgehört hat.

Boyle: In Trainspotting kümmerten sich diese vier jungen Männer um nichts und um niemanden. Eigentlich nicht einmal um sich selbst. Aber im Laufe der Zeit ändern sich alle Menschen. Man wird nachdenklicher, überlegt sich seine Entscheidungen. Und wenn man zurückblickt, taucht unweigerlich die Frage auf, was man anders hätte machen sollen. Dann kann man entweder bedauern oder versuchen, es in Zukunft anders zu machen.

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STANDARD: Wie bereits im ersten Teil hat man den Eindruck, dass die Musiknummern die Erzählung richtiggehend vorantreiben.

Boyle: Die Tragik des Älterwerdens besteht für mich unter anderem darin, dass man die unmittelbare Beziehung zur Musik verliert. Wenn man jung ist, kann man sich das gar nicht vorstellen. Das ist so natürlich, als würde man atmen. Ich habe mich bei der Auswahl der Songs an meine Tochter gehalten, weshalb es zum Beispiel Musik von den Young Fathers zu hören gibt. Eine großartige Band aus Edinburgh, die sogar aus der gleichen Gegend stammt wie Irvine Welsh.

STANDARD: "Trainspotting" war ein Film am Puls der Zeit und genießt bis heute sogenannten Kultstatus. Ein Glücksfall?

Boyle: Selbstverständlich. Das war eine völlig andere Zeit, und einen Film wie diesen konnten wir gar nicht planen. Da kamen viele Dinge zusammen, zunächst natürlich einmal die Vorlage von Irvine Welsh. Und dann das gesellschaftspolitische Umfeld: Nach zwanzig Jahren konservativer Regierung kam die Labour Party an die Macht, Tony Blair wurde Premierminister. An jeder Straßenecke war der Zeitgeist zu spüren. In der Kunst und in der Musik herrschte plötzlich eine bis dahin unbekannte Aufbruchsstimmung. Und wir hatten das Glück, mit Trainspotting mittendrin zu sein.

STANDARD: Zwanzig Jahre später ist diese Stimmung ins Gegenteil gekippt. Großbritannien hat seinen Austritt aus der EU eingeleitet. Was wäre das heute für eine Stimmung, auf die Sie sich beziehen?

Boyle: Das ist eine Frage, die immer wieder auftaucht, aber ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich weiß es nicht. Wir leben heute in einer anderen Welt. Die digitale Revolution hat uns überrollt, da brauchen wir uns gar nicht zu überlegen, ob uns das gefällt oder nicht, sondern höchstens wie wir damit umgehen.

STANDARD: Es gibt aber eine Szene in beiden Filmen, anhand deren man diese veränderte Sicht auf die Welt ziemlich gut ablesen kann, und zwar Rentons berühmten "Choose life"-Monolog. Jetzt heißt es unter anderem "Choose Facebook, Twitter, Instagram and hope that someone, somewhere cares."

Boyle: Damals sprachen Trotz und Wut aus ihm, und er beharrte voller Sarkasmus darauf, alles nicht haben zu wollen, was ihm angeboten wird. Heute sieht er die Dinge mit einer gewissen Traurigkeit. Er ist in ein Ödland zurückgekehrt, um die alten Wunden heilen zu lassen. Nur hier kann er Versöhnung finden. "Choose the ones you love" – davon erzählen diese zweite Rede und dieser Film in ihrem Kern. (Michael Pekler, 9.3.2017)