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Den Kopf voll haben mit E-Mails, Whatsapp, Youtube, Fotos und Snapchat: Das Zuviel an Information wirkt auf den präfrontalen Cortex, ohne Smartphone können Entzugserscheinungen auftreten.

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Ausgerechnet im Silicon Valley gibt es immer mehr Menschen, die ihren Urlaub in sogenannten Digital Detox Camps verbringen. Dieses nennt sich "Camp Grounded".

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Was tun, wenn es zu viel wird? Dominik Batthyány, der an der Sigmund-Freud-Privatuniversität das Institut für Verhaltenssüchte leitet, rät: Klare Nutzungszeiten festsetzen und sich beim E-Mail-Check daran halten. Damit werde ungestörtes Arbeiten wieder möglich.

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Sie hat es einfach nicht mehr ausgehalten. Hunderte E-Mails pro Tag, eines belangloser als das andere, teilweise gesendet von Menschen, die gleich gegenübersitzen. "Da ging so unheimlich viel Zeit drauf", erinnert sich Christine Geier. Schlussendlich sei sie einfach länger im Büro geblieben oder habe liegengebliebene Aufgaben mit nach Hause genommen, wo sie sie in Ruhe abarbeiten konnte. Die 35-Jährige war in einem riesigen Konzern beschäftigt, heute sitzt sie in einem Start-up: acht Mitarbeiter, ein kleines Büro im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Statt 100 E-Mails bekommt sie nur noch etwa fünf pro Tag. Für Geier ein Stück mehr Lebensqualität.

Die größten Zeitfresser im Büro

Viele Untersuchungen zeigen, dass Geiers Geschichte kein Einzelfall ist: Paradoxerweise gelten E-Mails und Meetings als die größten Zeitfresser, dabei sollten sie Abläufe im Büro doch eigentlich effizienter machen. Die E-Mail-Flut sorgt nicht nur für sinkende Produktivität, sondern hat auch physiologische Auswirkungen: Der Stresslevel steigt nachweislich an, sobald im Smartphone eine neue E-Mail ankommt. Der britische Psychologe Glenn Wilson hat zudem herausgefunden, dass sogar der IQ kurzfristig sinkt, wenn man eine ungelesene Nachricht im Postfach weiß – und zwar um ganze zehn Punkte.

Der Grund: Das Gehirn ist überfordert. Wie ein Gefäß ist es irgendwann einfach voll. Der US-amerikanische Neurowissenschafter Daniel J. Levitin hat darüber ein Buch geschrieben: The Organized Mind – Thinking Straight in the Age of Information Overload. Das menschliche Gehirn hat sich in vergleichsweise informationsarmen Zeiten entwickelt und ist permanente Push-Meldungen nicht gewohnt. Jede Facebook-Benachrichtigung verlangt im Grunde eine Entscheidung: Jetzt oder später antworten? Das kostet Energie, aufgrund der allgegenwärtigen Erreichbarkeit rund um die Uhr. Jeder halbwegs moderne Mensch trägt E-Mails, News, Glückwünsche, verpasste Anrufe oder das Fotoalbum ja ständig in Jacken- und Hosentaschen herum. Dort einlaufende Nachrichten lassen sich nur schwer ignorieren. Ob beim Kaffee mit Freunden, vor einer arbeitstechnischen Deadline, während des Abendessens oder bei der Lieblingsserie im Fernsehen – der Blick checkt fast schon automatisch den Bildschirm des Smartphones.

Ständige Ablenkung

Bereitwillig lassen wir uns jeden Moment ablenken, denn es könnte ja etwas Neues passiert sein. Autor Levitin zufolge zeichnet diese Vorliebe für Neuigkeiten unser Gehirn aus – der Drang nach einem neuen Partner, neuen Erfahrungen und News wird durch das Piepsen am Smartphone befriedigt.

Allerdings: Der Griff zum Smartphone kann in gewissen Situationen nicht nur unhöflich sein. Permanentes Multitasking stört den präfrontalen Cortex des Gehirns, macht unkonzentriert und sorgt dafür, dass man nur schwer bei der Sache bleiben kann. Die Langzeitfolge: Stets aufmerksame Smartphone-Nutzer nehmen Dinge des Alltags nicht mehr bewusst wahr und behalten sie auch schlechter im Gedächtnis.

Dass das bloße Wissen um neue E-Mails Stress verursacht, ist wissenschaftlich erwiesen. Ein Forscherteam der britischen Loughborough University hat eine Studie mit 30 Regierungsbeamten durchgeführt. Eine ganze Woche lang wurde bei den Probanden Blutdruck, Herzfrequenz und Cortisollevel gemessen, außerdem waren die Studienteilnehmer aufgefordert, ein möglichst ausführliches Tagebuch über ihre Tätigkeiten während der Arbeitswoche zu führen. Das Ergebnis im Detail: Ein E-Mail löst zwar gleich viel Stress aus wie ein Anruf, aber die Menge macht den Unterschied. E-Mails haben sich als stressigstes Kommunikationsmittel herausgestellt. Nicht jede elektronische Nachricht ist gleich: Manche E-Mails lösen größeren Stress aus als andere. Während sich Terminanfragen, Dank und Lob für getane Arbeit wenig auf Blutdruck, Herz und Cortisolspiegel auswirken, lassen E-Mails, die bei Aufgaben unterbrechen oder dem Empfänger als irrelevant erscheinen, die Stresswerte nach oben schnellen.

