Früher landesweit als Stierkämpferin bekannt und auf den Societyseiten präsent, hat sich Marie Sara entschlossen, Politik zu machen.

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"Wenn ich zurückweiche, dann tötet mich!" – betont großspurig gibt sich Front-National-Kandidat Gilbert Collard.

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Marie Sara 1997.

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Das ist also die Frau, die hunderte von Stieren getötet hat. Mit ihren blonden Haaren und der schlichten türkisfarbenen Bluse wirkt Marie Sara nicht grausam, sondern grazil-feminin, während sie in Grau-du-Roi mit Besuchern eines Volksfestes plaudert. Ungeschminkt, sportliche Figur, an der kein Gramm zu viel ist, spricht die 53-jährige Französin so, wie sie sich bewegt: präzis, entspannt, aber stets bereit zum Sprung.

Ja, Staatspräsident Emmanuel Macron habe sie persönlich angerufen und sie gebeten, bei den Parlamentswahlen im hiesigen Département Gard für seine République en Marche anzutreten. Nach ein paar Stunden Bedenkzeit habe sie zugesagt, erzählt die Mutter zweier Kinder, die wie so viele Kandidaten des Macron-Lagers noch nie Politik betrieben hat.

Ausgefallener Berufswunsch

Mit 19 Jahren war sie gegen den Willen ihrer Künstlereltern von Paris in die 600 Kilometer und geistig noch viel weiter entfernte Camargue gezogen – um Stierkämpferin zu werden. Marie schaffte es, sich in der Männerwelt der Matadore einen Namen zu machen. Mehr als fünfzehn Jahre lang betätigte sie sich in den Arenen Südfrankreichs und bald darüber hinaus als Torera zu Pferde, in der Fachsprache "Rejoneadora". Sie wurde als Klatschspaltenschönheit bekannt, zeigte sich auf dem Filmfestival in Cannes und heiratete zuerst einen Corrida -Produzenten, dann Tennisstar Henri Leconte und zuletzt einen Werbemagnaten – der machte sie mit Macron bekannt.

Dass Marie Sara jetzt in die Politik einsteigt, gefällt nicht allen. In Nîmes, der Hauptstadt des Départements Gard, mobilisierten Corrida-Gegner zu Pfingsten wie üblich gegen die weitherum bekannte Stierkampf-Feria; diesmal aber forderten sie Macron dazu in mehreren Petitionen mit insgesamt 200.000 Unterschriften auf, Saras Kandidatur zurückzuziehen. Die Torera habe bis 2007 "hunderte von Stieren abgeschlachtet", heißt es als Begründung – begleitet von Bildern, auf denen Sara einem blutüberströmten Camargue-Taureau den Degen in den Nacken treibt.

Gaudium fürs Volk

Marie Sara geht den militanten "No Corridas" in Nîmes aus dem Weg. An diesem Samstag verlagert sie ihre Kampagne nach Grau-du-Roi an der Küste, wo gerade ein Volksbrauch gefeiert wird: Mit Holzstangen und Schilden stoßen sich Jugendliche gegenseitig von ihren Ruderbarken. Jedes Mal, wenn einer ins Wasser fällt, johlt die Menge zu Trompetenstößen. Auch für die Beteiligten in ihren weißen Hemden und Strohhüten ist das Schauspiel die pure Gaudi.

Mann gegen Mann, ohne dass einer das Leben lässt: Ist das nicht fairer, ja humaner als ein Stierkampf? "Das ist nicht dasselbe", antwortet Marie Sara dezidiert. "Man kann auch nicht Pétanque mit Schach vergleichen. Stierkampf ist kein Volkssport, das ist Kunst." Aber nicht eine morbide Kunst? "Ich züchte Stiere und Pferde, das ist voller Leben", meint die heutige Leiterin der Arena von Saintes-Marie-de-la-Mer. In ihrer Wahlkampfbroschüre, dort ist sie neben Macron abgebildet, verlangt Sara sogar die Aufnahme der "courses camarguaises" – der Camargue-Stierrennen, die nicht tödlich enden – in das Unesco-Welterbe.

