Forscher wollen eine neue Methoden entwickeln, um positive Berührungserlebnisse für Frühgeborene auf der Intensivstation sicherzustellen.

Foto: APA/dpa/Mascha Brichta

Lausanne/Columbus – Berührungen sind extrem wichtig für die gesunde Entwicklung von Neugeborenen. Kommt ein Baby vor der 37. Schwangerschaftswoche auf die Welt, muss es möglicherweise die erste Zeit seines Lebens auf der Intensivstation verbringen. Das hat Konsequenzen für die Entwicklung ihres Berührungsempfindens, wie Wissenschafter im Fachblatt "Current Biology" berichten.

"Manche Leute nahmen an, wir wüssten, was Babys fühlen, aber die meisten unserer Vermutungen beruhten auf der Reaktion älterer Kinder", erklärt Micah Murray von der Uni Lausanne, der an der Studie beteiligt war. Mitunter wurden auch Gesichtsausdruck oder Vitalzeichen herangezogen um daraus abzuleiten, wie Babys Berührungen fühlen.

In der nun vorgestellten Arbeit wählten die Forscher einen anderen Zugang: Mithilfe eines weichen Elektroenzephalografie (EEG)-Netzes maßen die Wissenschafter aus der Schweiz und den USA wie das Gehirn von Neugeborenen auf einen Luftstoß reagierte. Dabei verglichen sie ausgereift geborene Babys mit solchen, die zu früh (vor der 37. Schwangerschaftswoche) auf die Welt kamen. Die Messungen erfolgten kurz bevor die Babys das Spital verließen.

Beim Heranreifen helfen

Das Ergebnis: Je früher ein Baby geboren wurde, desto wahrscheinlicher zeigte es eine deutlich verminderte Hirnaktivität als Reaktion auf den Luftstoß, wie die Wissenschaftler berichten. Es konnte zudem beobachtet werden, dass sich die Art der auf der Intensivstation des Spitals erlebten Berührungen deutlich auf die Entwicklung der Hirnantwort von Frühchen auswirkte.

Je mehr sanfte Berührungen ein Frühgeborenes in den ersten Wochen seines Lebens erfährt, desto mehr gleicht sich demnach die Reaktion des Gehirns der von ausgereift geborenen Babys an. "Eltern sollten wissen, dass jede Minute zählt, die sie ihr Frühgeborenes halten, und seinem Gehirn und Körper beim Wachsen hilft", sagt Nathalie Maitre vom "Nationwide Children's Hospital" in Columbus im US-Bundesstaat Ohio. Wenn Eltern dies nicht könnten, sollten Spitäler überlegen, Therapeuten für ein sorgfältig geplantes Berührungsprogramm zu engagieren, so Maitre weiter.

Schmerz vermeiden

Umgekehrt wirken sich schmerzhafte Berührungen negativ auf die Hirnentwicklung aus, wie die Forschenden beobachteten: Die Hirnantwort der Frühchen auf den Luftstoß unterschied sich im Vergleich zu "fristgerecht" Geborenen umso deutlicher, je mehr schmerzhafte Prozeduren sie auf der Intensivstation durchlaufen mussten. Selbst wenn sie Schmerzmittel erhalten hatten.

"Es ist essenziell, schmerzhafte Prozeduren auf ein absolut notwendiges Minimum zu reduzieren", betont Studienautor Mark Wallace von der Vanderbilt University in Nashville. Das Verabreichen von Schmerzmitteln oder Zuckerlösung könnten die äußeren Anzeichen von Schmerz zwar "verstecken", aber den negativen Folgen für die Hirnentwicklung nicht unbedingt entgegenwirken.

Das Forscherteam will nun neue Methoden entwickeln, um positive Berührungserlebnisse für Frühgeborene auf der Intensivstation sicherzustellen. Außerdem wollen sie untersuchen, wie sich die Kombination verschiedener äußerer Reize auf die Entwicklung von Frühchen auswirkt, etwa bei Berührung und gleichzeitigem Hören einer Stimme – zum Beispiel den tröstenden Worten der Mutter oder des Vaters. (APA, sda, 16.3.2017)