Wien – Die Begutachtungsfrist für die Strafgesetznovelle 2017, wie die geplante Reform des Strafgesetzbuches amtlich heißt, endet am Montag. Über drei Dutzend Stellungnahmen sind bisher dazu bei Justizministerium und Parlament eingegangen. Der Grundtenor dieser Ausführungen ist kritisch. Allerdings: Jede Stelle bemängelt andere Punkte – selbst innerhalb der Justiz gibt es keine homogene Meinung zu dem Vorhaben.

Drei Bereiche sind besonders umstritten: Erstens der Umgang mit den "Staatsverweigerern", Gruppen also, die überzeugt sind, der Staat existiere gar nicht oder könne ihnen nichts vorschreiben. Zweitens sieht der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Silvesternacht in Köln und Innsbruck Handlungsbedarf beim Delikt der sexuellen Belästigung.

Wer als Gruppe aufbricht, um Frauen "anzutanzen" und zu begrapschen, soll sich strafbar machen und härter bestraft werden. Und schließlich will man nachdrücklicher gegen "tätliche Angriffe" auf Beamte vorgehen – und auch Zugpersonal extra davor schützen.

DER STANDARD hat die unterschiedlichen Standpunkte der Experten zu den einzelnen Teilbereichen zusammengestellt:

"Staatsverweigerer": Hier zeigen sich beispielsweise innerhalb der Justiz deutliche Unterschiede. Das Landesgericht Klagenfurt begrüßt die Neueinführung des Paragrafen ausdrücklich, um "auf angemessene Weise sehr bedenklichen gesellschaftlichen Entwicklungen" entgegenwirken zu können.

Die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck sieht das deutlich differenzierter: So, wie der Text derzeit formuliert sei, würde es sich um einen Gesinnungsstrafbestand handeln – dessen Anwendung "in einem – schwerlich auflösbaren – Spannungsverhältnis" zu Grundrechten wie der Meinungsfreiheit stehe. Eine Angst, die auch der ÖGB und Strafrechtler teilen. Darüber hinaus könnten von den derzeitigen Formulierungen auch Aktivistinnen, Aktivisten und Bürgerinitiativen betroffen sein, die sich beispielsweise gegen Kraftwerke sperren.

"Antanzen": Dass künftig verabredete sexuelle Belästigung extra und härter bestraft wird, hält beispielsweise der Bundesverband der Gewaltschutzzentren/Interventionsstellen für "äußerst wichtig". Auch das Oberlandesgericht Wien hält die neue Regelung für "erforderlich". Andere verstehen die Strafandrohung nicht. Margarethe Flora vom Strafrechtsinstitut der Uni Innsbruck sieht die drohende Strafe von bis zu drei Jahren "in keiner Relation zu anderen Verletzungs- und Sexualdelikten".

"Schaffnerschutz": Auch für das Delikt "tätlicher Angriff auf einen Beamten" soll das Strafmaß vervierfacht werden, künftig würden dann bis zu zwei Jahre Haft drohen. Außerdem sollen auch Lenker und Kontrolleure in Massenverkehrsmitteln quasi zu Beamten erklärt werden. Gewerkschaft und ÖBB begrüßen das naturgemäß, der Österreichische Integrationsfonds will dasselbe Privileg für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Von den Rechtsanwälten bis hin zu Landesgerichten wird allerdings genau davor gewarnt, dass künftig viele Gruppen eine Sonderstellung verlangen könnten. Auf vielfaches Unverständnis stößt auch die Strafandrohung: Das Wegstoßen eines Schaffners würde theoretisch schon für zwei Jahre Gefängnis reichen, verletzen muss er sich dabei nämlich nicht. Selbst das Landesgericht Ried sieht eine derartige Konsequenz "für dieses Bagatelldelikt" als zu hoch. (Michael Möseneder, 2.4.2017)