Von den eigentlichen Corridas ist da nichts zu lesen. Dafür verspricht die einstige Torera mehr Gendarmen im Département und weniger bürokratische Normen für Fischer und Bauern. Im Gespräch sagt sie, sie trete "gegen Obskurantismus und Rassismus" an. Das ist auf ihren wichtigsten Widersacher gemünzt: den seit 2012 amtierenden Abgeordneten des Front National, Gilbert Collard. Eine Anti-Corrida-Initiative hält ihr vor, sie trete für einen "rückständigen und barbarischen" Brauch ein. Das sei alles andere als die moderne Zivilgesellschaft, die Macron mit seinen apolitischen Kandidaten verkörpern wolle.

Elend hinter heiler Kulisse

Macron, der neue Präsident, hatte kurz vor seiner Wahl erklärt, er sei gegen ein Verbot des Stierkampfes, denn dieser sei "in Südfrankreich Teil von Kultur, Wirtschaft und Tourismus". Die Stierkampfbefürworter sind allerdings überall in Frankreich in der Minderheit: Während die Corrida landesweit von 73 Prozent abgelehnt wird, sind auch im Département Gard 66 Prozent der Befragten gegen das Töten der Stiere.

Dazu will sich Sara aber jetzt nicht weiter äußern. Von zwei bulligen Bewachern geschützt, hastet die Torera zum nächsten Wahlkampftermin in der "Petite Camargue". Die "Kleine Camargue" ist eine der ärmsten Landesgegenden; hinter der idyllischen Kulisse aus Salzseen, Stierherden und weißen Pferden verbergen sich soziale Abgründe voller Alkoholismus, Arbeitslosigkeit bis hin zum Jihadismus: Aus dem Städtchen Lunel 15 Kilometer nördlich von Grau-du-Roi sind vor zwei Jahren gleich zwanzig Burschen in ihren "heiligen Krieg" nach Syrien gezogen.

Im nähergelegenen Aigues-Mortes tritt am Abend Gilbert Collard auf. Ein Gewitter geht gerade über den mittelalterlichen Kreuzfahrerort nieder, und nur zwei Dutzend Gäste folgen dem Plädoyer des 69-jährigen Staranwalts, einem von nur zwei Vertretern des Front National in der Nationalversammlung. "Marie Sara hat Angst vor meinen Stierhörnern", höhnt Collard, weil sich die Kandidatin weigert, im Regionalfernsehsender France-3 zu einem Streitgespräch der Kandidaten anzutreten. "Kein Wunder, die Torera ist seit Jahren nicht mehr auf einem Pferd gesessen."

Anleihen bei Monarchisten

Nach diesen Aufwärmsprüchen vermeidet aber auch der FN-Mann aus Marine Le Pens Team das Thema Stierkampf: Denn als bekannter "Aficionado" steht er auf der gleichen Seite wie Sara. Nur verwundert das bei einem Frontisten weniger als bei einer En-Marche-Kandidatin. Collards Zuhörer schimpfen auch lieber gegen Terroristen, Einbrecher und – für sie fast so schlimm – die Pariser Politikerkaste. Collard verspricht, sich dieser Themen anzunehmen, wenn sie ihn denn wiederwählen. "Wenn ich durchkomme, folgt mir – wenn ich zurückweiche, dann tötet mich!", imitiert er voller Verve das bekannte Bonmot eines französischen Monarchisten aus der antirevolutionären Vendée. "Und wenn ich getötet werde, rächt mich!" Szenenapplaus für den Advokaten, dann endlich gibt es den wohlverdienten Apéro.

Beim Stopfen seiner Tabakpfeife betont Collard vor ausländischen Journalisten, hier in der Camargue töte man den Stier nicht – anders als in der römischen Arena von Nîmes oder in Spanien. "Und Sie werden sehen: Am Sonntag wird der Stier sogar gegen die Matadora gewinnen."

Sicher ist das mitnichten. In den Umfragen liegen Collard (32 Prozent) und Sara (31 Prozent) gleichauf; die Kandidatinnen der Konservativen und der Linksfront schaffen es möglicherweise nicht einmal in die Stichwahl eine Woche später. Dort wird auf Sara als Siegerin mit 56 Prozent getippt. Macrons riskante Personalwahl im Gard – und nicht nur dort – hätte sich damit ausgezahlt. Alle Umfragen sagen ihm mittlerweile eine klare Regierungsmehrheit in der Nationalversammlung voraus. (10.6.2017)

Neun Jahre alte Kostprobe von Marie Sara aus der Arena.
David Perezbellot