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EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach der Unterzeichnung.

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Familienfoto der Staats- und Regierungschefs.

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In der "Erklärung von Rom" wurde eine Art Treueschwur zur Erneuerung der Gemeinschaft abgelegt.

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Rom/Brüssel – Zurück zu den Wurzeln Europas, nicht nur der Rechtsgemeinschaft der heutigen Europäischen Union, sondern auch an jenen Ort, an dem vor mehr als 2000 Jahren die Grundlagen des römischen Rechts geschaffen wurden: Das war ganz das Motto bei einem EU-Sondergipfel am Samstag in Rom, bei dem die Staats- und Regierungschefs von 27 Mitgliedsländern mit einer "Erklärung von Rom" eine Art Treueschwur zur Erneuerung der Gemeinschaft ablegten.

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Darin werden die Ziele und Reformnotwendigkeiten für die nächsten zehn Jahre beschrieben, insbesondere eine stärkere Rolle in der Sozialpolitik und bei der inneren und äußeren Sicherheit. Zugleich soll es Praxis werden, dass ein Kern von Staaten bei der Integration voranschreitet, ohne von einzelnen Ländern daran gehindert zu werden.

Anlass dafür war der 60. Jahrestag der Unterzeichnung der "Römischen Verträge" vom 25. März 1957. Damals wurde die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) von sechs Staaten ins Leben gerufen und der Grundstein für die gemeinschaftlichen Institutionen gelegt. Italiens Premierminister Paulo Gentiloni hatte bei prächtigem Frühsommerwetter zu dem Festakt eingeladen, ins Rathaus auf dem Kapitol im Zentrum der Stadt. Dort wurde der EWG-Vertrag 1957 unterzeichnet, im wahrsten Sinn des Wortes nur einen Steinwurf vom Forum Romanum, dem antiken Zentrum des Römischen Reiches.

"Ich verleugne nicht, dass ich mit einer gewissen Emotion in diesem Saal stehe", sagte Gentiloni in seiner Eröffnungsrede. Die Union habe eine lange Reise hinter sich, und in der heutigen Krise zeige sich, dass viele Hoffnungen von damals sich nicht erfüllt hätten. Vielmehr gebe es da und dort wieder eine "absurde Teilung" zwischen Ost und West, Nord und Süd. Die Welt habe sich seit 1957 gewaltig verändert, mit großen Problemen und Verwerfungen, aber die Europäer seien "in gewisser Weise stehengeblieben". Das müsse nun aufhören, die Union müsse "eine neue Seite aufschlagen", die gemeinsamen Werte ins Zentrum stellen, die Bürger dafür wiedergewinnen. Wir haben die Kraft dazu", sagte der italienische Premier.

Gelöste Stimmung

Die Atmosphäre beim Gipfel war überraschend gelöst, optimistisch, nicht nur feierlich. Bereits am Abend davor hatten die Regierungschefs bei Papst Franziskus in einer Privataudienz geistig "Kraft gesammelt". Dieser hatte sie, wie berichtet, dazu aufgerufen, die Solidarität zwischen Menschen und Staaten an die erste Stelle zu setzen. "Das war eine große Inspiration", sagte Bundeskanzler Christian Kern auf dem Kapitol, an der Solidarität habe man sich zu orientieren, "sie zeigt die Zukunft der Union als eine für die Menschen, nicht für Unternehmer und Märkte", hielt Kern fest.

Einen besonderen auch sehr persönlich geprägten Höhepunkt lieferte der Ständige Ratspräsident Donald Tusk in seiner Festrede. Wie die Römischen Verträge sei er auch 60 Jahre alt. "Manchmal aber ist der Geburtsort wichtiger als das Alter", fuhr der Pole fort, und er sei "vor 60 Jahren in Danzig auf die Welt gekommen". Das sei nicht nur eine Stadt mit langer europäischer Tradition, wo Niederländer, Franzosen und Deutsche Kultur und Handel prägten. "Die Stadt wurde 1945 von Hitler und Stalin zerstört, bis auf die Grundmauern", sagte der Präsident . Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen, die Schaffung der EU seien für ihn keine Abstraktion, wie heute für viele junge Menschen, "ich war acht Jahre alt, als in Brüssel eine gemeinsame EU-Kommission eingerichtet wurde". Und er war 1980 dabei, als in Polen unter der Führung von Lech Walesa während der kommunistischen Diktatur die Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc gegründet wurde.

