Die 15-Millionen-Metropole Schanghai ist neben Peking eines der großen Modezentren in China. Die österreichische, in Schanghai lebende Fotografin Daliah Spiegel und RONDO-Redakteurin Anne Feldkamp haben sieben junge, in Schanghai lebende Menschen porträtiert

Tess Sun, Musikproduzentin: "Mehr DJs aus China als früher"

STANDARD: Was zeichnet die Partyszene von Schanghai aus?

Tess Sun: Na ja, die populärsten Partys ähneln denen in anderen Ländern. EDM- und Trap-Events ziehen die große Masse an, genauso die Mainstream-Clubs. Es gibt allerdings ein ziemliches Interesse an Underground-Musik, diese Locations sind jede Woche brechend voll.

STANDARD: Das war nicht immer so?

Sun: In den letzten Jahren ist die Szene um einiges stärker geworden. Als ich vor zwei Jahren nach Schanghai kam, war die Underground-Szene schon einigermaßen etabliert. Heute sind allerdings viel mehr chinesische Produzenten und DJs involviert. Wenn ich sehe, was für eine große Zuhörerschaft wir in Schanghai haben, zeigt das, dass das wirklich in der Stadt ankommt. Für die Zukunft ist es enorm wichtig, dass die Musikszenen von den lokalen Leuten getragen werden.

STANDARD: Ihre Lieblingsclubs?

Sun: Das The Shelter und der Legends Club.

STANDARD: Welchen Ort empfehlen Sie Touristen, die das erste Mal Schanghai besuchen, als Alternative zu den üblichen Spots?

Sun: Das Underground-Lokal Basement 6. Einfach mal hingehen!

Die 26-jährige Chinesin Tess Sun lebt seit zwei Jahren als Musikproduzentin in Schanghai.

www.soundcloud.com/hyph11e

Tess trägt eine Lederjacke, Culottes und Schuhe aus einem Vintage-Shop in Tianjin.

Foto: Daliah Spiegel

Bebe Zhang, Party-Promoter: "Wir essen hier keine Hunde"

STANDARD: Die Metropole in zwei Sätzen?

Bebe Zhang: Schanghai ist eine Stadt der Überraschungen, und: Wir essen keine Hunde hier!

STANDARD: Diskutieren Sie über Politik?

Zhang: So gut wie jeden Tag. In einem Land zu leben, das eine "Firewall" hochgezogen hat, hält die junge Generation nicht davon ab, sich für das, was hier und in der Welt passiert, zu interessieren. Es läuft viel falsch in China, aber Schanghai ist ein guter Platz zum Leben.

STANDARD: Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?

Zhang: Mit meinem Modestil verhält es sich wie mit der Musik: Ich mag es abwechslungsreich und bequem zugleich. Vorbilder habe ich keine, ich folge meinem eigenen Geschmack!

Die 27-jährige Bebe Zhang ist in ihrer Geburtstadt Schanghai bei dem Unternehmen S.T.D. als Event-Managerin tätig.

www.wearestd.com

Bebe Zhang trägt ein Kleid von Algorithm (gekauft im Shop DOG in Harajuku), die Strumpfhose ist das Geschenk einer Freundin, die Schuhe sind von Topshop, ihre Kette ist selbstgemacht.

Foto: Daliah Spiegel

Joyce Wang, Designerin: "Der Verkehr hier ist die Hölle"

STANDARD: Wie hat sich in Schanghai die Mode in den letzten Jahren verändert?

Joyce Wang: Die Leute haben ein besseres Verständnis für Mode. Auch wenn man hier immer noch auf Chanel, Gucci, Dior steht, geht es nicht mehr nur darum, fette Brands zur Schau zu tragen. Sogar nachhaltige Mode, die lange abgelehnt wurde, ist mittlerweile gefragt.

STANDARD: Wie sieht der Street-Style von Schanghai aus?

