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Die britische Flagge neben der europäischen. Eine der entscheidendsten Frage zur Zukunft des ERC: Wie wird sich das Budget weiter entwickeln, wenn der erfolgreichste Grant-Einwerber nicht mehr am Wettkampf der besten Ideen für Grundlagenforschung teilnimmt?

Foto: AP Photo/Matt Dunham

Vor zehn Jahren gelang es, eine "verrückte" Idee zu etablieren: Der Europäische Forschungsrat (European Research Council, ERC) wurde offiziell eingerichtet. Die EU-Mitgliedsländer waren dafür sogar zu substanziellen Mehrausgaben bereit. Seit 2007 fördert der ERC akademische Forschung basierend auf einem robusten Entscheidungsverfahren. Diese Woche wird das zehnjährige Jubiläum des ERC an Forschungseinrichtungen in ganz Europa gefeiert. Was macht den ERC so populär unter Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, und was sind zukünftige Herausforderungen?

Als forschungspolitisches Instrument der EU ist der ERC in doppelter Hinsicht einzigartig. Erstens wird er von einem unabhängigen Gremium (dem sogenannten Scientific Council) geleitet. Zweitens werden die Projektgelder ausschließlich nach wissenschaftlichen Kriterien vergeben. Es sei sogleich hinzugefügt, dass das nur im europäischen Kontext Besonderheiten sind: In vielen nationalen Systemen gibt es solche spezifischen Instrumente seit vielen Jahrzehnten (in den USA seit 1950 die National Science Foundation, NSF; in Österreich seit Mitte der 1960er den Wissenschaftsfonds, FWF). Der ERC ist aber das einzige Instrument, das diese an sich altbekannten und etablierten Merkmale auf transnationaler Ebene (nun ja; einigermaßen) konsequent umgesetzt hat, und damit hat er auch einige Effekte erzielt, die seine nationalen Pendants nicht erreichen können.

Ein symbolisches Surplus

Da wäre insbesondere der symbolische Surplus, der mit einem ERC-Grant (und der damit verbundenen, nicht unerheblichen Menge Geld) einhergeht. Eine Forscherin mit einem ERC-Starting-Grant wird unter ihren Wissenschaftskollegen in Portugal ebenso umstandslos als exzellent identifiziert wie in Norwegen oder Österreich. Mit einem Start-Preis des FWF (ungefähr dieselbe Ausrichtung) wäre die Reputation derselben Wissenschafterin im Wesentlichen auf Österreich begrenzt. Ein anderer Effekt ist, dass ERC-Grants eine beliebte Vergleichsgröße geworden sind: zwischen Forschungseinrichtungen, zwischen Regionen und Städten und zwischen Ländern. Die nationalen Ministerien führen penibel Buch über die Zahl an ERC-Grants in ihrem Land. Und wenn immer sich Rektoren aus unterschiedlichen europäischen Ländern treffen, wird eifrig verglichen, welche Uni mehr ERC-geförderte Projekte hat.

Zumindest unterschwellig ist an diesen Effekten immer wieder Kritik zu hören. Einen Grant zu bekommen ist immer bis zu einem gewissen Grad eine Lotterie, und umso mehr bei Erfolgsraten um gerade einmal zwölf Prozent. Sollen Unis wirklich auf einen so volatilen Indikator zurückgreifen, wenn sie entscheiden, wer eine Professur bekommt? Gleichermaßen: ERC-Gelder sind ungleich über Europa hinweg verteilt (der größte Teil geht nach Großbritannien, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Skandinavien, der Schweiz und Israel). Ist das ein ausreichender Beweis dafür, dass exzellente Forschung in anderen Ländern nicht stattfindet?

