Seit Monaten wegen der Zusatzkosten für den "großen Wurf" beim Erwachsenenschutz im Clinch: Justizminister und Vizekanzler Wolfgang Brandstetter (li.), Finanzminister Hans Jörg Schelling (re.).

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Wien – Mit dem Ende März beschlossenen Erwachsenenschutzgesetz verbinden Experten und Betroffene hohe Erwartungen, ja, die Novelle wird als "großer Wurf" bezeichnet. Nach ihrem Inkrafttreten am 1. Juli 2018, also in 13 Monaten, soll sie Menschen, die nicht voll entscheidungsfähig sind und daher einen Erwachsenenvertreter brauchen, mehr Selbstbestimmung und Autonomie garantieren als die derzeitigen Sachwalterschaften.

Um das zu ermöglichen, ist verpflichtendes Clearing in jedem einzelnen Fall vorgesehen, durchgeführt von den österreichweit vier derzeitigen Sachwalterschaftsvereinen. Dabei sollen Betroffene, Angehörige, Sozialarbeiter und Vertreter des zuständigen Gerichts die individuelle Situation erkunden und die jeweils bestmögliche Lösung finden.

Mehr Personal, mehr Geld

Diese Aufgabe verlangt nach mehr Personal und kostet zusätzliches Geld. Doch die Finanzierung ist ungeklärt und führt seit Monaten zu Konflikten zwischen dem – zuletzt zum Vizekanzler aufgestiegenen – Justizminister Wolfgang Brandsteller (ÖVP) und seinem Parteikollegen, Finanzminister Hans Jörg Schelling.

Aktueller Höhepunkt: Vor rund zwei Wochen soll das Finanzministerium dem Justizministerium schriftlich untersagt haben, für besagte Clearingstellen zehn Millionen Euro Anschubkosten aus den eigenen Rücklagen zu nehmen. So berichten es, unabhängig voneinander, Kreise aus den Sachwaltervereinen.

"Laufend Gespräche" zwischen den Ministerien

Sie berufen sich dabei auf Informationen zuständiger Mitarbeiter im Justizministerium selbst, doch auf Standard-Anfrage gab man sich am Dienstag dort bedeckt: Es fänden "laufend Gespräche zwischen den beiden Ressorts zur Finanzierung des Erwachsenenschutzgesetzes statt", hieß es. Auch im Finanzministerium sah man keinen Konflikt: Die Frage des Geldes sei eine "technische Geschichte", bis Sommer werden das Erwachsenenschutzgesetz wie eine Reihe weiterer Vorhaben "abgearbeitet" sein: "Wir stehen zu diesem Projekt."

Fest steht, dass es für die Nutzung ministerieller Rücklagen – also zugesagter, aber vom Ressort nicht getätigter Ausgaben – einer verbrieften Bewilligung des Finanzministeriums bedarf. Denn derlei Gelder sind budgetrelevant. Das jedoch war von Brandstetter nicht mitkommuniziert worden, als er Mitte März in einem Presse-Artikel von einer "fixen Zusage" des Finanzministers sprach, "notfalls" Rücklagen des Justizministeriums auflösen zu dürfen.

Auf Granit gebissen

Davor hatte der Justizminister, dem das Erwachsenenschutzgesetz ein besonderes Anliegen ist, bei Schelling durchgängig auf Granit gebissen. Im September 2016 war die wirkungsorientierte Folgenabschätzung der Novelle von jährlich 16 bis 17 Mio. Euro Zusatzkosten zwischen 2018 und 2022 ausgegangen: insgesamt rund 85 Mio. Euro. Dies sei "im vorgegebenen Budgetrahmen nicht bedeckbar", zusätzliche Mittel könnten nicht zur Verfügung gestellt werden, hatte es daraufhin in der Stellungnahme aus dem BMF geheißen.

Im zweiten Gesetzesentwurf rechnete das Justizministerium die Zusatzkosten für Gerichte heraus und schlug besagte Rücklagenfinanzierung vor. Die zu bedeckende Summe verringerte sich auf 24 Mio. Euro. Das Okay Schellings konnte dennoch nur mit viel Druck erreicht werden. Beim Vertretungsnetz in Wien, einem der vier künftigen Clearingvereine, zeigt Geschäftsführer Peter Schlaffer nun Nerven: "Ohne Geldzusage fehlt uns jede Planungssicherheit." (Irene Brickner, 31.5.2017)