Wenn sie nicht genügend Insulin produziert, muss von außen nachgeholfen werden. Der Alltag von Diabetikern: Messen, spritzen, essen, messen, spritzen, essen.

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Miniaturisierung spielt auch bei Insulinmessgeräten eine entscheidende Rolle.

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Digitalisierung verbessert das Management von Krankheiten, Messungen werden präziser.

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Ed Damiano hat eine Mission. Der Medizintechniker an der Boston University und Vater eines an Typ-1-Diabetes erkrankten Buben arbeitet seit gut 14 Jahren an einer künstlichen Bauchspeicheldrüse – gemeinsam mit dem Mediziner Steven Russell vom Massachusetts General Hospital.

Diese Maschine, "bionic pancreas" genannt, soll übernehmen, was der Körper bei dieser Erkrankung nicht mehr leisten kann: den Blutzuckerspiegel im für den Menschen gesunden Normbereich zu halten (das sind zwischen 80 und 140 mg/dl zwei Stunden nach dem Essen). Dazu muss die künstliche Bauchspeicheldrüse natürlich das lebenswichtige Hormon Insulin zuführen, denn die körpereigene Bauchspeicheldrüse macht das nicht mehr: Insulin wandelt kohlenhydrathaltige Nahrung in Energie um und senkt damit den Blutzuckerspiegel.

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Die Maschine soll aber auch Glukagon in den Körper abgeben – ein Hormon, das den Blutzuckerspiegel erhöht. Denn auch davon zu wenig zu haben ist problematisch und kann zu Unterzuckerungen führen, die sich als Herzrasen, Schwindel und Zittern äußern und langfristig Herzerkrankungen zur Folge haben können.

Typ-1-Diabetiker stehen täglich vor der Herausforderung, angepasst an die Essensmenge genaue Dosen zu injizieren, um weder zu viel noch zu wenig Zucker im Blut zu haben. Was könnte es also Entspannenderes für sie geben als eine vertrauenswürdige Technik, die dem Patienten diese tägliche Tüftelei abnimmt?

Die künstliche Bauchspeicheldrüse der US-Forscher besteht im Wesentlichen aus einem Sensor, der den Blutzuckerspiegel kontinuierlich misst, und einer Software auf dem Smartphone, die je nach Ergebnis automatisch Befehle an zwei Pumpen schickt: Die eine führt dem Körper Insulin zu, die andere Glukagon. Klinische Tests verliefen vielversprechend, Damiano hat ein eigenes Unternehmen gegründet, der Pharmakonzern Ely Lilly unterstützt ihn finanziell.

Digitalisiertes Insulinmanagement

Man rechnet heuer noch mit der Freigabe durch die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA). In den USA sind Unterschriftenlisten im Umlauf, die die Regulierungsbehörde dazu auffordern, den Fall mit Priorität zu behandeln, denn Damiano will das System seinem Sohn mitgeben, der noch heuer von der Highschool ans College wechselt.

Das Medienecho in Bezug auf Damiano ist besonders groß. Tatsächlich arbeiten aber mehrere Forschergruppen an ähnlichen Projekten, die kürzlich beim zehnten ATTD-Kongress in Paris zu sehen waren. Die Abkürzung ATTD steht für "Advanced Technologies and Treatments for Diabetes". Dort wurden gleich mehrere Entwicklungen präsentiert, die das Diabetesmanagement für alle Zuckerkranken vollkommen revolutionieren könnte – auch für die große Mehrheit derer, die an Diabetes Typ 2 leiden. Etwa 90 Prozent der rund 422 Millionen Diabetiker weltweit sind von dieser Form betroffen. Ihr Körper kann das Insulin nicht aufnehmen. Oft ist das eine Folge von Fettleibigkeit in Verbindung mit zu wenig Bewegung.

Ein Sensor am Oberarm

Die neue Ära des Diabetesmanagaments wurde bereits 2014 eingeläutet: In diesem Jahr hat das US-amerikanische Unternehmen Abbott Diabetes das Zuckermessgerät Freestyle Libre auf den Markt gebracht- eine Alternative zu herkömmlichen Systemen, bei denen man sich in den Finger stechen muss, um einen Blutstropfen auf einen Messstreifen aufzutragen.

Bei Freestyle Libre wird an der Unterseite des Oberarms ein kreisrundes Stück Kunststoff angebracht, darauf ein hauchdünner Sensor, der in die Haut eindringt. Sobald man das mitgelieferte Messgerät darüberzieht, wird der aktuelle Blutzuckerwert angezeigt – ohne dass dafür in den Finger gestochen werden muss. Der Sensor hält zwei Wochen, dann muss er gewechselt werden.

In Paris hat Abbott eine Studie präsentiert, mit der ein nachhaltig positiver Effekt des Messsystems für Diabetespatienten belegt werden konnte. Die gesammelten anonymisierten Daten basierten auf 64 Millionen Scans: Nutzer des Freestyle Libre scannten dafür ihren Blutzuckerwert etwa 16-mal täglich: Das ist dreimal häufiger als mit herkömmlichen Messsystemen.

Immer präzisere Einstellung

Durch diese intensivierte Therapie gelang es, deutlich länger im Zielbereich des Blutzuckerspiegels zu sein und weniger Ausreißer nach oben oder nach unten zu haben – was die Lebensqualität für Diabetiker langfristig nachhaltig verbessert. Abbott hat heuer noch eine App für Android-Handys herausgebracht, um den Scan auch mit dem Mobiltelefon zu ermöglichen. Die iPhone-App soll in Bälde folgen.

Für die nächste Generation der Messgeräte ist man einen Schritt weiter gegangen: Ein Sensor in der Größe einer Pille wird vom Arzt unter die Haut implantiert und misst dort 90 Tage lang kontinuierlich den Zuckergehalt der Gewebsflüssigkeit. Dann muss er ausgetauscht werden. Patienten brauchen dabei nicht mehr aktiv messen. Die Daten werden über eine Software, die mit dem Sensor in Verbindung steht, auf das Smartphone gespielt. Sind sie nicht im Zielbereich, macht ein Alarm darauf aufmerksam.

Das System mit dem Namen Eversense wurde vom amerikanischen Unternehmen Senseonics entwickelt. Die dazu notwendigen Studien wurden in Europa durchgeführt, weshalb die Technik auch hier und nicht in den USA zugelassen wird.

Ausgediente Messgeräte

Der Schweizer Medizintechnikkonzern Roche, bisher eigentlich auf herkömmliche Systeme spezialisiert, wird demnächst Eversense auf den Markt bringen – auch in Österreich. Ärzte müssen dafür aber noch geschult werden. Natürlich könnte der Gedanke abschrecken, alle 90 Tage eine kleine Hautoperation über sich ergehen lassen zu müssen: Vertreter von Senseonic haben in Paris aber schon angedeutet, dass die Prozedur vielleicht bald nur mehr alle 180 Tage nötig sein wird, weil der Sensor weiterentwickelt wird und schon jetzt eigentlich länger als vorgeschrieben hält.

Dann wird der Patient wirklich zum Cyborg – und das klassische Messgerät, mit dem heute noch die Mehrheit der Diabetiker zugange ist, wird wohl irgendwann einmal nur mehr in Museen zu bewundern sein. (Peter Illetschko, CURE, 12.5.2017)