Die Fertigstellung des Wohnbaus ist für kommendes Jahr geplant.

Visualisierung: Familienwohnbau

Plan Erdgeschoß

Radfahren steht im Fokus der Baugruppe Bikes & Rails, die auf einem Bauplatz im Sonnwendviertel Ost beim Wiener Hauptbahnhof in Kooperation mit der gemeinnützigen Bau- und Siedlungsgesellschaft Familienwohnbau und unter der Prozessbegleitung von Wohnbund Consult ein Wohnhaus mit 18 Wohneinheiten, einem Café und Gewerbeflächen im Erdgeschoß errichtet. "Erstens war es ganz wichtig für mich, Gemeinschaft zu begründen", betont die Sprecherin des Vereins, Ingrid Schacherl. "Zweitens wollen wir ökologische Kriterien umsetzen. Und drittens: Ausgehend vom Mobilitätskonzept des Standorts wollen wir uns auf den öffentlichen Verkehr und das Radfahren konzentrieren. Das verbindet uns."

"Wohnraum aus der Spekulationsspirale herausnehmen"

Für Manuel Hanke von Wohnbund Consult reicht die Zielsetzung noch weiter. "Die sozialpolitische Idee des Teilens bildet den Kern. Wir haben kollektives Eigentum, das ist für mich die tragende sozialpolitische Idee. Und es gab auch die Überlegung, Wohnraum aus der Spekulationsspirale herauszunehmen." Diese Ideen will Bikes & Rails in das Quartier "ausstrahlen".

Um den Wunsch nach solidarischem Wohnen in die Realität umsetzen zu können, entwickelte die Gruppe ein Finanzierungsmodell, das es laut Schacherl "dem Verein ermöglicht, das Haus, wenn es fertig ist, zu kaufen, und zwar inklusive des Grundstücks". Zentrales Anliegen ist ihr dabei, "Wohnraum für Leute zu finanzieren, die noch nicht in guten Einkommensklassen sind." Bikes & Rails dehnt die Idee vom solidarischen Wohnen noch um ein weiteres Vorhaben aus. Es ist eine Wohngemeinschaft für Studierende und Migranten im Haus geplant.

Konsensprinzip

Die Entscheidungsfindung innerhalb der Gruppe – ob es inhaltliche Fragen oder architektonische Details zu klären gilt – läuft nach dem Konsensprinzip ab, erklärt die Sprecherin der Baugruppe. "Wir versuchen, dass alle mit den Entscheidungen leben können." Faktum ist, dass es bei dieser Art der Mitbestimmung, wie sie Baugruppen praktizieren, um mehr geht als nur den eigenen Wohnungsgrundriss. Für Architekt Georg W. Reinberg reichen das Ausmaß des Engagements und die Intensität der Beteiligung weit über die Mitbestimmungsmodelle der Anfangszeit hinaus. "Die Planungspartizipation war eine Forderung in den 1970er-Jahren. Da gab es Ottokar Uhl und andere, die für Mieterpartizipation eingetreten sind. Das betraf die Mitbestimmung bei konventionellen Wohnungen. Es ist aber etwas ganz anderes, wenn es um die Lebensform geht und nicht darum, innerhalb einer Struktur Wände verändern zu können. Das Projekt als Ganzes ist viel wesentlicher. Es geht um Selbstbestimmung."

Im Bikes-&-Rails-Wohnprojekt ist jeder Wohnung eine Loggia vorgelagert, davor wiederum liegt ein Gang. "Beides bildet die Gemeinschaftsfläche in jedem Stockwerk," beschreibt Architekt Reinberg die Raumgestaltung, "und das ist doch ein gemeinschaftlicheres Konzept als jenes in vielen anderen Gruppen." Es sei manchen, die nur ein Stiegenhaus und einen Gang wollten, zu viel gewesen. Aber, so Manuel Hanke, "diese verglaste Loggia macht den Begegnungs- und Lebensraum aus, weil sie nach Süden orientiert ist. Womit der eine oder andere Probleme hatte, war der Umstand, dass das von der Belichtung her eigentlich die attraktivsten Räume sind. Aber auf der anderen Seite sind sie dadurch, dass sie verglast sind, ganzjährig nutzbar. Sie sind zu einem wesentlichen Teil des Begegnungsraums geworden, der für Gemeinschaftswohnprojekte ganz wichtig ist."

Das Erdgeschoß, dem im Wohnkonzept eine ganz bedeutende Funktion zukommt, hat durch die Partizipation der Gruppenmitglieder kleine Änderungen erfahren. "Die Fahrradwerkstatt, das Kaffeehaus und der Gemeinschaftsraum bilden jetzt mehr oder weniger ein räumliches Kontinuum. Das heißt, man kann alle Räume zusammenschalten oder auch abteilen. Das ist schon ein besonderer Aspekt."

Inspiration für geförderten Wohnbau

Das Bikes-&-Rails-Konzept und dessen architektonische Umsetzung ist für Hanke, der als Schnittstelle zur Planung agierte, ein Beispiel, von dem sich der geförderte Wohnbau inspirieren lassen könnte. "Eigentlich wird ja eher Wohnbau von der Stange gemacht. Was das angeht, haben Baugruppen eine Modellfunktion, weil neue Wohnkonzepte umgesetzt werden können, die im konventionellen Wohnbau noch nicht verwirklicht werden."

Dass Wohnhäuser von Baugruppen die Entfaltung der Individualität einschränken, das lässt Architekt Reinberg gar nicht gelten: "Ich glaube, dass das Projekt – wenn man den Bau sieht – viel mehr an Individualität bietet, als ein 08/15-Wohnbau. Oder ein Wohnhaus, das ein Selbstdarsteller betreibt. Man erfährt immer viel mehr Individualität über die Gruppe. Darum sehe ich das nicht als Widerspruch. Ich sehe nur, dass es eine Verirrung ist, wenn jemand in Individualität vereinsamt im Leben." (Michael Kerbler, 27.5.2017)