Am 12. Februar 2015 haben sich Russland, die Ukraine, Deutschland und Frankreich – das Normandie-Format – auf einen Maßnahmenkatalog zur Beendigung der Kriegshandlungen in der Ostukraine und zur politischen Lösung des Konflikts geeinigt. Dieses Minsker Abkommen sollte bis zum Jahresende 2015 umgesetzt werden. Dieses Vorhaben ist bislang kläglich gescheitert.

Der Konflikt in der Ostukraine besteht weiterhin als ein schwelender, low-intensity Konflikt, der in Schüben immer wieder zu einem heißen Konflikt mit größeren militärischen Zusammenstößen wird. Die Kämpfe um die Stadt Avdijivka im Februar haben das erneut deutlich gemacht. Der Konflikt hat bislang mindestens zehntausend Menschen das Leben gekostet und zu zahllosen Binnenvertriebenen und Fluchtbewegungen nach Russland und in das östliche Europa geführt.

Das Minsker Abkommen besteht aus 13 Artikeln. Der Haken des Textes aber ist, dass die Konfliktparteien einzelne Artikel unterschiedlich interpretieren und es für die Umsetzung der Verpflichtungen weitestgehend keine festgelegte Abfolge, also eine Sequenzierung, gibt und nur in Ausnahmefällen zeitliche Fristen.

Ein in Avdijivka zerstörtes Gebäude.
Foto: Reuters/Oleksandr Klym

Militärische Auflagen

Die militärischen Verpflichtungen sind bis heute nicht erfüllt. Der sofortige und umfassende Waffenstillstand ist ausgeblieben. Der Rückzug der schweren Waffen von der Kontaktlinie zwischen den Konfliktparteien kam zeitweise voran, aber immer wieder wurde dieses militärische Gerät auf beiden Seiten – der ukrainischen und der separatistischen Seite – wieder vorwärts stationiert. Die Fähigkeit der OSZE-Beobachter, die dauerhafte Rückverlagerung der Artillerie zu überwachen, scheitert immer wieder am verweigerten Zutritt, vor allem auf separatistischer Seite. Der Austausch der Kriegsgefangenen nach dem Prinzip "Alle für Alle" ist nur teilweise erfolgt.

Lokalwahlen in den besetzten Gebieten

Noch kläglicher ist die Umsetzung der politischen Verpflichtungen gescheitert. Die im Minsker Abkommen geforderten Lokalwahlen in den von den Rebellen besetzten Gebieten der Regionen Donezk und Lugansk sind nicht in Sicht. Zwar wird in der trilateralen Kontaktgruppe der OSZE (ukrainische Regierung, Separatisten, OSZE) darüber seit langem verhandelt; allein, ein Ergebnis gibt es bislang nicht. Das liegt zum einen daran, dass die Kriegsherren in den besetzten Gebieten kein Interesse an Wahlen haben, die sie von der Macht entfernen könnten. Weiters daran, dass die Ukraine nicht das im Abkommen vorgesehene Amnestiegesetz für die Separatisten beschlossen hat. Zum anderen daran, dass die ukrainische Seite Wahlen erst dann zulassen will, wenn alle "ausländischen bewaffneten Formationen und illegalen Kämpfer" die besetzten Gebiete verlassen haben und sich die Separatisten entwaffnen.

Sofern darunter die in den besetzten Gebieten operierenden russischen Soldaten gemeint sind, "können" diese sich nicht zurückziehen, weil sie nach offizieller russischer Lesart gar nicht dort sind. Die Entwaffnung der Separatisten zu fordern, wie es die ukrainische Regierung vor den Wahlen geschehen sehen will, ist absurd. Würden diese sich entwaffnen, würden sie von der ukrainischen Armee überrollt und die politischen Zusagen der Ukraine im Minsker Abkommen wären nichtig. Wer also die Entwaffnung vor Durchführung der Wahlen fordert, will keine Wahlen. Gleichzeitig gilt aber auch, dass demokratische Wahlen in einem militärischen Umfeld schwer durchführbar sind.

