Wien – Meinungsforscher und Politikexperten sehen Österreich nach dem Rücktritt von Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner auf Neuwahlen zusteuern. "Mitterlehner tritt zurück. Das heißt automatisch Neuwahlen. Alles andere ist undenkbar", sagte OGM-Chef Wolfgang Bachmayer der APA. Auch Politikberater Thomas Hofer hält das für ein mögliches Szenario.

Peter Filzmaier erklärt im "ZiB 2"-Interview, dass die ÖVP so gut wie keinen anderen Spitzenkandidaten als Sebastian Kurz hat. Dieser müsste von der ÖVP aber freie Hand zugesichert bekommen.
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Neuwahlen wären übrigens rein vom Fristenlauf nicht mehr vor dem Sommer möglich, denn für die Vorbereitung einer Wahl sind drei Monate nötig. Eine vorgezogene Wahl findet höchstwahrscheinlich im frühen Herbst – Ende September oder Anfang Oktober – statt.

Laut Bachmayer muss ÖVP-Hoffnung Sebastian Kurz nun den Parteichef machen. "Eine solche Gelegenheit einer Machtfülle eines ÖVP-Obmannes gab es selten. Kurz ist in der Situation, wo er den als schwierig bekannten Parteigranden die Bedingungen diktieren kann, bis hin zur Gestaltung der Nationalratswahlliste." Bachmayer geht davon aus, dass Kurz Interesse an einem kurzen Wahlkampf hat. "Je länger es dauert, desto mehr Gefahren könnten entstehen. Ich rechne mit einer schnellen Entscheidung und einem raschen Neuwahltermin im September oder Oktober."

Länder fürchten Strafaktion der Wähler

Die Bundesländer, die kommendes Jahr wählen, wollten das ebenfalls. "Die fürchten wie der Teufel das Weihwasser, dass sie für dieses entsetzliche Bild der Regierung abgestraft werden." Und auch Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) müsse letztlich an Wahlen vor den Landtagswahlen im Frühjahr 2018 interessiert sein. Das zu erwartende schlechte Abschneiden der SPÖ bei den Landtagswahlen würde dem Parteichef nämlich den schlechten Zustand der SPÖ bescheinigen. Der OGM-Chef schenkt dem Kern-Angebot einer "Reformpartnerschaft" mit der ÖVP und mit Kurz deshalb nicht wirklich Glauben. "Das muss er sagen, denn jetzt beginnt der Kampf um den schwarzen Neuwahl-Peter. Kern wird sich hüten zu sagen, dass er mit seiner Kommunikations- und Inszenierungspolitik auf Wahlen hinarbeitet. Er ist ja schon im Wahlkampf. Er muss nur noch aufs Gas steigen. Auch Kern hat ein vitales Interesse an Wahlen."

Wegen des Fokus auf Kern und Kurz muss sich die FPÖ laut Bachmayer eine Neupositionierung überlegen. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache könnte – ähnlich wie Norbert Hofer im Bundespräsidentenwahlkampf – als der "nette Blaue von nebenan" auftreten.

Eine Ende mit Schrecken

Auch der Politikberater Thomas Hofer hält baldige Neuwahlen für ein realistisches Szenario. Alle anderen Varianten wären für Kurz im Fall einer Übernahme der ÖVP "nicht besonders prickelnd". Wenn er als ÖVP-Obmann und Vizekanzler die Regierung mit Kern weiterführt, bringe ihn das "in keine gute Position". Sollte vorübergehend ein anderer ÖVP-Politiker den Posten des Vizekanzlers übernehmen, würde Kurz das "wahrscheinlich eher als Feigheit ausgelegt". Bleibe die Variante "lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende". Für Hofer eine durchaus "gangbare Geschichte". Dafür brauche er aber entsprechende Kompetenzen und das Pouvoir seiner Partei. "Die eigene Partei ist es, was er zuerst zu überwinden hat, dann die Frage, ob es Sinn macht, in der Regierung weiterzuwursteln."

"Mitterlehner hat größtmöglichen Schaden für ÖVP angerichtet"

Den Rücktritt Mitterlehners beurteilt Hofer als Schlag für die ÖVP. "Mitterlehner hat den größtmöglichen Schaden für sich und seine Partei angerichtet." Mit der Aussage, dass die Spitzen der Partei und auch sein präsumtiver Nachfolger schon seit Monaten gewusst hätten, dass er nicht als Spitzenkandidat in eine Wahl gezogen wäre und nicht Platzhalter auf Abruf sein wolle, bis irgendjemand Zeitpunkt, Struktur und Konditionen festlegt, habe Mitterlehner eine "klare Zuweisung der Brutus-Rolle" vorgenommen. Der Erwartungsdruck auf Kurz sei nun jedenfalls "immens hoch". (APA, 11.5.2017)