Das britische Pfund ist gegenüber dem Euro deutlich schwächer geworden. Das freut Urlauber in London und britische Exportunternehmen.

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London – Mit der britischen Wirtschaft wird es von nun an rasant abwärtsgehen. Das war die simple Botschaft von Focus Economics in der Woche nach dem Brexit-Referndum. Der Dienstleister Focus befragt laufend Ökonomen bei Großbanken und Ratingagenturen über ihre Zukunftserwartung und bildet anschließend einen Durchschnittswert für alle Vorhersagen.

Im Juni 2016 malten die Analysten kollektiv schwarz. Sie prophezeiten, dass das britische Wirtschaftswachstum (BIP) im Jahr 2017 auf magere 0,3 Prozent fallen werde. Ohne Austritt Großbritanniens aus der EU wären es laut Vorhersage 1,8 Prozent geworden. Der drohende Brexit werde zu einem Vertrauensverlust bei Unternehmen führen und Investitionen in Maschinen und Geschäfte einbrechen lassen, hieß es.

Ein Dreivierteljahr später sieht die Welt anders aus. Die britische Wirtschaft boomt nicht, aber alles deutet auf ein solides Jahr hin. Zuletzt haben der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Industriestaatenorganisation OECD ihre Prognosen nach oben korrigiert. Die Beschäftigung im Land ist auf einem Rekordhoch, die Arbeitslosigkeit auf dem tiefsten Stand seit 1975.

Arbeitslosenrate auf Rekordtief

Wer die britischen Wirtschaftsdaten analysiert, findet zwar auch unerfreuliche Werte. Getragen wird die gute Entwicklung vor allem von der hervorragenden Konsumlaune der Briten. Die Investitionen in Industriebetriebe schwächeln dagegen. Doch das ändert nichts daran, dass die Wirtschaftslage auf der Insel in einem völligen Kontrast zu den düsteren Prognosen aus 2016 steht.

Nun ließe sich einwenden, dass die Briten noch in der EU sind. Der freie Waren- und Kapitalverkehr wurde bisher nicht eingeschränkt. Doch Organisationen wie der IWF und die OECD hatten bereits für heuer einen Wachstumseinbruch im Falle des Brexit prophezeit.

Dass dieser Bremseffekt kleiner war als erwartet, liegt an der weltweit besseren Wirtschaftslage, sagt der Ökonomen Gabriel Felbermayr vom Münchner Institut ifo. Die Konjunktur in der EU hat stärker angezogen als erwartet. Davon profitieren britische Unternehmer: Mehr als 40 Prozent ihrer Warenexporte gehen in die EU-27. Hinzu kommt, dass das britische Pfund seit dem Referendum stark abgewertet hat. Das hilft den Unternehmen in Großbritannien, weil sie ihre Waren im Ausland billiger verkaufen können.

Die britischen Erfahrungen werden derzeit von Ökonomen genau beobachtet. Der Brexit gilt als ein Testfall dafür, welche Auswirkungen die Deglobalisierung hat. In den vergangenen Jahrzehnten sind die Volkswirtschaften wenn, dann immer nur enger zusammengerückt. Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU soll sich das erstmals ändern.

Die ersten Lehren dürften sein, dass es nicht ausreicht, auf die großen politischen Richtungsentscheidungen und Erzählungen zu blicken. Die wirtschaftliche Entwicklung ist von diesen derzeit entkoppelt. Die Ankündigung des Brexit mag Unsicherheit ausgelöst haben. "Im Vergleich zu anderen Faktoren spielte das bisher eine untergeordnete Rolle", so der Ökonom Felbermayr. Damit stellt sich die Frage, wer von den aktuellen Entwicklungen politisch profitieren kann. Das Brexit-Lager freut sich bereits, dass der angekündigte Absturz bisher nicht stattfand und es der Wirtschaft gut gehe.

Testfall auch in den USA

In den USA, wo Trump ebenfalls auf eine Abschottungspolitik setzt, sind die Vorgänge übrigens ähnlich. Das Wachstum ist solide, die Notenbank Fed normalisiert ihre Geldpolitik. Das hat mit Trump nichts zu tun. Bedeutende wirtschaftspolitische Reformen haben die Republikaner bisher nicht beschlossen. Doch im Weißen Haus will man diese Entwicklung nutzen. Trumps Sprecher Sean Spicer hat etwa bereits öfter darauf hingewiesen, dass die Zahl der Arbeitslosen zurückgeht.

In Europa wird entscheidend sein, wie sich die Brexit-Verhandlungen gestalten. Ziel muss es sein, den Zugang britischer Unternehmen zum Binnenmarkt zu erhalten, sagte Londons Botschafter in Österreich, Leigh Turner, beim Europatag der Wirtschaftskammer Österreich. Um die Zukunft der britischen Finanzindustrie mache er sich wenig Sorgen: "Die Londoner City wurde schon bei der Euroeinführung totgesagt. Und sie ist immer noch Finanzzentrum Nummer eins." (András Szigetvari, 29.3.2017)