Christian Kern und Jean-Claude Juncker am Samstag in Rom.

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Mit vollem Anlauf ist Bundeskanzler Christian Kern in die listig von der ÖVP aufgestellte Falle getappt. Dass nun ausgerechnet der SPÖ-Chef, der in den vergangenen Tagen in Interviews zum 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge die Solidarität in Europa beschworen hat, als unsozial und unsolidarisch dasteht, hat er sich selbst zuzuschreiben. Denn die ÖVP kann via Innenminister Wolfgang Sobotka behaupten, sie habe sich an die zwischen den EU-Staaten getroffene Vereinbarung gehalten – und wollte sich weiterhin daran halten, auch wenn sie inhaltlich mit der Aufnahme der Flüchtlinge nicht glücklich ist. Es ist der Kanzler, der nun einen Brief an Brüssel schreibt und die gerade erst in Rom beschworene Solidarität aufkündigen will.

Es geht konkret in einem ersten Schritt um 50 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die die Regierung nicht aufnehmen will. Diese Weigerung ist weder sozial noch christlich, sondern schlicht blamabel. Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) hat menschlich reagiert und spontan gemeint: "Die 50 nehme ich sofort in Ottakring."

Gebrochene Vereinbarungen

Das Signal, das die Bundesregierung mit ihrem Beschluss aussendet: Österreich bricht internationale Vereinbarungen, erweist sich als nicht pakttreu und als unsicherer Kantonist. Damit stiehlt sich Österreich aus seiner Verantwortung und stellt sich auf eine Stufe mit den häufig kritisierten osteuropäischen Ländern wie Polen und Ungarn, die sich gegen eine Aufnahme von Flüchtlingen wehren. Es war die Regierung in Wien, die einen Entzug von Geldern aus Brüsseler Töpfen gefordert hat, wenn EU-Vereinbarungen nicht eingehalten werden. Kritik an diesen Ländern kann sich Wien aus Glaubwürdigkeitsgründen künftig sparen.

Der Beschluss zum sogenannten Relocation-Programm erfolgte im Mai und September 2015 im EU-Innenministerrat – gegen den ausdrücklichen Protest Ungarns. Österreich hat zugestimmt und ist daher rechtlich verpflichtet, die Beschlüsse des Ministerrats umzusetzen und insgesamt 1953 Flüchtlinge aufzunehmen. Die Argumentation, dass Österreich im Vergleich zu anderen Ländern überdurchschnittlich viele Flüchtlinge aufgenommen habe, ist nachvollziehbar.

Innenpolitik schlägt Europapolitik

Dass die Wiener Regierung erst jetzt darauf verweist und die Vereinbarung einseitig aufkündigen will, zeigt: Innenpolitik schlägt Europapolitik. Kern strebt eine Relocation von ehemaligen SPÖ-Wählern, die zur FPÖ abgewandert sind, an. Er nimmt in Kauf, dass die Partei nach rechts rückt. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil ist mit dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Niessl der Wegbereiter für diesen Kurs. Das ist auch an den Beschlüssen in puncto Integrations- und Versammlungsgesetz festzustellen, die die SPÖ mitträgt. Der Beschäftigungsbonus ist eine "Österreicher zuerst"-Regelung und wird zu Recht von deutschen Medien als "populistische Kehrtwende der österreichischen Regierung" beschrieben. Das hätte auch der FPÖ einfallen können.

Außenminister Sebastian Kurz treibt mit seinen Vorschlägen, Sozialleistungen für EU-Bürger einzuschränken, die Zertrümmerung des Rufes der ÖVP als Europapartei voran. SPÖ und ÖVP schlagen Löcher in die Grundfesten der EU und höhlen diese aus. Die britische Regierung ist vergleichsweise konsequent und tritt gleich aus der EU aus. Die Österreicher kündigen nur die Solidarität auf. (Alexandra Föderl-Schmid, 28.3.2017)