Wang: Das hängt ganz davon ab, was man macht und wo man lebt: Das Leben in Schanghai bewegt sich zwischen Himmel und Hölle.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Wang: Der Verkehr macht einem das Leben schwer: Während der Hauptverkehrszeiten kann es passieren, dass man eine Stunde braucht, um fünf Kilometer zurückzulegen.

STANDARD: Und in der Nacht?

Wang: Dann beginnt hier das Leben in den vielen Bars, Restaurants und den Partys zu Hause. Im Gegensatz zum restlichen China leben hier viele Nationalitäten nebeneinander – und man kann trotzdem seine Ruhe haben. Niemanden stört es, wenn man mal bis sechs Uhr morgens durcharbeiten muss. So wie ich letzte Nacht.

Joyce Wang (25) ist Designerin des gleichnamigen nachhaltigen Modelabels. Sie beobachtet in China ein gestiegenes Interesse an nachhaltiger Mode.

www.joycewangecofashion.com

Joyce Wang trägt Jacke, Kleid und Tuch ihres eigenen Labels Joyce Wang.

Foto: Daliah Spiegel

Alvin Yu, Moderedakteur: "Die Jungen tun alles für Mode"

STANDARD: Was macht die Modeszene von Schanghai besonders?

Alvin Yu: Hier vermischen sich die Kulturen, vor allem die junge Generation zeichnet sich durch ihre Internationalität aus. Uns stehen Möglichkeiten offen, die wir zuvor nicht hatten.

STANDARD: Wie ziehen sich die jungen Leute an?

Yu: Man läuft auf der Straße unauffälliger als beispielsweise in Peking herum – leider! Das macht Schanghai aus modischer Perspektive etwas langweiliger.

STANDARD: Konsumiert wird aber schon gern, oder?

Yu: Mode und Luxuswaren sind für die junge Generation in Schanghai und in China extrem wichtig. Sie tun alles dafür, das zu bekommen, was sie wollen. Auch wenn ihnen das gar nicht steht. Momentan ist das wohl populärste Label in China Vetements aus Paris.

STANDARD: Das beste Lifestyle-Magazin von Schanghai?

Yu: Da bin ich nicht ganz objektiv: "Yoho!Girls" natürlich.

Der 31-jährige Alvin Yu ist in Schanghai geboren und arbeitet als Modechef beim Magazin "Yoho!Girls", das 2005 gegründet wurde.

www.yohogirls.com

Alvin Yu trägt einen Mantel von H&M, einen Ellesse-Rollkragenpullover von Topshop, Jeans von Cheap Monday und eine Brille von Tom Ford.

Foto: Daliah Spiegel

Charity Zhang, Musiker: "Ich habe null Ahnung von Mode"

STANDARD: Welche Musik mögen Sie?

Charity Zhang: Ich lege mich da nicht fest, ich höre alles Mögliche. Mir geht es darum, dass meine Musik oder auch mein Leben inspiriert werden.

STANDARD: Wo sind Sie in Schanghai schon aufgetreten?

Zhang: Als ich noch mit meiner Deathcore-Band unterwegs war, im Yuyintang- und im Mao-Livehouse; meinen letzten DJ-Gig hatte ich im Elevator, ein Paar Rap-Auftritte in Arkham.

STANDARD: Zu Ihrem persönlichen Stil: Wie wichtig ist Ihnen Mode?

Zhang: In Wahrheit habe ich null Ahnung von Mode, ich kenne mich weder mit Designerlabels noch mit bekannten Designern, geschweige denn mit Modemagazinen aus. Für mich ist das Anziehen eine Art Spielerei. Mein Stil ist eher trashig, Ideen hole ich mir an jeder Straßenecke und manchmal auch im Internet. Für das Shooting habe ich einfach einige Kleidungsstücke zusammengewürfelt, von denen ich gehofft habe, dass sie auf einem Bild gut rüberkommen. Und das tun sie doch, oder?

