Außenminister Sebastian Kurz plädierte in Malta erneut für ein Ende der EU-Gespräche zum Beitritt der Türkei. Stattdessen solle man einen Nachbarschaftsvertrag aushandeln. Die meisten EU-Staaten setzen auf Abwarten, wollen prüfen, ob Ankara die Kriterien erfüllt.

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STANDARD: Was sagen Sie zum Sturm der Nationalkonservativen auf das Parlament in Mazedonien, dem EU-Beitrittswerberland?

Kurz: Es gibt eine schwierige Situation, wie wir sie auch schon anderswo auf dem Balkan hatten. Ich verurteile alle, die sich an den Gewaltaktionen in Mazedonien beteiligt haben oder die dazu aufgerufen haben.

STANDARD: Vernachlässigt die EU die Themen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als Kriterien?

Kurz: Rechtsstaatlichkeit ist die Basis für alles andere. Gewalt kann niemals gerechtfertigt sein.

STANDARD: Sie haben diese Partei im Wahlkampf unterstützt. War das ein Fehler?

Kurz: Ich habe den Außenminister Nikola Poposki unterstützt, den ich sehr schätze und der ein verlässlicher Partner bei der Schließung der Westbalkanroute war. Er hat die Gewalt auch sofort verurteilt.

STANDARD: Zur Türkei, es gibt in der EU große Uneinigkeit, was den Abbruch der Beitrittsverhandlungen betrifft. Wie geht das weiter?

Kurz: Das Positive ist, dass es eine klare Bewegung in die richtige Richtung gibt, dass man nämlich nicht weiter nur zusieht, was in der Türkei geschieht, sondern darauf reagiert. Mehr und mehr Mitgliedstaaten, aber auch mehr und mehr Abgeordnete im EU-Parlament sagen, die Union darf nicht wegschauen. Die Türkei bewegt sich immer weiter weg von Menschenrechten, Rechtsstaat und Demokratie. Da braucht es eine Reaktion der EU darauf.

STANDARD: Geht es um Sanktionen?

Kurz: Nein, aber wir müssen sagen, dass der Beitritt unter diesen Umständen keine Option ist. Wir brauchen einen Gesprächskanal zur Türkei, Kooperation in Bereichen, wo das Sinn macht, aber das kann nur in Form eines Nachbarschaftsvertrages sein. Wir werden sonst auch unglaubwürdig in der restlichen Welt.

STANDARD: Luxemburg sieht das wie Sie. Ihr deutscher Kollege Sigmar Gabriel lehnt den Abbruch der Beitrittsgespräche strikt ab.

Kurz: Wenn die Entwicklung leider so weitergeht in der Türkei wie im letzten Halbjahr, wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch die Union als Ganzes dazu eine klare Haltung hat. Man sollte sich selbstkritisch eingestehen, dass die Strategie falsch war. Deutschland hat bereits einmal – in der Flüchtlingskrise – auf die falsche Strategie gesetzt. Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel sollte daher bei dieser nächsten wichtigen Weichenstellung für Europa nicht weiterhin an der Beitrittsfiktion festhalten, obwohl sich die Situation in puncto Rechtstaat, Demokratie und Menschenrechte in der Türkei stetig verschlechtert

STANDARD: Werden die Gespräche noch heuer suspendiert?

Kurz: Das hoffe ich. Das wäre der einzig richtige Weg. Ich glaube, dass man mit dieser Fiktion des EU-Beitritts niemandem etwas Gutes tut. Ich erinnere daran, dass viele noch im Herbst die Haltung vertreten haben, dass man mit der Türkei weitermacht wie bisher. Das Ergebnis ist, dass es das Verfassungsreferendum gegeben hat, das OSZE-Wahlbeobachter kritisierten, und dass Präsident Erdogan Rechtsstaat und Demokratie bedroht.

STANDARD: Wie soll sich die Haltung der Partnerländer ändern?

Kurz: Dieses Treffen war ein weiterer Schritt dazu. Es bewegt sich viel. Ich würde mir wünschen, die Türkei würde sich positiv entwickeln, aber die Dinge sind nun mal so, wie sie sind. Es wird weitere Zuspitzungen geben. Für manche ist die rote Linie erst mit der Einführung der Todesstrafe überschritten. Für mich gibt es rote Linien schon viel früher, wenn man etwa Journalisten einschüchtert und mundtot macht oder Oppositionelle einsperrt. (Thomas Mayer, 28.4.2017)