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Fleisch muss mittlerweile zahlreiche Ansprüche erfüllen: Nährstoffreich, bio, preiswert und ständig verfügbar. Kann "natürliches" Fleisch all das leisten?

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Jürgen König leitet das Department für Ernährungswissenschaften an der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien.

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Veronika Somoza steht dem Institut für Ernährungsphysiologie und Physiologische Chemie an der Fakultät für Chemie der Universität Wien vor.

Kann künstlich hergestelltes Fleisch überhaupt gesund sein und wie müssen Produkte beschaffen sein, um als Fleisch wahrgenommen zu werden? Was bedeutet der "In-vitro-Burger" für die Landwirtschaft und die Arbeitsplätze in diesem Sektor? Diese und weitere Fragen hat die Community im Forum zum Thema "Gibt es ein Menschenrecht auf Fleisch?" gestellt – hier die Antworten der Ernährungswissenschafter.

Jürgen König, Veronika Somoza: Der Vorteil künstlich hergestellten Fleisches wäre eine weitgehende Kontrolle des Herstellungsprozesses unter Verwendung von Rohstoffen, die ansonsten für die menschliche Ernährung in dieser Form nicht verwendbar wären. Es ist richtig, dass die Frage nach den Quellen der für die Herstellung erforderlichen Rohstoffe weitgehend ungeklärt ist, insbesondere wenn künstlich hergestelltes Fleisch in großem Maßstab produziert werden soll. Derzeit lässt sich die Frage nach einer ökologisch vertretbaren Produktion nicht beantworten. Möglicherweise ist die Herstellung der Ausgangsmaterialien am Ende technologisch immer noch aufwendiger und ökologisch bedenklicher als die Produktion von "natürlichem" Fleisch.

Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die bei uns geltenden lebensmittelrechtlichen Vorgaben für ein hohes Maß an Lebensmittelsicherheit sorgen. Alle Hersteller von Lebensmitteln, egal ob aus industrieller Produktion oder aus Kleinbetrieben, dürfen nur sichere Lebensmittel in Verkehr bringen, die keinen unmittelbaren Schaden für die menschliche Gesundheit zur Folge haben. Letztlich müssen Verbraucherinnen und Verbraucher selbst entscheiden, welche Lebensmittel sie in welcher Menge essen wollen und wie sie ihre Ernährung aus allen verfügbaren Lebensmitteln zusammenstellen. Immerhin haben wir den Luxus einer sehr breiten Auswahl an verschiedenen Lebensmitteln, die sicher und auch weitgehend erschwinglich sind. Diesen Luxus sollten wir aber auch so nutzen, dass wir uns gesund und ausgewogen ernähren, anstatt die Verantwortung an andere abzugeben.

König, Somoza: Die Diskussion über den Analogkäse, den man durchaus als Alternative zu Käse aus Milch sehen könnte, zeigt die widersprüchliche Situation, in der wir uns in manchen Bereichen befinden. Auf der einen Seite erwarten wir ökologisch und ethisch einwandfrei produzierte Lebensmittel mit einem hohen Maß an Sicherheit, Haltbarkeit und Stabilität, für die wir andererseits aber nicht bereit sind, einen Preis zu bezahlen, der ökonomisch notwendig und fair wäre. Es muss uns klar sein, dass alle Ansprüche, die wir an Lebensmittel stellen, unter den derzeitigen Bedingungen nicht erfüllbar sind.

König, Somoza: Es ist richtig, dass eine ausreichende Versorgung mit Fleisch nicht als Menschenrecht eingestuft werden kann – wohl sollte dies aber für eine ausreichende Versorgung mit Energie und Nährstoffen über Lebensmittel gelten. Im Sinne einer ausgewogenen, vielfältigen Ernährungsweise sollte Fleisch ein wichtiger Bestandteil des Speiseplans all jener Menschen sein, die den Fleischkonsum nicht aus kulturellen oder ethischen Gründen ablehnen. Im Zuge des stetigen Wachsens der Weltbevölkerung wird es jedoch nicht möglich sein, die globale Nachfrage nach Fleisch in allen Regionen der Welt zu decken. Daher sind alternative Strategien zur Fleischerzeugung gefragt. Welche dieser Strategien sich zukünftig durchsetzen wird, wird vor allem von den Konsumentinnen und Konsumenten entschieden werden.

König, Somoza: Es ist tatsächlich bereits möglich, aus pflanzlichen Rohstoffen fleischähnliche Produkte herzustellen, die sich kaum noch von "echtem" Fleisch unterscheiden lassen. Besonders bei Produkten, die Faschiertes nachahmen, sind die technologischen Möglichkeiten so fortgeschritten, dass eine sehr fleischähnliche Textur erreicht werden kann. Auch wurstähnliche Produkte pflanzlichen Ursprungs sind den tierischen Produkten bereits sehr ähnlich. Für die sensorischen Qualitäten, also Geschmack und Geruch, ist es allerdings erforderlich, mit entsprechenden Zusätzen zu arbeiten, wobei die genannten Röst- und Raucharomen ebenfalls sehr gut vermittelbar sind. Anders sieht es bei Produkten aus, die eine Fleischstruktur eines gewachsenen Stückes Fleisch aufweisen sollen, also etwa einem Schnitzel oder Steak. Hier ist die Imitierung sowohl von Struktur als auch Geschmack nach wie vor eine technologische Herausforderung. Es sollte aber auch bedacht werden, dass für die Herstellung dieser Alternativprodukte teilweise ein erheblicher technologischer Aufwand erforderlich ist, bei dem die Frage nach der "Natürlichkeit" des Produkts durchaus gerechtfertigt ist.

König, Somoza: Das ist ein berechtigter Einwand. In der Tat sind nicht alle landwirtschaftlichen Flächen zum Anbau pflanzlicher Lebensmittel ökologisch und ökonomisch sinnvoll nutzbar. Manche dieser Flächen sind jedoch für die Tierhaltung sehr wohl geeignet, sodass gerade bestimmte Alpenregionen unter einem völligen Verzicht auf die Produktion tierischer Lebensmittel leiden würden. Der Kulturraum, wie wir ihn kennen, würde sich deutlich ändern, was bei der Einschätzung der Vor- und Nachteile berücksichtigt werden sollte.

König, Somoza: Tatsächlich wird die Produktion von Geschmacks- und Geruchsstoffen durch beispielsweise Pilze oder Algen bereits industriell genutzt. Ob eine Muskelfleischzelle in der Lage wäre, diese Stoffe ebenso herzustellen, hängt im Wesentlichen von ihrer genetischen Ausstattung ab. Innovative Technologien ermöglichen zumindest in der Theorie umfassende Veränderungen des Genoms – ob auf diesem Weg jedoch ein gesundheitlich und auch sensorisch attraktives Fleischprodukt herzustellen ist, werden zukünftige Forschungstätigkeiten zeigen. (Jürgen König, Veronika Somoza, 4.5.2017)