"Damals blickten wir alle nach Westen", erzählte Tusk, "wir fühlten instinktiv, dass dort unsere Zukunft liegt" – bei den Grundwerten, Freiheit, Demokratie, bis schließlich der Eiserne Vorhang fiel und sein Land 2004 EU-Mitglied wurde. In Rom sei 1957 "ein einzigartiges Bündnis entstanden", sagte Tusk, und die Politiker damals hätten weder von "verschiedenen Geschwindigkeiten" der Gemeinschaft noch von EU-Austritten gesprochen. Daher frage er sich heute, warum "wir unsere Einheit verlieren sollen? Warum wir müde und überdrüssig sind?"

Die Antwort könne nur lauten, dass man einsehe, dass nichts in der Welt selbstverständlich sei, auch nicht der Umstand, dass es in Europa friedlich sei. "Europa muss einig sein, oder es wird nicht mehr bestehen", erklärte Tusk.

60 Jahre alter Füller

Daran knüpfte dann Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in einer launigen Rede an. Er hatte genau jenen Füllhalter mitgebracht, mit dem der Vertreter Luxemburgs 1957 die Römischen Verträge unterzeichnete. Er setzte damit dann auch seine Unterschrift unter die neue Erklärung von Rom. Diese wurde am Ende von allen 27 Regierungschefs wie den Präsidenten von Rat, Kommission und EU-Parlament gezeichnet.

Juncker erinnerte daran, dass es derzeit in der Welt 40 bewaffnete Konflikte gebe, "keinen einzigen auf dem Gebiet der Union". Dies werde oft kleingeredet, "wir sind nicht genügend stolz auf das, was Europa erreicht hat". Ganz anders würden Menschen aus Afrika oder aus Asien auf die Union blicken, voller Bewunderung für das Gesellschaftsmodell und den Wohlstand. "Man erkennt Europa besser, wenn man weit weg ist", sagte der Kommissionspräsident ironisch, sogar er selber sei manchmal "nirgendwo lieber Europäer als auf Reisen in Afrika oder Asien", wenn er "ins Tal der Tränen in Brüssel zurückkomme". Er wolle die Menschen in der EU, vor allem die Jungen, dazu ermuntern dafür zu sorgen, dass "der Erfolg der Gründerväter so bleibt, wie er ist".

Bei seiner Ankunft hatte der Kommissionspräsident sich zum bevorstehenden EU-Austritt Großbritanniens Stellung genommen. Premierministerin Theresa May bleib dem Treffen in Rom fern, am kommenden Mittwoch wird sie offiziell den Austrittsantrag in Brüssel vorbringen. Juncker sagte, der Brexit sei "eine Tragödie" und "ein trauriger Vorgang", Er wolle sich "eigentlich nicht damit abfinden, dass Großbritannien aus der EU austritt". Aber, so sei es nun einmal: Jetzt sei die Fragestellung, "wie geht es mit 27 Ländern weiter".

Straffe Sicherheitsvorkehrungen

Der EU-Gipfel fand unter gewaltigen Sicherheitsvorkehrungen statt. Aus Sorge, dass angekündigte Demonstrationen von EU-kritischen Organisationen, vor allem aber von gewaltbereiten Globalisierungsgegnern entgleiten könnten, haben die Sicherheitsbehörden den Stadtkern rund um das Kapitol hermetisch abgeriegelt. In diese "blaue Zone" durften weder Fußgänger noch Autos hinein, Delegierte und Journalisten, die vom Kapitol berichteten, wurden beim Zutritt mehrfachen Sicherheitskontrollen unterzogen. Nach dem Terroranschlag in London vor drei Tagen wurde das Aufgebot an Soldaten und Polizisten nochmal erhöht.

Freilich gingen auch EU-Unterstützer auf die Straße. So führte etwa NEOS-Vorsitzender Matthias Strolz eine Gruppe von 50 proeuropäischen Demonstranten an, die sich am Samstag in Rom am "March for Europe" der europäischen Föderalisten beteiligen. In London versammelten sich unterdessen Tausende Menschen zu einem Protest gegen den Brexit. Unter dem Motto "Unite for Europe" – "Vereint euch für Europa" hatten die Veranstalter zu einem Demonstrationszug vom Hyde-Park zum britischen Parlament aufgerufen. (Thomas Mayer aus Rom, 25.3.2017)