Die Kontrahenten am Dienstag im Nationalrat: Sebastian Kurz und Christian Kern begegnen einander in ausgesuchter Höflichkeit und Gegnerschaft.

Foto: APA/ROBERT JAEGER

Sebastian Kurz hat es an die Parteispitze geschafft. Am Ende schneller als gedacht. Das Pflichtprogramm ist abgehakt: Seine Bedingungen wurden umstandslos akzeptiert, die Partei tritt erstaunlich geschlossen auf.

Warum haben die Parteigranden zugestimmt? Sein Forderungskatalog entspricht einem beinahe stetig wachsenden gesellschaftlichen Bedürfnis nach Personalisierung; verbunden mit dem Reiz, der politischen Experimenten im Parteienstaatsreich naturgemäß anhaftet, und einem durch die Jugendhaftigkeit des Protagonisten vermittelbaren Anti-Establishment-Touch sollte das ausreichen, um die Volkspartei unmittelbar spürbar wettbewerbsfähiger zu machen.

Das Kalkül der mächtigen Landeshauptleute? Sie dürften in Kurz einen der "Ihren" erkannt haben; einen, der ein Erfolgsmodell propagiert, dem sie selbst nacheifern – unumstrittene Parteivorsitzende, die hochgradig personalisierte Wählkämpfe führen. Wie zur Bestätigung entfuhr es Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner: Der Neue im Bund bekomme eben jene Kompetenzen zugesprochen, die den Länderpendants bereits zur Verfügung stünden. Punkt.

Das alles kann funktionieren, sehr gut sogar. Riskant bleibt es allemal: Ein Leader Marke Kurz benötigt wenigstens passable Umfragewerte, um seine parteiinterne Autorität zu erhalten. Und er ist auf Wahlsiege angewiesen wie auf einen Bissen Brot. Die ÖVP? Sie hat noch viel mehr zu verlieren: Die Partei steht umfragemäßig keineswegs durchgängig schlechter da als während Jörg Haiders Aufstieg vor 2000, ist ihrerseits durch und durch auf ein Sitzen an den Schalthebeln der Macht getrimmt.

Soll das Experiment einer Neuerfindung der Partei langfristig gelingen, wird man ein politisches Talent vom Schlage Kurz' mehr als einmal und günstige Großwetterlage immer wieder aufs Neue benötigen. Und gedeiht nicht auch die FPÖ in Opposition prächtig, ohne einen Gedanken an innerparteiliche Reformen zu verschwenden? Die "F"-Bewegung Jörg Haiders – die Freiheitlichen geben es heute um Längen konventioneller.

Angewiesen auf den Apparat

Kurz als innerparteilicher Alleinherrscher? So denn nun nicht. Er bleibt angewiesen auf den Apparat der Partei: die Manpower der vielen Tausend Funktionäre vor allem in Nieder- und Oberösterreich; dazu die Finanzdienstleistungen auch aus den Bünde-gesteuerten Kanälen heraus. Und ebendieser Apparat wird auch das neukonzipierte innerparteiliche Vorzugsstimmensystem, ein Positivum, dominieren.

In Kurz' spektakulärem Aufstieg einen Haltegriff zur autoritären Wende im politischen System zu erkennen geht eindeutig zu weit. Richtig ist allerdings, dass diese Entwicklung einen einschneidenden Bruch mit den Grundpfeilern der Zweiten Republik markiert: Die vollzogene Personalisierung und Konzentrierung der Macht an der Parteispitze bricht mit innerparteilichen Interessenausgleichsverfahren ebenso wie mit sozialpartnerschaftlicher (Ver-)Handlungslogik. Auf Koalitionsebene scheint ein Ende rot-schwarzer Zusammenarbeit über wahlarithmetische Gegebenheiten hinaus besiegelt. Anders wird die Innenpolitik allemal sein, aber auch besser? Die Idee einer tolerierten Minderheitsregierung, das (kurzfristige) freie Spiel der Kräfte im Nationalrat, eine kleinkoalitionäre Rechtswende – alles schon ausprobiert. Aber das muss man Kurz nicht vorwerfen: Kein ambitionierter Politiker bewegt sich beständig im Gleichklang mit den Interessen seines Landes.

Aber wohin steuert Kurz eigentlich? Welche Programmatik schwebt ihm für eine künftig von ihm geführte Regierung vor? Er gibt sich jedenfalls eher wirtschaftsliberal, (mittlerweile) eher gesellschaftskonservativ und präsentiert sich im Vergleich zu seinen Vorgängern an der ÖVP-Spitze als ein Ausbund an Beliebigkeit in Europafragen. Nicht zu vergessen seine Trademark als Minister: tough und tougher in Zuwanderungs- und Integrationsfragen. Alles in allem ein Volkspartei-Klassiker, politikfeldspezifisch angereichert um Positionen und Rhetorik von Strache-FPÖ und Haider-BZÖ.

Schüssel 2002

In seiner sonntägigen Pressekonferenz sprach Kurz nebulös von einer "Richtungsentscheidung". Das klingt nach Wolfgang Schüssel anno 2002. In der Tat scheinen ÖVP-Granden (nicht nur die Landeshauptleute) in Kurz ein Best-of aus Schüssel und Karl-Heinz Grasser auszumachen. Der Gewürdigte profitiert nicht nur vom Erbe der Wenderegierung – der gestiegenen Unzufriedenheit in der ÖVP am Verblassen der damaligen Akzentsetzungen mit jedem zusätzlichen Jahr einer ins Lande ziehenden großen Koalition, der fernen Erinnerung an ein "Durchregieren", an ein (kurzfristiges) Regieren an den Sozialpartnern vorbei. Er scheint es auch antreten zu wollen – in zwei Akten, der zweite im Spätherbst folgend. (David M. Wineroither, 16.5.2017)