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Reinigungsdienste gelten als typisch für Jobs im deutschen Niedriglohnsektor.

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In Österreich gibt es neben der Notstandshilfe auch noch das System der Mindestsicherung.

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Wien – Heftiger hätten die Reaktionen kaum ausfallen können. Die Nachricht, das Finanzministerium habe eine Studie über die Umlegung des deutschen Arbeitslosen- und Sozialmodells Hartz IV auf Österreich in Auftrag gegeben, sorgte über das Wochenende für einen heftigen Schlagabtausch.

Das Finanzministerium versuchte prompt zu kalmieren. Die Studie sei vor zwei Jahren in Auftrag gegeben worden, es gebe keine Absicht zur Übernahme von Hartz IV in Österreich, verlautete aus dem Ressort von Minister Hans Jörg Schelling. Informationen aus einer Datenbank des Wirtschaftsministeriums ergeben ein etwas anderes Bild. Dort wird als Projektbeginn der 1. November 2016 angegeben. Und: Das Europäische Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung als Auftragnehmer erhält demnach eine Förderung von 30.000 Euro für die Untersuchung.

Höhere Armutsgefährdung

Inhaltlich kommt die Studie, über die die "ZiB 1" am Freitag berichtete, zu dem Ergebnis, dass die Kosten bei einer Übernahme des deutschen Systems in Österreich um rund eine Milliarde Euro sinken würden. Diese Zahl bezieht sich auf die Variante, in der analog zur Neuregelung der Mindestsicherung in Niederösterreich ein Deckel bei 1500 Euro im Monat eingezogen wird. Die Berechnungen basieren auf der Annahme, dass von der Notstandshilfe auf die Mindestsicherung umgestellt wird.

Und was bedeutet für den einzelnen Haushalt? Im Durchschnitt käme es zu einem Einkommensverlust von 1.300 Euro im Jahr, heißt es in der Untersuchung. Wird allerdings auch die Deckelung und das Abschöpfen von Vermögen simuliert, erhöht sich das Minus auf 2.300 Euro.

Diese Entwicklung brächte einen Anstieg der Armut. In der Niederösterreich-Variante würde die Zahl der Armutsgefährdeten um bis zu 160.000 Personen ansteigen. Die Rate der Armutsgefährdung würde von 13 auf 15 Prozent zunehmen. Neben den negativen Einkommens- und Verteilungseffekten weist das Europäische Zentrum darauf hin, dass es die gesellschaftlichen Folgekosten dieser Entwicklung "nicht abschätzen" könne.

736.000 Haushalte betroffen

Die Notstandshilfe kommt derzeit nach einjähriger Arbeitslosigkeit zur Anwendung, wobei die Höhe der Zuwendung bei in etwa der Hälfte des früheren Erwerbseinkommens liegt. Laut Untersuchung gibt es 277.000 Haushalte mit 736.000 Personen, die zumindest für ein Monat im Jahr auf diese Leistungen angewiesen sind. Die Notstandshilfe wird für das laufende Jahr mit 1,454 Milliarden Euro beziffert, inklusive zusätzlicher Leistungen gegen soziale Ausgrenzung belaufen sich die Kosten demnach auf knapp 1,8 Milliarden.

Während die Notstandshilfe vom letzten Einkommen abhängt, beträgt die Mindestsicherung für Alleinstehende höchstens 840 Euro im Monat. Zudem wird das Vermögen in der Notstandshilfe nicht aufgebraucht.

Schröders Werk

Das unter Rot-Grün 2005 im Rahmen von Gerhard Schröders Agenda 2010 eingeführte System Hartz IV (benannt nach dem früheren VW-Personalvorstand Peter Hartz, der das Modell ausgearbeitet hat) war und ist umstritten. Der positiven Entwicklung am deutschen Arbeitsmarkt stehen wachsender Niedriglohnsektor und steigende Armutsgefährdung, auch bei Kindern, gegenüber. Der Bezug von Arbeitslosengeld wurde auf ein Jahr verkürzt, die Zumutbarkeitsbestimmungen sind seither viel schärfer, befristete Beschäftigungsverhältnisse wurden erleichtert, Zuverdienstmöglichkeiten ausgedehnt.

Stark gesunkene Arbeitslosigkeit

Faktum ist, dass die Zahl der Arbeitslosen seit Einführung der "Grundsicherung für Arbeitslose" seit 2005 um 2,2 Millionen Personen gesunken ist. Das hängt aber auch mit der schrumpfenden Bevölkerung und der guten Konjunktur der letzten Jahre zusammen. Dass die zusätzliche Beschäftigung nur auf Minijobs zurückzuführen sei, wie Teile der deutschen Opposition behaupten, lässt sich kaum erhärten. Ihre Zahl ist seit Jahren mit knapp acht Millionen Personen ziemlich konstant.

Untersuchungen weisen zudem darauf hin, dass nur ein sehr kleiner Anteil eine Ausweitung der Arbeitszeit anstrebt. Typisch ist demnach, dass der Mann Vollzeit tätig ist, die Frau via Minijob dazu verdient. Dazu kommen mehr als zwei Millionen Personen, die einen Zweit- oder Drittjob neben der Haupttätigkeit verrichten.

Verfestigt hat sich in Deutschland hingegen die Langzeitarbeitslosigkeit. Nur noch 30 Prozent der Arbeitslosen beziehen Einkünfte aus der Arbeitslosenversicherung, 70 Prozent stecken in Hartz-IV fest. Laut österreichischem Sozialministerium liegt die Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland bei 41,2 Prozent, in Österreich jedoch nur bei 32,2 Prozent. Auch der Anteil der Working-Poor-Gruppe ist in den letzten Jahren im Nachbarland merklich gestiegen. (as, 28.5.2017)