Sinkendes Budget durch Brexit

Das sind berechtigte Fragen. Wesentlich ist mir hier aber ein anderer Punkt – nämlich dass der ERC ein höchst europäisches Instrument ist: Viel mehr noch als der Rest des Forschungsrahmenprogrammes setzt er voraus, dass Europa ein integrierter Forschungsraum ist (das politische Schlagwort dazu lautet "European Research Area"). Wenn die Grundlagen des europäischen Integrationsprojekts infrage gestellt sind, betrifft das unmittelbar den programmatischen Kern des ERC. Durch den Brexit wird das Jahresbudget des ERC sinken, und Europa wird einer der dynamischsten Arbeitsmärkte für akademische Wissenschafterinnen und Wissenschafter wegbrechen (rund die Hälfte der ERC-Projektleiter an britischen Unis sind nichtbritische Staatsbürger aus dem Rest der EU). Doch das ist nur der Anfang: Sollte die Demontage der restlichen EU weitergehen und etwa der freie Personenverkehr eingeschränkt werden, dann wird ein europäisches Programm für individuelle Spitzenforscher insgesamt obsolet.

Ein zweites Problem hat mehr mit der eigentümlichen Weise zu tun, wie das europäische Integrationsprojekt organisiert ist. Der ERC wurde nach dem Vorbild nationaler Forschungsförderungseinrichtungen gegründet, aber seine rechtliche Basis und seine organisatorische Umsetzung könnten nicht unterschiedlicher sein. Formal ist der ERC gar keine eigenständige Organisation, sondern ein Programm unter dem Dach des EU-Forschungsrahmenprogramms (Framework Programme; derzeitige Ausgabe ist Nummer acht, besser bekannt als "Horizon 2020"), für das wiederum die Europäische Kommission verantwortlich zeichnet. Mit der konkreten Durchführung des Programms ist die ERC Executive Agency in Brüssel betraut. Der strategische Kopf ist das erwähnte Scientific Council.

Das ist, wie man früh erkannte, eine barocke Konstruktion. Tatsächlich stellte die Frage nach der richtigen "Governance" des ERC einen zentralen Konflikt in der Frühphase zwischen ERC-Advokaten und der Europäischen Kommission dar. Die von der Kommission präferierte Lösung – ein ERC unter ihrem Schutzschild – wurde letztlich nur umgesetzt, weil der einzig realistischen Alternative noch weniger Erfolg zugetraut werden konnte: Ein institutionell unabhängiger ERC wäre zwar näher an den nationalen Vorbildern, aber den Begehrlichkeiten von 27 (aktuell: 28) Mitgliedsstaaten weitgehend schutzlos ausgeliefert.

Nicht alles rosig

Das Scientific Council war für das Ausbuchstabieren der ERC-Strategie maßgeblich verantwortlich, und die Kommission hat diese Strategie abgesichert. Doch nicht alles unter ihrem Schutzschild ist rosig. Das Scientific Council genießt zwar ein Ausmaß an Autonomie, welche die Europäische Kommission sonst keinem ihrer mehreren hundert Expertengremien zugestanden hat. Den strategisch-operativen Kompetenzen steht aber keine institutionelle Verankerung gegenüber, und das Gremium verfügt auch über keinerlei eigene Ressourcen. Zugleich ist es eine wesentliche (informelle) Funktion des Scientific Council, bürokratische Anmutungen der Kommissionsadministration regelmäßig abzuwehren und dem ERC jene "wissenschaftsfreundlichen" Regeln zu bewahren, die ihn vom restlichen Rahmenprogramm abheben.

Das scheint das Schicksal des ERC zu sein: Er passt sich nur schlecht und mit vielen Reibungsverlusten in die institutionelle Landschaft der EU ein. Er ist dazu verdammt, ein Nischeninstrument innerhalb des EU-Forschungsrahmenprogramms der Kommission zu bleiben, was seinen Handlungsspielraum – in Bezug etwa auf neue Förderschienen – erheblich einschränkt. Und seine Weiterführung wird letztlich nicht daran gemessen, was er erreicht hat, sondern ob er in einigen Jahren überhaupt noch den dann gültigen Bedingungen dessen entspricht, was wir heute "europäische Integration" nennen. (Thomas König, 15.3.2017)