Reinhold Mitterlehner (ÖVP): Das Arbeitsrecht ist zu komplex geworden.

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Wien – Die Debatte über eine Modernisierung des Arbeitnehmerschutzes in Österreich nimmt Fahrt auf. Kein Wunder, fast jeder Unternehmer hat ein erlebtes oder vermeintlich erlebtes Beispiel für Behördenschikanen parat. Der Klassiker: "Meine Putzfrau musste unterschreiben, dass sie die Putzmittel nicht selbst trinkt."

Selbst in der Regierung kursieren Geschichten. Am Freitag hatte Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner Sozialpartner und Unternehmer zu einem Reformgespräch über das Arbeitsrecht in sein Ministerium geladen. Das Meeting hätte ob der rigiden Gesetze nicht stattfinden dürfen, erzählten Mitterlehners Beamte später belustigt – zu viele Menschen und zu wenig Luft im Sitzungszimmer.

Streichung von Paragrafen

Mitterlehner pocht deshalb darauf, Paragrafen zu streichen und Regeln zu vereinfachen. Auch in den Medien wächst der Druck: Entbürokratisierung darf kein Lippenbekenntnis sein, so die nzz.at unlängst. Doch wer mit Experten redet und einen Blick in die Gesetze wirft, stellt fest, dass viele der kursierenden Reformideen widersprüchlich sind und es schwer ist, das bestehende System sinnvoll zu verändern.

Gut illustrieren lässt sich das am Argument, wonach die Gesetze zu kompliziert seien. Wichtige Rechtstexte wie die Arbeitsstättenverordnung sind wirklich schwer lesbar. Die Verordnung legt fest, wie Arbeitsorte beschaffen sein müssen. Die Vorgaben sind detailliert. So ist festgeschrieben, wie stark die Außenbeleuchtung auf einem Firmengelände sein muss (30 Lux). "Warum sagt man nicht einfach, Arbeitnehmer müssen genug sehen?", lautet eine Idee aus dem Wirtschaftsministerium.

Leitlinien vorgeben statt alles festschreiben: Klingt gut. Doch solche Lösungen bringen neue Probleme mit sich. Genaue Regeln bedeuten, dass Unternehmer von Vorarlberg bis zum Burgendland einheitliche Auflagen bekommen. Wer nur Leitlinien vorgibt, erweitert den Spielraum der Behörden.

Eine Firma müsste dann vielleicht in Wien andere Leuchten als in Graz aufstellen, weil der eine Arbeitsinspektor besser sieht als der andere. "In der Praxis würde das dazu führen, dass Behörden öfter Willkür vorgehalten wird", sagt der Arbeitsrechtler Martin Risak.

Reformideen

Hinzu kommt eine weitere Widersprüchlichkeit der Reformideen. Unternehmensverbände kritisieren derzeit, dass zwei Behörden ein und derselben Firma anderslautende Auflagen erteilen. Ein Beispiel: Die Lebensmittelaufsicht fordert einen Restaurantbesitzer auf, seinen Küchenboden anders zu gestalten, obwohl der aktuelle Boden nach den Wünschen der Arbeitsinspektoren gemacht wurde. Das ist teuer und lästig.

Doch um solche Widersprüche aufzulösen, müssten den Behörden im Regelfall noch genauere Gesetzesvorgaben gemacht werden, damit ja niemand einen Alleingang wagt. Dadurch wird aber alles noch komplexer. Eine ganz andere Reformidee lau-tet, verschiedene Gefahrenkategorien für Unternehmen zu schaffen. Für einen Buchhändler sollen weniger Vorschriften als für ein Chemielabor gelten. Doch eine solche Einteilung bedeutet im Endeffekt wieder mehr Paragrafen.

Für einen großen Reformwurf sind die Spielräume der Politik also begrenzt. Möglich wäre es, die Herangehensweise zu ändern. Das Arbeitsrecht gilt als paternalistisch, sagen Experten. Arbeitnehmer können ihren Arbeitgeber nur in seltenen Fällen auf Schadenersatz klagen – etwa wenn dieser einen Unfall vorsätzlich herbeiführt.

Stöger gegen Systemumstellung

Wer das Arbeitsgesetz abspecken will, könnte mehr Spielraum für Haftungsklagen schaffen. Laut dieser Denkschule würden Unternehmer von selbst für sichere Betriebe sorgen, weil sie ansonsten teure Klagen geschädigter Mitarbeiter fürchten müssten.

Sozialminister Alois Stöger kann solchen Ideen nichts abgewinnen. Das geltende Recht habe stark dazu beigetragen, die Zahl der Arbeitsunfälle in den vergangenen Jahren zu reduzieren, so Stöger zum STANDARD. Auf Schadenersatz zu setzen, wenn schon etwas passiert ist, sei der falsche Weg.

Ähnlich argumentiert der auf Arbeitsunfälle spezialisierte Anwalt Sebastian Lesigang. Sein Reformvorschlag: Die Praxis zeige, dass viele Arbeitsunfälle entstehen, weil sich Mitarbeiter beharrlich nicht an Vorgaben ihrer Arbeitgeber halten. Lesigang schlägt daher vor, dass künftig nicht nur Unternehmer gestraft werden sollen, wenn sie den Arbeitnehmerschutz ignorieren – sondern auch Arbeitnehmer selbst. (András Szigetvari, 27.3.2017)