Hygiene mit Posteingang

Das alles sei laut Studienautor Professor Tom Jackson wenig überraschend und solle nicht dazu führen, das Medium insgesamt zu verteufeln. Vielmehr müsse der Fokus auf den Umgang mit der Informationsflut gelenkt werden. "E-Mails verursachen nicht mehr Stress als Telefonate oder Face-to-Face-Meetings. Es ist die Kombination von allem, die sich negativ auswirkt." Sein Rat: "Immer eines nach dem anderen" – und das, obwohl die Gleichzeitigkeit eines der wichtigsten Merkmale der digitalen Welt ist.

Das "Zuviel" führt letztendlich auch dazu, dass ein "Ohne" oft nicht mehr geht. Die Abhängigkeit von Smartphones ist mit Suchterkrankungen vergleichbar. Die Symptome sind Nervosität, Unausgeglichenheit – und eine Form von Entzugserscheinung, die Fachleute als die "Fear of missing out" (zu Deutsch: "Die Angst, etwas zu verpassen") bezeichnen. Wenn Betroffene wie Pawlow'sche Hunde auf Neuigkeiten warten, sind sie auch dementsprechend verunsichert, wenn für ein paar Stunden keine eingehen.

Die entscheidenden Fragen: Wie sich schützen vor einem Information-Overkill? Und wie kann es gelingen, digitale Geräte so zu nutzen, dass sich das Stresslevel nicht erhöht? Die naheliegende Offline-Strategie ist für Berufstätige höchstens im Urlaub praktikabel. Im Silicon Valley boomen derzeit Digital Detox Camps – auch in kalifornischen Kindergärten und Schulen müssen Smartphones draußen bleiben, um die Kids wieder ganz "back to the roots" und zu den Holzspielsachen zurückzubringen.

Einfach mal ohne – oft nicht so einfach

Dominik Batthyány, der an der Sigmund-Freud-Privatuniversität das Institut für Verhaltenssüchte leitet, hält Entgiftung aber für den falschen Weg. "Ich glaube, sinnvoller wäre eine ,digital awareness', also ein selbstbestimmter Umgang mit digitalen Geräten." Er sei leider selbst schlecht darin, den Umgang mit Smartphones räumlich und zeitlich zu begrenzen, gibt er zu. Genau solche Strukturen seien aber wichtig, sagt der Psychologe. "Die Zurückgewinnung von Struktur ist in der Suchttherapie, ganz gleich, um welche Sucht es geht, essenziell." Das bedeutet: klare Nutzungszeiten festsetzen und sich beim E-Mail-Check daran halten. Damit wird ungestörtes Arbeiten wieder möglich.

Ein weiterer Tipp: smartphonefreie Zeiten, etwa das gemeinsame Essen mit der Familie oder die Mittagspause. Eine Variante ist auch, die Handys aus dem Schlafzimmer zu verbannen, damit sie die Nachtruhe nicht stören. Ein Wecker ist die altbewährte Alternative zum Aufwachen. "Es klingt beinahe banal", sagt Batthyány, "aber wir müssen üben, auch ohne Smartphone unterwegs zu sein." Dazu gehöre der Mut zu langsamerer Kommunikation. Denn Batthyány zufolge gebe es in unserer Gesellschaft ein stilles Übereinkommen darüber, möglichst schnell auf E-Mails und Nachrichten reagieren zu müssen. Deutlich wird dies zum Beispiel bei Whatsapp: Hier wird sichtbar, wann der Empfänger eine Nachricht erhalten hat und ob beziehungsweise wann diese gelesen wird. Liegen viele Stunden dazwischen, reagieren viele Menschen verärgert. Batthyány rät, diese Funktion bei Whatsapp ganz einfach zu deaktivieren.

Gegenstrategien

Ganz allgemein gibt es – welch Ironie – sogar einige Apps und andere technische Tools, um weniger Zeit mit E-Mails und Apps zu verschwenden. Solche Programme helfen, Nachrichten zu filtern, sodass nur mehr die wichtigsten angezeigt werden – und die restlichen in andere Ordner wandern.

Die kleinen Fähnchen, die im Outlook zur Markierung von Wichtigkeiten dienen, haben manche Unternehmen übrigens auch real im Einsatz. Sie hängen am jeweiligen Arbeitsplatz und signalisieren je nach Farbe, ob man aktuell ansprechbar ist (Grün), nur in dringenden Fällen zur Verfügung steht (Gelb) oder gerade ungestört arbeiten möchte (Rot).

Oder man macht es wie Christine Geier: "In meinem damaligen Team habe ich meine Mitarbeiter gebeten, mich für Auskünfte einfach kurz anzurufen oder im Büro vorbeizukommen, statt ständig E-Mails zu schicken. Es ist eine Frage der Unternehmenskultur", sagt sie. Viele Kollegen seien überrascht gewesen, wie effizient sie auf einmal arbeiten konnten. (lhag, CURE, 1.5.2017)