Vor allem Junge schwenkten in Frankreich nach dem Sieg Macrons neben der Tricolore auch die EU-Flagge.

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Die Haltung der Österreicher zur Europäischen Union ist weder Fisch noch Fleisch. Das Land sieht sich als Teil Kerneuropas, hat von sämtlichen Integrationsschritten profitiert und die Wirtschafts- und Finanzkrise vergleichsweise gut gemeistert. Trotzdem erleben explizit europakritische Positionen regen Zulauf.

Die Grundideen der Union, die Bewahrung des Friedens oder die Förderung des allgemeinen Wohlstandes, finden in Österreich hohe Anerkennung. Die wichtigsten Meilensteine der Integration – etwa der Euro oder die Personenfreizügigkeit – werden befürwortet, wie auch die EU-Mitgliedschaft selbst. Ein Öxit ist kein Thema. Zwei von drei Österreichern sprechen sich regelmäßig dagegen aus. Und dennoch erscheint die Union vielen – darunter neuerdings mehr Männern als Frauen – als fremd und fern, sie gilt als undemokratisch und wenig sozial, als Risiko für die nationale Souveränität und als Hort der Bürokratie und Überregulierung. Der zögerliche Umgang mit Wirtschaftskrise, mit Flucht und Migration hat das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der EU – aber auch der Politik im Allgemeinen – weiter geschwächt.

Österreich lebt und profitiert als kleine, offene Volkswirtschaft in hohem Maße vom Binnenmarkt und zählt zu den Ländern mit dem höchsten Internationalisierungsgrad. Globalisierung und Liberalisierungstendenzen werden jedoch mit Argwohn betrachtet, wenn Errungenschaften wie das heimische Sozial- und Wohlfahrtssystem und hohe Umwelt- und Verbraucherstandards durch Integration und Digitalisierung unter Druck geraten.

Eindimensionale Kritik ...

Politik und Wirtschaft ist es bis heute nicht hinreichend gelungen, eine nachhaltige und ehrliche Antwort auf diese durchaus berechtigten Sorgen der österreichischen Bevölkerung zu geben. Im Gegenteil: Kommunikation wie konkretes Handeln kokettieren gerne mit eindimensionaler Kritik an der Europäischen Union. Der EU-Diskurs in Österreich ist defensiv. Es gilt nach wie vor als riskant, sich explizit pro-europäisch zu positionieren und als zu aufwändig, Europa aktiv mitzugestalten und zu reformieren. Die eigene Verantwortung und die Beteiligung an europäischen Entscheidungen werden ungern thematisiert. Mit der aktuellen Schlagzeile verpufft die notwendige inhaltliche Auseinandersetzung mit europäischen Entwicklungen.

... und Diskursvermeidung

Diskursvermeidung hinterlässt allerdings ihre Spuren. An der Diskussion um die Freihandelsabkommen wollte man sich auch lange nicht beteiligen. Ergebnis des Informationsvakuums: eine Kommunikationslücke, die auf dem Boden berechtigter Bedenken mit Übertreibungen gefüllt wurde und zu einem diffusen Gefühl des Unbehagens und emotionalisierten Justament-Standpunkten führte. Auch bei der Bewältigung des Flüchtlingszustroms endete die relative Überforderung Österreichs damit, gemeinsame europäische Verantwortung durch nationalen Aktivismus und überschießende Grenzrhetorik zu ersetzen und die Union als ohnmächtigen Gegenpol darzustellen.

Grabenkämpfe auf Kosten einer "unnahbaren EU, die sich zu sehr einmischt" sind politisches Tagesgeschäft, während man Europapolitik zur Wochenendbeschäftigung degradiert. Den Alltag dominieren nationale Schnellschüsse: Die Indexierung der österreichischen Familienbeihilfe für Kinder im EU/EWR-Ausland, der Beschäftigungsbonus nicht nur für Arbeitslose oder die strittige Zurücknahme der Grenzkontrollen.

Ob diese aber auch ein adäquates Mittel darstellen, die tatsächlichen Probleme zu lösen und die Stimmung im Land nachhaltig zu verbessern bzw. der Stellung Österreichs in der Europäischen Union nutzen?

Dabei haben die Bundespräsidentschaftswahlen in Österreich, aber auch die Wahl Emmanuel Macrons zum französischen Präsidenten, gezeigt, dass es auch anders geht. Das Thema Europa kann – auch in schwierigen Zeiten – positiv besetzt werden. Mit konkreten Konzepten, einer klaren europäischen Perspektive und ausgeprägtem Selbstbewusstsein ist eine positive Emotionalisierung in Sachen Europäische Union durchaus möglich.

Das stockende Integrationsprojekt gewinnt jedoch nur dann wieder an Fahrt, wenn die nationale und europäische Ebene besser ineinandergreifen und mit offenen Karten gespielt wird. Denn Partikularinteressen und bescheiden ausgeprägte Solidaritätsbereitschaft in den Hauptstädten verunmöglichen es der EU, die mit ihrer eigenen Reform ringt, die in sie gesetzten Hoffnungen auch nur annähernd zu erfüllen.

EU-Skepsis entkräften

Auch Österreich sollte sich wieder stärker darauf besinnen, die EU als rechtlichen und politischen Rahmen eines europäisch ausgerichteten Interessensausgleichs zu verstehen. Überzeugungsarbeit zur Umsetzung der eigenen Anliegen bei gleichzeitiger Übernahme europäischer Verantwortung sollten Vorrang vor nationalen Solis haben. Dadurch könnte sich auch der politische Diskurs hierzulande europäisieren und so manches Motiv für EU-Skepsis letztlich glaubhaft entkräftet werden. (Paul Schmidt, 8.5.2017)