Franz Legat ist Dermatologe und bietet an der Grazer Universitätsklinik seit fünf Jahren eine Spezialsprechstunde für Patienten mit chronischem Juckreiz an.

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Patienten mit chronischem Pruritus leiden an Schlafstörungen und haben häufig Probleme, sich zu konzentrieren, weil es sie ununterbrochen juckt und sie sich kratzen müssen.

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STANDARD: Umfragen zeigen, dass etwa jeder Fünfte mindestens einmal im Leben unter massivem, oftmals monatelangem Juckreiz, Pruritus genannt, leidet. Viele gehen deshalb nicht zum Arzt. Welche Patienten kommen dann zu Ihnen in die Sprechstunde?

Legat: In der Regel kommen Menschen zu mir, deren Haut schon länger als sechs Wochen lang stark juckt. In den meisten Fällen sind es aber bereits Monate bis Jahre, manchmal auch Jahrzehnte, in denen diese Patienten unter dauerhaftem oder wechselnd starkem chronischem Pruritus gelitten haben.

STANDARD: Welche Symptome haben diese Menschen?

Legat: Die Probleme der Patienten sind sehr vielschichtig. Bei lang anhaltendem Jucken und wiederholtem bis ständigem Kratzen sind die Spuren des Kratzens mit offenen Hautstellen, die bluten oder verkrustet sein können, meist nicht zu übersehen. Doch obwohl sich in den meisten Fällen diese Kratzspuren durch langärmlige Kleidung gut verdecken lassen, sind die Patienten in ihrem Alltagsleben stark eingeschränkt. Die Kleidung muss in ausgeprägten Fällen wiederholt gewechselt werden, damit das Wundsekret nicht durchnässt. Weil der chronische Pruritus in der Nacht oft verstärkt auftritt, leiden die Betroffenen an Schlafstörungen. Sie sind tagsüber müde und eingeschränkt leistungsfähig. Der ständige Juckreiz stört außerdem die Konzentration und ist damit eine Belastung im Job.

STANDARD: Warum kommen die Betroffenen erst so spät?

Legat: Die meisten Patienten kommen in meine Sprechstunde, nachdem sie bereits sehr lange entweder gar nicht, sporadisch oder immer wieder bei Haus- und Hautärzten, Internisten, Psychiatern oder Neurologen waren. Diese nehmen das Problem oft nicht wahr: "Das wird schon wieder vergehen", sagen diese Ärzte häufig, und sie verschreiben Cortisoncremes oder antiallergische Tabletten.

STANDARD: Dadurch wird aber die Ursache nicht behandelt.

Legat: Ja, der Pruritus bleibt, wird schließlich chronisch, löst sich von der ursprünglichen Ursache. Es entsteht ein Juck-Kratz-Zyklus, und der wird zu einer eigenen Juckreizerkrankung, die dann oft mit speziellen juckenden Hautveränderungen in einer sogenannten chronischen Prurigo mündet. In diesem Stadium bringt dann auch die Behandlung der auslösenden Ursache keine Hilfe mehr.

STANDARD: Welche Ursachen könnten das sein?

Legat: Dermatologische, systemische, neurologische, psychische/psychosomatische, multifaktorielle und schließlich auch un klare Ursachen.

STANDARD: Spielt vielleicht auch das Alter der Patienten mit Juckreiz eine Rolle?

Legat: Manche Erkrankungen sind in bestimmten Altersstufen häufiger. Neurodermitis etwa ist eine häufige Ursache für Juckreiz im Kindesalter. Die Psoriasis, also die Schuppenflechte, die immerhin bis zu drei Prozent der Bevölkerung betrifft, tritt sowohl im jungen und im späteren Erwachsenenalter auf. Auch sie geht mit chronischem Juckreiz einher. Bei Erwachsenen sind oft auch Erkrankungen der Leber und Niere oder Bluterkrankungen Auslöser von teilweise sehr ausgeprägtem chronischem Pruritus. In höherem Alter führt trockene Haut häufig zu starkem Juckreiz.

STANDARD: Welche Therapien gibt es gegen Pruritus?

Legat: Ist die Ursache bekannt, führt die Behandlung der Grunderkrankung meist auch zur Beseitigung des Juckreizes. Ist die Ursache unbekannt oder nicht ausreichend behandelbar, ist es deutlich schwieriger, den chronischen Pruritus in den Griff zu bekommen. Es gibt derzeit noch kein Medikament, das gegen Juckreiz zugelassen ist. Daher kommen Medikamente aus anderen medizinischen Bereichen wie Neurologie, Psychiatrie oder Innere Medizin im Rahmen eines Heilversuchs zum Einsatz.

STANDARD: Sie probieren also Medikamente aus, die gegen andere Erkrankungen entwickelt wurden?

Legat: Ja, etwa die Wirkstoffe Gabapentin und Pregabalin, die die Wahrnehmung und Weiterleitung von Juckreiz hemmen. Sie wirken bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz oder mit Nervenschäden meist gut.

STANDARD: Im Gespräch ist immer wieder auch der Wirkstoff Aprepitant.

Legat: Dieser sogenannte Neurokinin-1-(NK1)-Antagonist ist eigentlich zugelassen, um die Übelkeit bei stark wirksamen Chemotherapien zu lindern. Aprepitant hat sich aber auch als gutes Mittel gegen schweren chronischen Pruritus erwiesen. Das Mittel ist teuer, und Erfahrungen mit Langzeitbehandlungen sind derzeit noch gering. Studien mit verwandten Substanzen, die am NK1-Rezeptor angreifen, sind aber in Arbeit und kurz vor der Veröffentlichung.

STANDARD: Es wird also an Medikamenten gearbeitet?

Legat: Ja, die nächsten fünf bis zehn Jahre werden hier wahrscheinlich große Fortschritte bringen. In Studien werden jetzt schon ganz gezielt Faktoren, von denen man glaubt, dass sie bei Pruritus eine Rolle spielen könnten, mit Biologika oder kleinen Molekülen beeinflusst. Es bleibt zu hoffen, dass daraus wirksame Medikamente entstehen.

STANDARD: Was können Betroffene ansonsten tun?

Legat: Weiche Kleidung tragen, nicht zu häufig und zu heiß duschen, die Haut gut pflegen und Stress vermeiden. Auch Cremes mit speziellen Inhaltsstoffen, etwa mit Urea, also Harnstoff, oder Menthol können helfen. Eine Therapie in Kältekammern oder die Phototherapie, also die Therapie mit UV-Strahlen, kann juckreizlindernd wirken. (Andreas Grote, 6.5.2017)