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Im Krieg versuchten sich die Bürger von Sarajevo in Deckung durch die Stadt zu bewegen, um nicht von den Heckenschützen getötet zu werden. Trotzdem wurden hunderte Menschen erschossen.

Foto: Reuters / Chris Helgren

Zum gemeinsamen Kampf gegen die Armee der bosnischen Serben kam 1993 noch der Konflikt zwischen Einheiten von Bosniaken und Kroaten.

Der Beschuss begann um 4.30 Uhr in der Früh. Als die Granaten erstmals in dieser Nacht zum 2. Mai 1992 im Zentrum der Stadt einschlugen und serbische Verbände mit Transportern, Panzern und schweren Waffen eindrangen, hatte sich noch kaum Verteidigung formiert. "Wir saßen im Keller und spielten Schach", erzählt Mustafa, der damals 15 Jahre alt war. "Wir dachten, dass wir spätestens im September wieder an die Küste auf Urlaub fahren können. Doch am Abend kam der Sohn vom Nachbarn herein und sagte: Sie sind in der Stadt, ab jetzt wird es gefährlich."

Vor einem Vierteljahrhundert begann die Blockade der bosnischen Hauptstadt, die mehr als drei Jahre dauerte und Sarajevo in ein Gefängnis verwandelte, in dem der Tod an jeder Ecke lauerte.

"Der 2. Mai 1992 war der schwierigste Tag, um Sarajevo zu verteidigen", erinnert sich Jovan Divjak, der später zum Generalstab der Armee von Bosnien-Herzegowina gehörte. An diesem Tag wurden nicht nur die Ausfallstraßen in die Stadt gesperrt, sondern auch die Wasser- und Elektrizitätsversorgung gekappt. Die Stadt war eingekesselt.

Kaum Waffen, keine Panzer

Präsident Alija Izetbegović wurde auf dem Flughafen festgenommen. Er hatte am 4. April zur Mobilmachung aufgerufen, am 8. April wurde ein Verteidigungsplan gemacht. "Doch wir hatten kaum Waffen, keine Panzer, die Kommandokette funktionierte schlecht. Die ersten Einheiten wurden auf der Straße gebildet", erzählt Divjak. Die bosnisch-serbischen Truppen wurden mancherorts aufgehalten. In der Nähe des jüdischen Friedhofs wurden etwa Militärfahrzeuge von Leuten zerstört, erinnert sich Divjak.

Über den Hügeln der Stadt hatten sich schon Wochen zuvor Einheiten der Jugoslawischen Volksarmee (JVA) in Stellung gebracht. Doch selbst Divjak dachte, "dass die Belagerung in zwei Monaten vorbei sein wird. Erst im August, nachdem ich deren Ausrüstung gesehen hatte, wusste ich, dass es drei bis vier Jahre sein werden."

Die Frontlinie verlief über 64 Kilometer, teils auch direkt durch die Stadt. Heckenschützen terrorisierten die Zivilbevölkerung aus den Hochhäusern. Hunderte Zivilisten und dutzende Kinder wurden von ihnen getötet. Mustafa ging nur durch enge Gassen zum Gymnasium, um nicht zur Zielscheibe zu werden. Manchmal zwang der Granatenbeschuss die Schüler, in der Schule zu bleiben.

In Sarajevo nannte man die Belagerer Tschetniks. Waffen, Munition und Geld für sie kamen zu einem bedeutenden Teil aus Belgrad. Wegen des Embargos der Uno konnten die Verteidiger legal keine Waffen besorgen. Diese kamen aus dem Iran, dem Sudan oder Pakistan. Durch den schmalen, niedrigen Tunnel unterhalb des Flughafens konnte aber keine schwere Artillerie in die Stadt geschmuggelt werden. "Wir haben oft versucht, die Blockade zu durchbrechen", sagt Divjak, "aber die VRS (Armee der bosnischen Serben, Anm.) hatte 350 Granatwerfer, und wir hatten nie mehr als 150."

Mehr als 300 Granaten täglich

Im Durchschnitt schlugen täglich mehr als 300 Granaten in der Stadt ein. Trotzdem wurde Sarajevo nie eingenommen. Divjak: "Dafür hätte die VRS zwei- bis dreimal stärker sein müssen als wir. Wir hatten 35.000 Soldaten, die hatten nie mehr als 20.000 um die Stadt." Zudem sei die Moral von Verteidigern immer größer. Die Uno stellte der VRS immer wieder Ultimaten, ihr schweres Geschütz abzuziehen. Doch die VRS attackierte Schutzzonen im Land, hielt sich nicht an Flugverbote und nahm hunderte UN-Soldaten als Geiseln. Erst nachdem am 28. August 1995 eine Granate in Sarajevo 37 Menschen getötet hatte, bombardierten 60 Nato-Kampfflugzeuge Basen und Munitionsdepots der VRS.

Am Ende des Bosnien-Kriegs waren 60 Prozent der Gebäude in dem Land zerstört, 100.000 Menschen getötet, hunderttausende vertrieben, 40.000 Frauen vergewaltigt. Alle "Spuren multikultureller Weltoffenheit" sollten gelöscht werden, schreibt Sabrina Ramet in ihrem Buch "Die drei Jugoslawien". "Ziel war es, den Glauben an das mögliche Zusammenleben verschiedener Völker zu zerstören und den neuen Glauben an den Primat der ethnischen Gemeinschaft zu etablieren."

Das ist leider "gelungen". Bereits im Krieg wurden nur Militärs mit muslimischen Namen in höhere Ränge der bosnischen Armee (Arbih) gelassen. Heute dominiert auf allen Seiten völkisches Denken. Nicht nur das Land, auch Sarajevo ist de facto geteilt. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 2.5.2017)