Grenzkontrolle und Verfassungsreform

Die ukrainische Regierung verlangt zudem, die Übergabe der Kontrolle der Grenze zwischen Russland und der Ukraine in den Rebellengebieten an die Ukraine. Das ist für einen souveränen Staat zwar mehr als verständlich, ist aber im Minsker Abkommen als "Schlussstein" der Umsetzung der Verpflichtungen gedacht. Die Grenzkontrolle ist im Artikel 9 des Abkommens für den Fall vorgesehen, dass alle Verpflichtungen nach Artikel 11 durch die ukrainische Regierung umgesetzt werden. Dazu gehört die Umsetzung einer Verfassungsreform, die eine Dezentralisierung der Ukraine vorsieht. Zwar wurde eine derartige Reform in erster Lesung im ukrainischen Parlament mit absoluter Mehrheit beschlossen; die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit für den Beschluss in zweiter und dritter Lesung ist aber unerreichbar. Ebenso gibt es keine parlamentarische Mehrheit für den Beschluss eines Gesetzes über einen permanenten, besonderen, rechtlichen Status der von den Rebellen gehaltenen Gebieten.

Die ukrainische Regierung rechtfertigt diese Versäumnisse damit, dass zuerst die Sicherheitsfragen des Abkommens gelöst werden müssen. Das ist auch die Position der deutschen Bundeskanzlerin. Diese klare Sequenzierung gibt es im Minsker Abkommen aber nicht und ist für die Ukraine nur ein Vorwand, um davon abzulenken, dass es derzeit keine politische Koalition in Kiev gibt, die die oben genannten politischen Verpflichtungen umzusetzen bereit wäre.

Auch die humanitären Verpflichtungen, die im Minsker Abkommen vorgesehen sind, werden nicht umgesetzt. Die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen zwischen den besetzten Gebieten und der Restukraine ist nicht erfolgt. Natürlich kann das ukrainische Argument verstanden werden, dass man für die besetzten Gebiete nicht auch noch bezahlen wolle. Die ukrainische Regierung muss sich dann nur fragen lassen, warum sie dieser Auflage in Minsk denn zugestimmt hat.

In der Stadt Donezk liegt vieles in Schutt und Asche.
Foto: Reuters/Alexander Ermoch

Ein schwelender Konflikt

Die Lösung des Konflikts in der Ostukraine ist also nicht zu erwarten. Die ukrainische Regierung hat nicht die politische Kraft dafür, Russland, das im Minsker Abkommen Garantiemacht (sic!), nicht Konfliktpartei ist, kann mit dem Fortbestehen eines low-intensity Konflikts gut leben. Damit wäre wohl das strategische Ziel Russlands, die Westintegration der Ukraine zu verhindern, sichergestellt.

Alle im Normandie-Format wissen, dass das Minsker Abkommen auf lange Sicht nicht umgesetzt werden wird, aber alle halten formal an diesem Vertragswerk fest. Zuviel politisches Kapital haben Frankreich und Deutschland in den Prozess investiert, um ihn aufzugeben. Dazu kommt die nicht zu beantwortende Frage, was denn die Alternative zu Minsk wäre. Besser ein schlechtes Abkommen, als kein Abkommen. Noch dazu haben Deutschland und Frankreich die Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland an die vollständige Umsetzung des Minsker Abkommens gekoppelt. Das räumt der Ukraine nicht nur die Stellung einer Vetomacht ein, sondern es verewigt die Sanktionen, denn die Umsetzung des Abkommens scheint unmöglich. So werden wir uns an ein Abkommen gewöhnen müssen, das nicht erfüllt wird und an einen weiteren, auf lange Sicht ungelösten Konflikt. (Gerhard Mangott, 9.3.2017)

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