STANDARD: Was macht Schanghai aus?

Zhang: Von dieser Stadt werden alle so sehr verändert, wie sie selbst die Stadt verändern.

Charity Zhang ist 23 Jahre alt und Musiker. Er ist in Schanghai geboren und hat China noch nie verlassen.

www.instagram.com/charityssb

Charity in einem Poloshirt von Express, Hose und Mütze aus einem Vintage-Shop, die No-Name-Schuhe sind das Geschenk eines Freundes.

Foto: Daliah Spiegel

Lu Di, Tattoo-Künstler: "Schanghai schläft wirklich nie"

STANDARD: Wo gibt's in Schanghai die besten Tattoos?

Lu Di: Was für eine Frage: im Ink Bee Studio, da wo ich arbeite. Da gibt's Old-School-Tattoos zu angemessenen Preisen.

STANDARD: Wie unterscheiden sich die Tattoo-Szenen von Schanghai und Peking?

Di: In Schanghai geht es internationaler zu, es kommen Tattoo-Künstler aus der ganzen Welt zum Tätowieren her, und es gibt eine größere Auswahl an Studios. In Peking ist die Tattoo-Qualität durchschnittlich höher.

STANDARD: Für alle, die noch nie da waren: Schanghai in knappen Sätzen ...

Di: Schanghai schläft wirklich nie. Und: Man muss sich auf den Rhythmus dieser Stadt einlassen.

STANDARD: Welche sozialen Netzwerke nutzen Sie und Ihre Freunde?

Di: Ganz klar: hauptsächlich WeChat und Instagram.

Lu Di ist als Tattoo-Künstler im Bee's Ink & Art Studio von Schanghai tätig.

www.instagram.com/beetattoos619

Lu Di auf dem Fahrrad in einem Second-Hand-Sewater, Jeans von American Apparel, Schuhe von HUF Classic.

Foto: Daliah Spiegel

Yilei Wu, Shop-Inhaberin: "Trage Mix aus New York und Paris"

STANDARD: Wie würden Sie Ihren persönlichen Geschmack beschreiben?

Yilei Wu: Ich bevorzuge einen modernen "Schanghai-Girl-Style", einen Mix aus Paris und New York: lässig, bequem, sophisticated und ein wenig sexy. Trends sind für uns modebewusste Frauen aus Schanghai nicht relevant. Deshalb verschwinden die klassischen Frauenmagazine nach und nach vom Markt.

STANDARD: Wie informieren Sie sich dann über Mode?

Wu: Ich bin vor allem am Business interessiert und lese Seiten wie "Business of Fashion" oder "Jing Daily". Das chinesische "GQ" ist das einzige Modemagazin, das ich konsumiere. Ansonsten nutze ich natürlich Instagram und WeChat.

STANDARD: Gibt es so etwas wie einen chinesischen Geschmack?

Wu: Angesichts der gigantischen Größe des Landes ist es quasi unmöglich, diese Frage zu beantworten. Insgesamt bevorzugen Chinesen im Norden des Landes wegen des Wetters funktionale Kleidung und Pelz, an der Ostküste ist Schanghai die Modemetropole mit dem wohl elaboriertesten Stil, im Westen mögen die Leute Farbe und mutige Styles.

STANDARD: Was gibt es in Ihrem eigenen Shop zu kaufen?

Wu: Unser Stil ist nicht laut und keine Avantgarde, aber wir wollen den Style des "Schanghai-Girls" anbieten.

Yilei Wu (33) ist in Schanghai geboren, sie hat in London studiert und ist dann zurückgekehrt, um ihre Boutique Xinlelu zu eröffnen.

www.xinlelu.com

Yilei Wu hat ein Mantelkleid von Alexandre de Vaucelles an.

(Anne Feldkamp, RONDO, 6.4.2017)

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Foto: Daliah Spiegel