Eero Aarnio, gut drauf in seinem Studio während der 1960er-Jahre.

Foto: Eero Aarnio Archives

Samt Helm im "Formula Chair".

Foto: Elena Datrino

Und im "Ball Chair", seinem bekanntesten Entwurf.

Foto: Elena Datrino

Der schraubenförmige "Screw Table".

Foto: Pirkko Aarnio

Im Hängemodus der "Bubble Chair", ein Inbegriff für Sixties-Style und dreimal auf dem "Playboy"-Cover.

Foto: Studio Sempre

STANDARD: Ihre Entwürfe vermitteln stets Dynamik und Geschwindigkeit. Sie müssen sich an Bord von Flugzeugen oder schnellen Autos sicher sehr wohl fühlen?

Eero Aarnio: Wissen Sie, ich mag es eigentlich gar nicht so sehr, zu fliegen. Fliegen bedeutet immer: warten, warten, warten. Und ich hasse es, zu warten. Wenn ich eine Reise vor der eigenen Haustür mit dem Auto starte, kann ich reisen, ohne warten zu müssen. Ich ziehe das Autofahren deswegen vor. Es ist für mich der beste Weg, die Welt zu sehen. Ich habe einen Porsche. Der ist häufig schneller als das Flugzeug.

STANDARD: Wie steht es mit Ihren Arbeiten: Gehen Sie bei denen auch so schnell ans Werk?

Aarnio: Ja, ich mache alles sehr schnell, auch das Entwerfen. Ich fertige Zeichnungen im Maßstab eins zu eins an, aus denen ein Modellbauer Prototypen in Originalgröße umsetzen kann. Ich benutze nur einen Stift, keinen Computer. Um ein neues Objekt zu entwerfen, brauche ich einen halben Tag, bis ich die endgültigen Zeichnungen angefertigt habe. Dann mache ich Kopien und schicke sie an den Hersteller. Ich habe alles schon zuvor in meinem Kopf durchdacht. Er ist mein Computer und das schnellste Werkzeug. Er fällt niemals aus und ist immer am Netz .

STANDARD: Der "Ball Chair" aus dem Jahr 1963 ist Ihr bekanntester Entwurf. Wie kamen Sie auf dessen ungewöhnliche Form?

Aarnio: Nachdem ich geheiratet hatte, besaßen weder meine Familie noch ich eigene Möbel. Was wir brauchten, war ein großer Sessel, auf dem wir fernsehen konnten. Als ich mit einem Freund zum Segeln fuhr, sah ich sein neues Boot aus Fiberglas. So kam ich zum ersten Mal mit diesem Material in Berührung. Anfangs wollte ich einen ganz normalen Sessel machen. Doch als die Form Stück für Stück immer runder wurde, erinnerte ich mich an diesen Kunststoff. Um mit so wenig Material wie möglich die höchstmögliche Belastbarkeit zu erzielen, ist die Kugel die optimale Form. Das war die Lösung! Ich fing dann an, den ersten Prototypen anzufertigen, der bis heute in meiner Wohnung steht.

STANDARD: Wie ging es dann weiter?

Aarnio: Als der Prototyp fertig war, haben wir ihn 1966 auf der Kölner Möbelmesse zum ersten Mal präsentiert. Er wurde auf Anhieb ein großer Erfolg. Schon während der Messe gingen Bestellungen aus über 30 Ländern ein. Meine nächste Idee war, ein Telefon im Inneren der Kugel zu installieren. Sie müssen wissen, zu dieser Zeit waren Wandtelefone sehr modern, und Ericsson produzierte damals diese schönen roten Telefone. Ich rief also bei denen an und fragte, ob sie mir ein Exemplar schicken könnten. Da sie meinen Entwurf kannten, willigten sie ein. So kam es schließlich zum roten Telefon.

STANDARD: Später haben Sie mit dem "Bubble Chair" eine transparente Ausführung vorgestellt ...

Aarnio: Die Idee kam, als ich in einem "Ball Chair" saß und es einfach zu dunkel war, um darin lesen zu können. Zuerst wollte ich ein Fenster in die Kugel schneiden, um mehr Licht hereinzulassen, was aber eine ziemlich dumme Idee war. Der nächste Ansatz war, den Stuhl aus einem transparenten Material zu fertigen. Doch einen runden Stuhl aus transparentem Acryl konnte man in dieser Größe nicht nur an einem einzigen Fuß befestigen. Die Außenhaut der Kugel war ja weniger als zehn Millimeter dünn. Daher entschied ich mich, den Stuhl einfach aufzuhängen. Bei dieser Lösung ist es dann geblieben.

STANDARD: Können Sie sich erklären, warum auch der "Ball Chair" so erfolgreich wurde?

Aarnio: Ich habe darüber eigentlich nie nachgedacht. Ich wollte meine Ideen einfach nur in der bestmöglichen Weise umsetzen. Als der "Playboy" in den USA den Sessel dreimal auf seinem Cover abbildete, wurde er auch dort zu einem großen Erfolg. Warum allerdings jedes Mal eine nackte Frau darin sitzt, weiß ich nicht.

STANDARD: In den 1960er-Jahren bestimmten die Raumfahrt und der Wettlauf zum Mond die Medien. Inwieweit wurden Ihre Entwürfe davon beeinflusst?

Aarnio: Das war vor allem eine Erfindung der Medien, die mir die Zukunft angehängt hatten. Der Sputnik war zwar auch rund, aber das hatte mit meiner Idee überhaupt nichts zu tun. Warum der "Ball Chair" rund war, lag für mich im optimalen Umgang mit dem Material.

STANDARD: Es waren also rein funktionale Gründe?

Aarnio: Ja, aber Funktionalität kann auf sehr unterschiedliche Arten umgesetzt werden. Das war eben meine Art. Ein Ingenieur würde es wahrscheinlich anders machen als ein Künstler. Ein Stuhl, der nur funktional und ohne Fantasie gemacht wird, ist langweilig. Fantasie begeistert alle Menschen. Sie lieben die kleinen Geschichten hinter den Dingen und vor allem auch neue Formen. Es gibt zwar bereits eine enorme Bandbreite unterschiedlicher Formen, doch es hat mich immer wieder interessiert, neue, verrückte Dinge hinzuzufügen.

STANDARD: Ein anderer Stuhl von Ihnen besitzt die Form eines Ponys ...

Aarnio: Ich habe so viele lustige Ideen in meinem Kopf. Der Pony-Stuhl ist nur eine davon, doch es gibt eigentlich gar keinen speziellen Grund, warum er so geworden ist. Meine Töchter waren zu diesem Zeitpunkt um die zehn Jahre alt. Vielleicht lag es daran. Spannender ist immer, zu hören, was im Nachhinein mit den Produkten passiert. In Amerika hat ein texanisches Unternehmen die Pony-Stühle für ihren Meetingbereich ausgesucht. Stellen Sie sich das vor: Die Manager sitzen um einen großen, langen Tisch herum auf diesen lustigen bunten Spielzeugponys! Davon hätte ich gerne Bilder.

STANDARD: Beschreiben Sie uns, wie Sie wohnen.

Aarnio: Ich mag vor allem Weiß sehr gerne. Das Haus, in dem ich in Finnland wohne, ist komplett in dieser Nichtfarbe eingerichtet. Es hat sehr große weiße Fenster und wird dadurch zu einem Passepartout für die Landschaft, die es umgibt. Im Inneren des Hauses stehen überall die Prototypen meiner Entwürfe, die ebenfalls alle in Weiß gehalten sind. Ich finde es sehr wichtig, dass sie sich gegenüber ihrer Umgebung zurücknehmen.

STANDARD: Die meisten Ihrer Entwürfe sind aus Kunststoff gefertigt. Können Sie sich auch vorstellen, mit traditionellen Materialien wie Holz zu arbeiten?

Aarnio: Einmal habe ich eine Möbelkollektion für den finnischen Büromöbelhersteller Martla entworfen. Es sind ganz normale, funktionale Möbelstücke aus Sperrholz. Doch im Gegensatz zu meinen anderen Arbeiten hat sich dafür niemand interessiert, weil es eben nur ganz gewöhnliche Möbel sind. Als der Geschäftsführer des Unternehmens anfangs noch ein wenig zögerlich war, habe ich ihn in meine Rauchsauna eingeladen. Danach waren alle Zweifel beseitigt, und meine Entwürfe konnten in Produktion gehen. Ich bin also nicht nur ein Kunststoffdesigner, sondern benutze alle Arten von Materialien. Jemand hat mir einmal gesagt, ich sei ein Renaissance-Designer, weil ich alles selber mache. Das kleinste Objekt, das ich je entworfen habe, war ein Zahnstocher für Finnair. Das größte ist das Haus, in dem ich wohne.

STANDARD: Gibt es ein Projekt, das Sie gerne noch umsetzen würden?

Aarnio: Ich würde sehr gerne ein Stadtauto entwerfen, das von Solarenergie betrieben wird. Das Design ist nicht so schwierig. Die Herausforderung liegt vor allem in der Energieversorgung. Mein Vorschlag wäre, Solarkollektoren auf dem Dach eines Wohnhauses zu montieren und mit ihnen zwei Batterien aufzuladen. Während die eine das Auto mit Strom versorgt, bleibt die andere daheim und wird wieder aufgeladen. Am nächsten Tag tauscht man die Batterien aus und hat dadurch immer genügend Energie zur Verfügung. Es muss ein kleines, aber schönes Auto sein. Ich mag Smart nicht besonders. Doch die Richtung passt. Es müsste etwas sein, das jeder haben möchte und das nicht zu teuer ist. Das ist ein Traum von mir. (Norman Kietzmann, RONDO, 3.7.2017)